Acht Filme hat die auf Film und Foto spezialisierte Journalistin und Kuratorin Lorey de Lacharrière für Fribourg ausgesucht. Sie handeln im Wesentlichen einerseits vom fürchterlichen Krieg von 1971, andererseits von der Schönheit der bengalischen Kultur. Im Rahmen eines „Spotlight on Bangladesh“ gab es für Interessierte zudem Gelegenheit, einem dreieinhalbstündigen Treffen einiger Filmer und anderer Beteiligter beizuwohnen und eigene Fragen zu stellen. Es ist offenbar das erste Mal, daß im Westen ein Schwerpunkt „Kino in Bangladesh“ – welches mit zahllosen Schwierigkeiten zu kämpfen hat – organisiert wurde.
Die gezeigten Filme wirken auf uns relativ konventionell. Sie erzählen Geschichten, chronologisch, allenfalls in Rückblenden, der Schnitt begrenzt Szenen ähnlich wie im Theater. Die dargestellten Menschen wirken wenig konfliktär – Konflikte finden zwischen einzelnen ProtagonistInnen statt, bei wichtigeren Figuren werden sie im Lauf von deren Entwicklung sichtbar. In Landschaften, Musik und Liedern äußern sich Stimmungen und Gefühle, welche sich in einer Kultur des verhaltenen Ausdrucks in Mimik und Gestik wenig oder gar nicht zeigen können.
Der bengalische Freiheitskrieg von 1971
Drei von den acht gezeigten Filmen erzählen vom Krieg. „Guerilla“ (von Nasiruddin Yousuf, 2011) berichtet von dessen Vorfeld und dem Wüten der pakistanischen Armee gegen die Freiheitskämpfer des ehemaligen Ostpakistan ab März 1971.
Als das indisch-britische Kolonialreich 1947 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, trennte man die Islamische Republik Pakistan als eigenen Staat von der multikulturellen, säkularen Indischen Union ab – als ein Staatsgebilde freilich bestehend aus den zwei rund 1500 km von einander entfernten Landesteilen West- und Ostpakistan. Die Neuregelung spaltete auch das alte Bengalen: in einen indischen, hinduistischen und einen pakistanischen Teil. Im pakistanischen Staat beanspruchte Westpakistan Führung und Vorrang, so wurde etwa Urdu zur National- und Amtssprache erklärt, während man in Ostpakistan vorwiegend Bengalisch sprach.
Es kam zu einer separatistischen Bewegung, welche Westpakistan politisch nicht zu integrieren bereit war oder vermochte, was zur Eskalation führte. Äusserst brutal suchte die pakistanische Armee die ostpakistanische Befreiungsbestrebungen niederzuschlagen – es wurde systematisch vergewaltigt und gefoltert und man redet von drei Millionen Toten. Mit Unterstützung aus dem bengalischen Nordindien siegte schliesslich die Freiheitsbewegung, und Ostpakistan wurde zu Bangladesch – Land der Bengalen.
„The Clay Bird“ (2002) von Tareque Masud erzählt von den wachsenden Spannungen im Vorfeld des Bürgerkriegs, wie sie sich im Leben des Protagonisten und seiner einander entfremdeten Eltern äussern. Masud gilt als wichtigster Repräsentant des neuen bengalischen Films – um ihn, der im August letzten Jahrs durch einen Autounfall zu Tode kam, ist in Fribourg getrauert worden, er ist. Sein Film „Runway“ ist von seiner in den USA geborenen und erzogenen Frau Catherine fertiggestellt und produziert worden. Der Krieg von 1971 ist auch Thema des einzigen Beitrags einer Frau: „Meherjaan“ von Rubaiyat Hossain (2011). „Meherjaan“ heisst „Meher my love“ – es ist die Geschichte der Liebe zwischen einer ostpakistanischen Frau und einem Angehörigen der Armee. Die Geschichte enthält eine Friedensbotschaft. Sie erzählt, daß Mehers weiser Vater die Entzweiung Pakistans nicht wünscht und sie macht klar, daß der geliebte Soldat gar nicht kämpfen wollte. Gleichwohl – oder gerade deswegen – konnte dieser Film in Bangladesh nur eine Woche lang gezeigt werden, bevor er aus den Kinos verbannt wurde. Selbst zwei der beim „Spotlight on Bangladesh“ Anwesenden lehnten „Meherjan“ aus inhaltlichen Gründen ab.
