Die bisherige Randgruppe wurde damit schlagartig zur drittgrössten Partei. Mit 19 Prozent aller Stimmen hat sie aufgeschlossen zu den Sozialdemokraten mit 19,1 Prozent und der Konservativen Sammlung mit 20,4 Prozent.
Wie Jyrki Vesikansa in der Abendzeitung (Iltalehti) schreibt, ist dies der grösste Erdrutsch seit den ersten finnischen Parlamentswahlen im Jahr 1907. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam das linke Wählerpotential (Kommunisten, Sozialdemokraten) voll zur Geltung und seit 1970 verlor die jetzt noch viertgrösste Zentrumspartei massiv an Wählern, was bei einer Bauernpartei im Industrieland nicht überrascht.
Genug vom alten Dreiparteien-System
Aber die jetzige Veränderung des Parteienspektrums bedeutet nach dem zitierten Vesikansa, dass die finnischen Wähler genug haben von dem seit 100 Jahren bestehenden System mit drei sich wechselseitig ablösenden Parteien. Diese kennen das übliche Parteiengezänk wie anderswo. Aber selbst eine vorübergehende Oppositionspartei weiss, dass sie morgen wieder gebraucht wird. Und das hohe Mass an Konsens unter den in Helsinki konzentrierten Politikern führte dazu, dass man in der Bevölkerung oft nicht mehr wahrnimmt, wer zu welcher Partei gehört.
Nach der Tradition beauftragt das Staatsoberhaupt die stärkste Partei, jetzt also die Konservative Sammlung, mit der Regierungsbildung. Rein rechnerisch könnten die Konservativen mit den jetzt in der Opposition stehenden Sozialdemokraten und der schon jetzt mitregierenden Schwedenpartei und den Grünen eine Regierung bilden. Aber angesichts des erfolgten Erdrutsches wäre dies eine Missachtung des Wählers.
Erster Gesprächspartner muss Timo Soini sein, der Gründer und Chef der „Wahren Finnen“. Dieser hat auch schon Beweglichkeit signalisiert mit der Bemerkung, dass die „Wahren Finnen“ auch die Ernennung von parteilosen Ministern akzeptieren könnten.
Den EU-Stabilitätspakt neu verhandeln?
Die EU ist zu Recht besorgt. Finnland wird allerdings nicht übermorgen aus der EU oder der Währungsgemeinschaft aussteigen. Aber eine stillschweigende Fortsetzung der bisherigen finnischen Rolle als Musterschüler ist nach der Erschütterung am vergangenen Wochenende auch nicht denkbar. Im finnischen Parlament sind jetzt euroskeptische Mehrheiten möglich. Wie Timo Soini im Fernsehen sagte, wird er sich mit dem zur Regierungsbildung beauftragten Politiker in die Sauna begeben und man wird dort die Kompromissfähigkeit ausloten.
Das tönt beruhigend. Aber die finnische Politik wird nach innen und aussen eine andere sein. Soini hat seine Worte nach dem Wahlsieg am Sonntag vorsichtiger gewählt als im Wahlkampf. Aber er forderte bereits am Montag in einem Interview, dass der Stabilitätspakt für die finanzielle Stützung von Griechenland, Irland und Portugal neu ausgehandelt werden müsse.
Die finnischen Medien reagierten weder empört noch hysterisch. Für das politische Erdbeben gibt es viele Motive. Zu nennen sind die Skandale, die durch ein strenges Gesetz über die Offenlegung der Parteispenden und die nicht aufhörenden Enthüllungen ausgelöst wurden. Die Eurokrise gehört dazu: Wie in Deutschland und anderen Euroländern wurde in Helsinki das Postulat für eine Abstimmung abgelehnt, da man sich bereits durch den EU-Beitritt festgelegt habe.
Erschüttert sind die Finnen auch durch die geplante Fusion ihrer Vorzeigefirma Nokia mit dem amerikanischen Konzern Microsoft. Der Produzent von Handys leistete bisher den grössten Beitrag zum Ausgleich der Handelsbilanz. Das betont ausländerfreundliche Land hat in der jüngsten Zeit markant mehr Fremde aufnehmen müssen. Obschon auch jetzt nur 4 Prozent der Bevölkerung im Ausland geboren wurden, konzentriert sich diese Minderheit in Helsinki und wird im Alltag spürbar.
Finnland denkt anders
Grundthema sind die Rückwirkungen der hier später und dafür umso radikaler wirksam werdenden Globalisierung. Die Finnen am Nordrand Europas werden sich bewusst, dass sie sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik die Verfügung über ihr Schicksal verloren haben. Dies gilt natürlich auch für andere Kleinstaaten. Aber in Finnland, das mehr tut für die Nato als andere Länder mit der gleichen Bevölkerungszahl (über 5 Millionen), ist bei Umfragen immer noch eine Mehrzahl gegen den Nato-Beitritt.
Man ist nach den schweren Opfern im Zweiten Weltkrieg überzeugt, dass man allein ist und sich selber verteidigen muss. Zudem würde eine Mitgliedschaft das mit viel Aufwand und Selbstdisziplin gepflegte Verhältnis zu Russland belasten. Im nahen Baltikum votieren alle Länder mehrheitlich für die Nato-Mitgliedschaft, dafür ist nur eine Minderheit bereits, das eigene Land zu verteidigen.