„Am besten nehmen Sie die U-Bahn M3 bis Lodi und fragen dann wieder“, sagt die elegante Verkäuferin im Prada-Laden in der Mailänder Galleria Vittorio Emanuele II. „Immer geradeaus, dann rechts“, sagt später die Kioskfrau neben der U-Bahn-Haltestelle Lodi. Und schon befindet man sich in einem undefinierbaren Aussenquartier im Süden Mailands. Chinesische Handwerker, chinesische Banken, chinesische Bars, chinesische Kramläden, es sieht nach Chinatown alla milanese aus. Eine Gegend, weit weg vom Glamour der Prada-Läden im Stadtzentrum. „Immer weiter in diese Richtung“, sagt schliesslich der Chinese hinter der Theke und zeigt ins Niemandsland von Brachen, wildem Gestrüpp am Bahndamm, sengender Sonne auf der öden Strasse und viel Weite.
Fondazione Prada,
Largo Isarco 2
20139 Milano
geöffnet 10-21 Uhr,
ausser Dienstag
Tatsächlich: plötzlich steht man davor. Da ist sie, die Fondazione Prada. Ganz neu, das Hochhaus ist noch im Bau, aber die übrigen Gebäude sind fertiggestellt und mittlerweile eröffnet. Das neue Museum ist ein Konglomerat verschiedener Bauten, wobei das Kernstück eine ausgediente Schnapsbrennerei ist. Drei Alt- und sieben Neubauten sind hier miteinander verwoben, dazu Innenhöfe mit ein paar malerisch knorrigen Bäumen, viel Glas, viel alte Bausubstanz. Als „Ensemble aus Fragmenten“, bezeichnet es der Niederländer Rem Koolhaas, einer der ganz grossen Architekten unserer Zeit. Acht Jahre hat er sich insgesamt mit dem Projekt beschäftigt. „Neues, Altes, Horizontales, Vertikales, Weites, Enges, Weisses, Schwarzes, Offenes, Geschlossenes… all diese Kontraste machen die Bandbreite von Gegensätzen aus, durch die sich die neue Fondazione definiert“, so Rem Koolhaas.
Kunst ist in Mode
Ausgediente und brachliegende Industriegebäude sind Lieblingsobjekte für neue Kunstinstitute geworden und da Kunst zurzeit sehr in Mode ist, liegt es nahe, dass auch Mode sich mit Kunst beschäftigt. Hier draussen im Süden Mailands steht der Name Prada jedenfalls nicht für Mode, sondern für Kunst. Und entstanden ist eine überwältigende Anlage mit hochkarätiger, zeitgenössischer Kunst.
Am augenfälligsten ist vielleicht auf ersten Blick ein schmales, vierstöckiges Gebäude in Gold. Echt Gold. Alles ist mit Blattgold überzogen und schimmert in der Sonne. Im Innern steigt man eine schmale Treppe hinauf und wieder herunter. Dazwischen gibt es eher kleine Kabinetträume mit Zeichnungen, Bildern und Installationen des Amerikaners Robert Gober neben Werken von Louise Bourgeois. Zwischendurch geben Aussichtsterrassen den Blick frei auf die schier endlose Steinwüste der Stadt, auf das architektonische Durcheinander und auf viel Himmel.
In der grossen, zentralen, gläsernen Ausstellungshalle, dem Herzstück der Fondazione, stehen zurzeit antike Skulpturen und ihre Kopien im Mittelpunkt. Kopien, ein Thema mit durchaus aktuellem Bezug, das Prada als Modehaus natürlich ebenfalls beschäftigt… doch Kopien sind nicht erst heute ein Problem, denn auch die Römer hatten schon ihre Techniken, wie man begehrte Kunstwerke nachmachen konnte. Das dokumentiert die Schau.
Neben aktuellen Ausstellungen gibt es als Basis die Sammlung, die in den 1970-er Jahren ihren Anfang hat. Das geht von Dada bis Minimal Art, mit Werken von Walter De Maria über Yves Klein bis zu Donald Judd oder Barnett Newman. Dann sozialkritisch angehauchte Werke von Pino Pascali oder Edward Kienholz. Oder Bilder von Jeff Koons bis Gerhard Richter. Man Ray, Richard Serra und Bruce Nauman sind ebenso vertreten wie Michelangelo Pistoletto oder David Hockney und Damien Hirst.
Kunst als Wegweiser
Wofür aber braucht es eigentlich kulturelle Einrichtungen? Dies sei die zentrale Frage heute, heisst es bei der Fondazione Prada. Die Antwort lautet: Kunst ist nützlich und nötig, aber auch verführerisch und verbindlich. Kunst soll helfen, uns im Alltagsleben zurechtzufinden. Sie soll uns zeigen, wie wir und die Welt ständig Veränderungen durchmachen. Dies das Credo der Fondazione Prada.
Wem das etwas zu anstrengend ist, der kann sich in die „Luce Bar“ verziehen. Hier wird man zurückversetzt in die gute alte Zeit der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Der amerikanische Filmregisseur Wes Anderson hat hier ein Mailänder Caffè entworfen, das an die grossen Zeiten des italienischen Films erinnert, an Vittorio De Sicas „Wunder von Mailand“ oder Lucchino Viscontis „Rocco und seine Brüder“. Wes Anderson selbst hat auch Erfahrung mit dem Blick zurück: Sein letzter Film war „The Grand Budapest“. Die „Luce Bar“ soll ein Treffpunkt werden für Kunstliebhaber, solche, die es werden wollen oder solche, die nichts damit am Hut haben. Sie alle tummeln sich schon jetzt in diesem wunderbaren Kaffeehaus.
Es muss also nicht unbedingt die Expo sein. Die Fondazione Prada ist ebenso eine Reise wert. Und Mailand sowieso.
Fotos: © Fondazione Prada