Die Schönheiten des Landes, seines Geistes und seiner Frauen
Der andere Schwerpunkt der Bangladesh-Sektion besingt die Schönheiten des am größten Flußdelta der Welt gelegenen, durch Überschwemmungen, Stürme und steigenden Meeresspiegel schwer gefährdeten Landes. „Monpura“ von Gias Uddin Selim (2011) ist der im Lande weitaus erfolgreichste der Serie, ein reinrassiges Dhallywood-Produkt (Wortbildung mit Bezug auf Dhaka, Hauptstadt und Sitz der Filmindustrie von Bangladesh – der Ursprung dieser Art von Amalgamen liegt in Tollygunge, Stadtteil von Kalkutta und Zentrum der bengalischen und des frühen indischen Films, welches als „Tollywood“ bezeichnet wurde). „Monpura“ fängt damit an, daß der irrsinnige Sohn eines reichen Paars seine Frau umbringt und Shanai, der treue Diener des Hauses, sich mit dem Vorschlag seines Herrn einverstanden erklärt, die Schuld für diesen Mord auf sich zu nehmen. So wird er auf der einsamen und öden Insel Monpura abgesetzt. Der innere Adel des leidenden Helden und sein einfaches, arbeitsames, frohmütiges Leben mit seinen Tieren und seiner reinen Liebe zur schönen Fischerstochter Pori stehen im Gegensatz zum Haushalt seines unredlichen Herrn mit dem psychotischen Sohn, der gerne wie ein britischer Kolonialherr salutiert oder im westlichen Herrenanzug erscheint.
„The Quest“ von Goutam Ghose (2010) spielt im späten 19. Jahrhundert. Er schildert fiktive Gespräche zwischen dem besitz- und bindungslosen alten Dichter, Sänger und Musiker Lalan Faqir – der „auf der Suche nach sich selber“ weise geworden ist – und einem dem Abendland zugeneigten Bruder des im Westen berühmtesten bengalischen Dichters Rabindranath Tagore (1861–1941). „The Quest“ erzählt von einem kostbaren bengalischen Gewebe aus Natur- und Menschenwerk und einer verfeinerten Menschlichkeit. Bei jeder Gelegenheit, als Antwort, Kommentar oder einfach so, beginnt Lalan zu singen, begleitet durch seine bengalische Zupftrommel und andere traditionelle Instrumente.
Es griffe zu kurz, wollte man das Vorherrschen dieses Typus von Filmen lediglich der im Lande herrschenden Zensur zuschreiben. Auch die Zerstörungen des Landes – durch Krieg, Mißstände und Fortschritt westlicher Prägung – sind geeignet, alte und als heil betrachtete Bilder zu evozieren. Ebenso kurz greift der geschmackskolonialistische Vorwurf der Nostalgie. „Nostalgie“ wird nämlich, wie die Literaturhistorikerin Eileen Gregory festgestellt hat, nur im Kontext eines ungebrochenen wissenschaftlich-technischen Fortschrittsglaubens als Hindernis und Krankheit betrachtet. Eine Re-Valuation alter Lebens- und Überzeugungsformen ist dieser Zeiten fällig. Sie ist auch in unserem Land zu beobachten – in „Die Wiesenberger“ etwa von Bernard Weber und Martin Schilt (2012), in This Lüschers „Hoselupf“ (2011) oder Bruno Molls „Alpsegen“ (2011). Manche Errungenschaften der Aufklärung freilich – und immer wieder die Rechte der Frauen – gilt es dabei nicht unter den Tisch fallen zu lassen.
