Bei den Wahlen am 17. April hat die europaskeptische Partei „Wahre Finnen“ des Populisten Timo Soini ihren Sitzanteil unerwartet von 5 auf 39 gesteigert. Die agrarische Zentrumspartei, die bisher den Regierungschef stellte, verlor ein Drittel ihrer Sitze (jetzt 35 statt bisher 51) und muss nach finnischer Tradition in die Opposition. Mit nur 6 Sitzverlusten (noch 44) bleiben die Konservativen stärkste Partei, und Jyrki Katainen wird als designierten Ministerpräsident eine Regierung zu bilden suchen. Mit nur 3 Sitzverlusten (jetzt 42) könnten die bisher in der Opposition stehenden Sozialdemokraten Regierungspartner werden. Nach der auf Konsens basierenden finnischen Tradition muss eine Einbettung der zur drittstärksten Kraft aufgestiegenen „Wahre Finnen“ versucht werden, während das geschlagene Zentrum in die Opposition verwiesen wird.
Ein Veto des Musterschülers?
Das Problem für den bisherigen EU-Musterschüler ist, dass Timo Soini den Erdrutsch für die „Wahren Finnen“ vor allem mit der europaskeptischen Kampagne gegen den Beistand für Griechenland, Irland und jetzt Portugal erzielt hat. Neben dem Triumph des Populismus könnte der Sieg auch als Anzeichen für nordische Beistandsmüdigkeit ausgelegt werden. Die Nervosität in Brüssel ist daher verständlich. Da die Währungsgruppe ihren Beistand für Portugal nur einstimmig beschliessen kann und da beim Mitglied Finnland für die Zustimmung ein Parlamentsentscheid nötig ist, erhält Helsinki – und damit letztlich der Populist Soini - eine Vetofunktion. Finnlands Mann in Brüssel ist Olli Rehn als EU-Kommissar für Finanzen und Wirtschaft. Der in Finnland hoch geschätzte Beamte hat in der grössten finnischen Zeitung „Helsingin Sanomat“ eine Mahnung publiziert. Wenn Portugal nicht zahlungsunfähig werden soll, so müssen die Regierungschefs der Währungszone am 25. Mai den Beistandspakt verabschieden. Wenn Finnland dabei mitreden will, so müssen seine Vorschläge bis zur Tagung der Finanzminister am 16. Mai vorliegen. „Oder wäre es möglich, dass Finnland aus der Vereinbarung ausschert und alle damit verbundenen Konsequenzen auf sich nimmt?“
Angesichts des bisherigen Gepolters der „Wahren Finnen“ ist keine schnelle Regierungsbildung und wohl auch keine rechtzeitige Unterstützung des Hilfspakets für Portugal zu erwarten. Der designierte Ministerpräsident Jyrki Katainen wird die Konferenz der Regierungschefs am 25. Mai höchstens als Finanzminister und damit als Stellvertreter eines künftigen Regierungschefs besuchen können. Mit einer Entscheidung der zuständigen parlamentarischen Kommission wäre er immerhin handlungsfähig. Aber werden die Wahren Finnen über ihren Schatten springen und ihre wichtigste Wahlkampfparole opfern? Timo Soinis Reaktionen bleiben ambivalent. Die Partei werde als Regierungspartei ihre Parolen anpassen müssen. Zur Verwirrung tragen auch Behauptungen von anonymen Informanten bei, wonach sich die Probleme umgehen liessen. Die englische „Financial Times“ hat aufgrund der Information eines EU-Beamten, der nicht genannt werden möchte, gemeldet, die Währungsunion habe sich schon letztes Jahr mündlich darauf geeinigt, dass man das Rettungspaket nicht wegen des Ausscherens eines Mitglieds scheitern lasse.
Minimales Interesse – überdimensionierte Garantie
Man sollte aber nicht so tun, als ob es in Helsinki nur noch um Termine und Ausweichmanöver ginge. Kampagne und Wahlsieg der „Wahren Finnen“ haben einen Teil der Selbstzensur aufgehoben, mit der Finnland bisher nicht nur Rücksicht auf den grossen Nachbarn im Osten nahm, sondern auch auf gereizte Argumente gegenüber EU und Brüssel verzichtete. So publizierte die finnische Wirtschaftszeitung „Talous Sanomat“ einen Kommentar zu den Kosten des im Hinblick auf Griechenland, Irland, Portugal und möglicherweise auch Spanien beschlossenen Beistands der europäischen Währungsunion. Darin wird moniert, dass die grossen EU-Länder mit der Verhinderung von Zahlungsunfähigkeit auch ihre eigenen Banken vor Verlusten bewahren. Finnland, das aufgrund des Schlüssels 1,8 Prozent der Zahlungen und der Garantien leisten muss, sei aber bei den Investitionen in diesen Ländern mit weniger als einem Zehntel des ihm zugemuteten Hilfsanteils exponiert. Dieser Kommentar liefert eine statistische Ergänzung zur Parole von Timo Soini, dass man besser den Armen und den Firmen in Finnland helfen würde, als die über ihre Verhältnisse lebenden Mitglieder am Mittelmeer zu sanieren.
Falls die „Wahren Finnen“ eine Blamage ihres Landes in Brüssel vermeiden helfen, so werden sie sich für dieses Zugeständnis entschädigen lassen - entweder durch politische Zugeständnisse oder durch Ministerposten. Was da auf das Land zukommt, zeigt das Beispiel des „Wahren Finnen“ Jussi Niinistö. Der Professor für Militärgeschichte will das Verteidigungsministerium übernehmen. Laut dem konservativen Internetjournal „Uusisuomi.fi“ fordert er die Schliessung des militärischen Ausbildungsplatzes Dagsviken im Südwesten des Landes. Es ist die einzige schwedischsprachige Garnison, und man bildet dort mobile Strandtruppen aus. Weil die „Wahren Finnen“ Schwedisch als zweite Landessprache der 6 Prozent ausmachenden Minderheit abschaffen wollen, behauptet Niinistö, diese Garnison mache keinen Sinn und sei nur eine Konzession an die Minderheit. Er verspricht höhere Militärausgaben und will damit den „schwedischen“ Weg vermeiden, nämlich den Abbau bei der Armee.
Finnisch-Karelien zurückholen
Der Aspirant auf das Verteidigungsministerium gehörte in den 90er Jahren zur rechtsradikalen „Nationalen Kulturfront“, die eine Eingliederung aller früher von Finnen bewohnten Gebieten forderte. Finnland hat bisher Forderungen für eine Rückgabe des im Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion verlorenen Gebietes in Finnisch-Karelien abgelehnt. Eine solche Diskussion, hiess es in Helsinki, belaste das Verhältnis zu Russland, und man würde sich mit der Rücknahme ein kaum zu lösendes Problem einhandeln. Wer Mannerheims unselige Eingliederung von Karelien im Zweiten Weltkrieg kennt, wird zustimmen. Die 5 Millionen Finnen wohnen in einem Gebiet, das mehr als siebenmal grösser ist als die Schweiz, und sie wissen, dass grosse Flächen heute kein wirtschaftlicher Vorteil sind. Ein unterentwickeltes Gebiet mit einer noch etwas Finnisch sprechenden Minderheit einzugliedern, müsste zu einer Kolonisierung der für Peterburg strategisch wichtigen Landenge führen. Dass der Verteidigungsminister in Wartestellung sich rhetorisch mit der Rücknahme von Finnisch-Karelien befasst, ist ein Hinweis, dass bei der Regierungsbildung nicht nur Portugal ein Problem darstellen wird.