Kurz nach Mitternacht fährt ein Fiat Fiorino vor dem Museum vor. Um 01.04 Uhr geht die Sprengladung hoch. Die Explosion fordert fünf Tote.
Das Museum und mehrere Meisterwerke werden schwer beschädigt. Das Massaker beschleunigt die grundlegende Umwälzung in der italienischen Politik. Nichts mehr wird sein wie vorher. Das alte Parteiengefüge bricht zusammen. Die erste italienische Republik geht unter: die zweite entsteht. Und schon beginnt der Stern von Silvio Berlusconi zu leuchten.
Schnell ist klar, dass die Mafia, der Corleonesi-Clan von Totò Riìna, hinter dem Anschlag steht. Bis heute sind viele Fragen ungeklärt. Viele Gerüchte schwirren um jene Zeit. Haben Politiker mit der Mafia zusammengearbeitet? Wem haben die Attentate genützt?
Tief in der Volksseele
“La strage di via dei Georgofili” wie das Attentat offiziell heisst, hat sich tief in die italienische Volksseele eingegraben. In Florenz werden an diesem Sonntag Blumen niedergelegt und Gottesdienste abgehalten. Viele Fiorentiner pilgern in die Georgofili-Strasse, wo der Fiat parkiert wurde, beten und bekreuzigen sich. Die Zeitung “La Nazione” publizierte am Sonntag eine 24-seitige Sonderbeilage über das Massaker.
Fast genau ein Jahr vor dem Attentat in Florenz wurde in Palermo der Mafia-Jäger Giovanni Falcone ermordet. Unter der Autobahn waren 500 Kilo Sprengstoff deponiert, die bei der Durchfahrt von Falcone und seiner Frau gezündet wurden. Zwei Monate nach Falcones Tod wurde auch sein Freund und Mafia-Jäger Paolo Borsellino Opfer eines Sprengstoffanschlags.
Diese Morde gelten heute als “erste Phase” des Mafia-Terrors gegen den Staat. Die “zweite Phase” beginnt am 14. Mai 1993: In der Via Ruggiero Fauro in Rom explodiert eine Autobombe mit 100 Kilogramm Sprengstoff. Ziel ist der Journalist Maurizio Costanzo. Er wird nicht getroffen.
Ein Land gerät in Panik
Dann, am 28. Mai, folgt das Attentat vor den Uffizien in Florenz. Bei den Toten handelt es sich um eine vierköpfige Familie: einen 39-jährigen Vater, seine 36-jährige Frau, ihre 9-jährige und 50 Tage alten Töchter. Sie wohnten im obersten Stockwerk des Pulci-Turms, der direkt neben dem Museum liegt. Zu den Opfern zählt auch ein 22-jähriger Student. 30 Personen werden verletzt. Der Turm war durch die Wucht der Explosion eingestürzt.
Das Attentat schreckt Italien auf. Bisher hatte die Mafia vor allem Vertreter des Staates im Visier. Jetzt wird blinder Terror verübt. Das Land gerät in Panik. Anna Maria Petrioli Tofani, die damalige Direktorin des Museums, glaubt zuerst an eine Gasexplosion, als sie nach Mitternacht aus dem Bett gerufen wird. Später sagt sie: “Ziel der Mafia waren erstmals die Wurzeln der italienischen Kultur”.
Offenbar wollte die Mafia das Staatsgefüge zum Einsturz bringen. Zwei Monate später, am 27. Juli 1993, explodieren erneut Bomben. In den Kirchen San Giovanni in Laterano und San Giorgio al Velabro wird Sprengstoff gezündet. In der Via Palestro in Mailand fordert eine Autobombe fünf Tote.
Berlusconis Aufstieg
Italien erlebt Anfang der Neunzigerjahre fast revolutionäre Zeiten. 1992 fliegt ein monumentaler Schmiergeldskandal auf, der das ganze Land überzieht. Unter dem Titel “Mani pulite” klagt die Mailänder Staatsanwaltschaft viele hohe Würdenträger der grossen Parteien an. Betroffen sind vor allem die seit dem Krieg staatstragende “Democrazia Cristiana” (DC) und der “Partito Socialista Italiano” (PSI). Schwer trifft es den Sozialisten-Chef Bettino Craxi, der nach Tunesien ins Exil flüchtet.
Die DC bricht 1993 zusammen, der PSI zersplittert ein Jahr später. Am 26. Januar 1994 verbreitet Silvio Berlusconi die Video-Botschaft “L’Italia e il paese che amo”. Damit tritt er in die Politik ein, um “der kommunistischen Gefahr” Herr zu werden. Ende 1993 gründet er die Bewegung “Forza Italia”. Im Frühjahr danach gewinnt er die Parlamentswahlen und wird erstmals Ministerpräsident. Italien hat seine “Zweite Republik”.
Im Januar 1994 schlägt ein Attentat im Römer Olympia-Stadion fehl. Und dann ist plötzlich Ruhe: kein Attentat mehr. Es ist die Zeit, in der Berlusconi an die Macht gelangt.
”Leider schweigen jene, die etwas wissen”
Dieses Zusammentreffen nährt natürlich Spekulationen. Berlusconis Verhältnis zur Mafia ist seit jeher unklar. Sein engster Mitarbeiter und Freund Marcello Dell’Utri ist von einem Berufungsgericht wegen Unterstützung der Mafia zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Dell’Utri bis Anfang der Neunzigerjahre ein Bindeglied zwischen Berlusconi und der Mafia war.
Noch heute, zwanzig Jahre nach dem Massaker von Florenz, jagen sich die Spekulationen. Hat die Mafia eingesehen, dass sie mit Attentaten nicht weiterkommt? Hat Berlusconi mit ihr einen Pakt geschlossen? Gab es Kräfte, die die Mafia bei ihrem Bombenterror unterstützten, um den Staat zu erschüttern, um dann wie Phönixe aus der Asche zu steigen? An der Gedenkfeier am Sonntag in Florenz erklärte Senatspräsident Pietro Grasso: “Zu vieles dieser Tragödie bleibt nach wie vor im Dunkeln”.
“Leider schweigen jene Politiker, die etwas wissen”, schreibt heute die Journalistin Sandra Bonsanti in der “Repubblica”. Sie hatte schon vor zwanzig Jahren über das Attentat berichtet. Von den Mafiosi selbst seien keine neuen Informationen zu erwarten, schreibt sie. Um das Kapitel der Massaker zu beenden, müssten jene, die etwas wissen und das Geheimnis hüten, endlich sprechen”. “Einige von ihnen wissen ganz genau, was geschehen ist”.