Fragen nach Fundamentalismus, Zensur und Frauenrechten
Aber selbstverständlich stellt sich die Frage nach der – offenbar drakonischen – Zensur, unter welcher die bangladescher Filmer arbeiten. Die Filmproduktion des Landes ist – immer nach der Kuratorin Lorey – nicht dem Kultur-, sondern dem Informationsministerium zugeordnet. Als am Nachmittagsforum zu den Filmen aus Bangladesh ein Filmer angab, die Zensur sei lediglich ein Überbleibsel und ein Erbe der britischen Kolonialherrschaft, wusste man/frau nicht genau, wie das zu verstehen sei. Ebenso schwer zu deuten war die Aussage, die Frauen hätten als Filmerinnen praktisch dieselben Chancen wie Männer. Auf den aggressiven, bombenlegenden islamischen Fundamentalismus angesprochen, wurde gesagt, dieser sei in Bangladesh eine absolute Randerscheinung.
Spürbar war jedoch auch, daß die Gäste auf dergleichen Fragen seitens eines auf Überlegenheit erpichten westlichen Publikums bis zum Überdruß gefaßt waren, und daß sie versuchten, dem Westen wenigstens spurweise beizubringen, daß er auch in Zeiten der Globalisierung nicht die ganze Welt umspannen kann.
Geld und Wert
Von den gezeigten Filmen aus Bangladesh denken die fünf, die nicht von der Befreiung von Pakistan handeln, über das Geld als Inbegriff westlichen Werts und Stolzes nach. Was sind die Wirkungen dieses gleichzeitig virtuellen und konkreten Mediums, welches gleichzeitig Abhängigkeit und Unabhängigkeit, Reichtum und Armut schafft, was ist seine zwischenmenschliche Bedeutung, seine Bedeutung für Gemeinschaften? Wie könnte und kann es überhaupt in die bestehende Kultur eingebaut werden? Was ist Geld wert? Im Okzident – Roger Garaudy hat ihn den „Akzident“ genannt, wie der Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg Delgado im Katalog zum FIFF berichtet – ist es ja zum nahezu verabsolutierten Wert geworden.
Golam Rabbany Biplobs „On the Wings of Dreams“ (2007) schildert die sehr arme Landbevölkerung im Nordens von Bangladesh als glücklich. „They are not poor, they have what they need“ sagte Biplob am Table Round. Seine Geschichte handelt vom rechtschaffenen Balsamverkäufer Fazlu und seiner Familie. Fazlu kauft aus seinen Markteinkünften ein Paar Secondhand-Hosen für seinen Sohn. In deren Tasche findet seine Frau einen hohen Geldbetrag – in einer unbekannten Währung. Der Fund verändert Fazlu: er leiht, im Bewußtsein seines kommenden Reichtums, Geld aus, wird egoistisch, lügenhaft und grob gegenüber seiner guten Frau und lädt eine fremde Schöne ins Kino ein. Die Befreiung vom Geld, legt der Film nahe, könnte das alte Glück zurückbringen. In „Aha!“, dem Erstlingsfilm des Architekten Enamul Karim Nirijhar (2007), spielt ein wunderbarer, freilich renovationsbedürftiger alter Palast mit blühendem Garten die Hauptrolle. Drin wohnt Herr Malik mit seinen Getreuen. Ein Makler möchte auf seinem Grundstück einen rentablen Gebäudekomplex mit 35 Wohnungen bauen. Herr Malik geht darauf zunächst nicht ein. Der Palast war im Moment des Drehs bereits zum Abriß freigegeben – Nirijhar erfindet eine mögliche Geschichte, wie es dazu hätte kommen können.
In Goutam Ghoses „The Quest“ steht die Figur des alten Lalan für den Orient und die geheiligte Armut, die des Herrn Tagore für die Öffnung zu westlichen Werten und Besitz. Lalan hat, ohne zu fragen oder zu bezahlen, auf Tagores Land ein kleines Dorf eingerichtet, wo Menschen verschiedener Herkunft, auch Muslime und Hindus, friedlich zusammenwohnen. Das Gespräch verläuft versöhnlich – Herr Tagore ist selbst künstlerisch tätig und geht mit seinem Reichtum so verantwortlich um wie Lalan mit seiner Armut.
Shanai, der tragische Held von Gias Uddin Selims „Monpura“, verliert seine geliebte Pori, weil der Vater der Schönen, der arme Fischer, dem Angebot von Shanais unlauterem Herrn nicht widersteht und seine Tochter gegen eine große Mitgift an dessen wahnsinnigen, mörderischen Sohn vergibt.
In Masuds „Runway“ (2010) gibt es einen zentralen Wortwechsel zwischen dem jungen Ruhul, der kein Auskommen findet, und seiner alleinerziehenden Mutter. Sie hat mithilfe eines Kleinkredits eine Milchkuh gekauft und kann ihre Familie damit knapp ernähren. Ruhul ist in seiner Not unter den Einfluss islamischer, dem Jihad verpflichteter Extremisten geraten – die unter anderem ein Kino in die Luft sprengen. Er betrachtet nun auch den Mikrokredit als übles und unreines Zinsgeschäft. Die Mutter, die gerade am Melken ist, weist ihn zurecht : „Can’t earn a penny, but declares fatwa like a man!“ „Runway“ heisst der Film, weil Ruhuls Familie gleich neben der Start- und Landebahn des benachbarten Flugplatzes wohnt, immer wieder dröhnen unerreichbare Flugzeuge nahe über sie hin. Ein kleiner Junge zielt mit einer Steinschleuder auf eine der Flugmaschinen. So stellt Masud die Gewalttätigkeit der geldgespeisten Globalisierung auf leise Weise der Gewalttätigkeit des Terrors gegenüber.
Aber auch zum Filmemachen braucht es Geld.
Bangladeshs Filmindustrie
In den Jahren nach der Befreiung kam es in Bangladesh zu einem Aufschwung der Filmindustrie. Im letzten Jahrzehnt jedoch zeichnet sich ein Zerfall ab. „We are not in a good shape“, sagte der Produzent Hasan Khan am Table-Round. Das Land hat auch keine Filmschule, keine Labors, die Filmarchive sind schlecht betreut und die Zahl der Kinos ist, wie Lorey angibt, von 1500 in den Jahren nach der Befreiung auf etwa 600 gesunken, die meist in lamentablem Zustand sind. In Dhaka gibt es ein Multiplex-Kino, da ist der Eintritt aber für die meisten Bangladesher prohibitiv teuer, zumal Bangladesh eine Billettsteuer von 100% erhebt. Die Menschen beschaffen sich deshalb Raubkopien oder schauen TV – ein Teufelskreis. Eine Hoffnung der FilmemacherInnen besteht darin, daß ihre Werke im Ausland, etwa, wie in Fribourg, an Festivals gezeigt werden.
Zum Beispiel scheint es schwer, Geld zu bekommen. Eines von den acht projizierten Werken, „Guerilla“, das Befreiungsdrama, ist großzügig, auch staatlich gefördert worden. „Aha!“ wurde vom Filmer selbst bezahlt, ebenso „On the Wings of Dreams“, der, weitab von der Stadt gedreht, wohl nicht allzu viel gekostet hat. „Monpura“ ist die typische Ausnahme: er ist mit allen Mitteln von Kommerz und Marketing rentabel gemacht worden. Schon vor seiner Fertigstellung konnte er dem Fernsehen verkauft werden – Gias Uddin Selim hat lange beim Fernsehen gearbeitet. Die Lieder wurden vor dem Film lanciert, sodass das Publikum sich drängte, die Bilder dazu zu sehen, die Herstellung von Raubkopien wurde verhindert. Zudem wurde der Film am 30. Februar, dem „loving day“ gestartet und gut verteilt.
Wenn Hasan Khan einen Film produzieren wolle, denke er nicht vor allem ans Geld – „we are all friends“, sagt er. Man müsse gute Filme machen.
Nouveau Territoire
Es ist eine große Tat des FIFF, ein solches Panorama anzubieten, und der neue Direktor Thierry Jobin hat angekündigt, daß er in den nächsten Jahren weitere Serien „Nouveau Territoire“ zu zeigen gedenkt. Neuland waren diese Filme aus Bangladesh in manchen Hinsichten. Sie bieten uns die Gelegenheit, unsere Seh-, Hör- und Urteilsgewohnheiten zu reflektieren und zu versuchen, die Welt, die uns da gezeigt wird, möglichst unverstellt wahrzunehmen.