Spezielle Sektionen erlauben vertiefte Ein-Sichten – etwa in das syrische Filmschaffen oder dasjenige der Native Americans, der UreinwohnerInnen nord-amerikanischen Kontinents. Das Filmfest wird bis nächsten Samstag dauern, hier gesamte Programm.
Indigenous North American Cinema
Unter dem Titel „Terra incognita“ figuriert dieses Jahr das Filmschaffen der Native Americans von Kanada und den USA. Kuratiert wurde die Sektion von Alanis Obomsawin, sie ist selbst eine Indigene, Filmerin und diesjähriges Jurymitglied. Eindringlich hat sie ihrem Publikum den Film „Reel Injun“ als Einführung („Injun“ ist offenbar eine abwertende Bezeichung für Native Americans). Er thematisiert das Bild des „Indianers“, wie es das Kino transportiert – „die Indianerin“ bleibt, ausser in Ausnahmefällen, unsichtbar. Er wurde gleich zu Beginn der Festivals gezeigt.
Das Bild der Indianer im Film
„Reel Injun“ (Neil Diamond, Kanada 2009) handelt von der Reise des kanadischen Filmemachers Neil Diamond durch den nordamerikanischen Kontinent, ein Reel- and Roadmovie sozusagen – auf der Suche nach den Nachkommen der Ureinwohner, nach Zeitzeugen und Filmen, in welchen „Indianer“ vorkommen. Deren Bild und das eigene Verhältnis der Abgebildeten dazu hat sich im Lauf der Geschichte verändert. In frühen Werken wurden sie als faszinierende Wilde dargestellt, oftmals spirituell, edel und frei. Einer der ersten Filme aus Edisons Studio war der 17 Sekunden lange „Buffalo Dance“ von 1894. Im Zug der „Great Depression“ der 1930-er Jahre begannen die Indigenen als Erzfeinde der Weissen aufzutreten. Die neuen Leinwandhelden waren Weisse, wie sie etwa der Patriot John Wayne verkörperte. Wenn sie als Kinder solche Filme angesehen hätten, erzählt ein Gesprächspartner, hätten sie sich ohne weiteres mit den Weissen identifiziert und gar nicht gemerkt, dass sie selbst Indianer seien. Mit und nach Kevin Costners „Dances with Wolfes“ (1990) tauchten differenziertere Porträts auf, in welchen native people sich authentisch zeigten oder gezeigt wurden. 2001 dann kam das erste ganz von kanadischen Ureinwohnern geschaffene Werk, „Atanarjuat: The Fast Runner“ (Zacharias Kunuk) auf die Leinwand.
Falschbilder und Korrekturen
„Reel Injun“ erzählt auch von einzelnen angeblich indigenen Hollywood-Stars, die gar keine Indianer waren. „Iron Eyes Cody“ zum Beispiel war Italiener, Chief Buffalo Child Long Lance war „tri-racial“: indianisch, schwarz und weiss – er erlebte einen vernichtenden sozialen Sturz, als dies herauskam. Der Film ruft in Erinnerung, wie beliebt das Indianer-Spielen bei weissen Buben und Männern war und ist, im Film wie im Leben.
Einen mittleren Skandal löste Sacheen Littlefeather 1983 aus, als sie an der Academy Awards-Zeremonie auftrat, um in Marlon Brandos Namen mitzuteilen, dass dieser seine Auszeichnung aus Protest gegen die schlechte Behandlung der Natives durch die Filmindustrie nicht annehmen werde. Sogar Morddrohungen habe sie daraufhin erhalten, berichtet die älter gewordene Sacheen Cruz Littlefeather dem Filmemacher. Er wünsche sich, selbst einmal einen ihm zugedachten Preis der Akademie ablehnen zu können – mit Hinweis auf die Misshandlung von Marlon Brando, kommentierte der indianische Komiker Charlie Hill das Ereignis.
Die Häuptlingstochter Pocahontas übrigens sei zur Zeit ihrer allfälligen Begegnung mit dem Weissen Mann neun Jahre alt gewesen.
Zur Geschichte der gebrochenen Versprechen
„Kanehsatake, 270 Years of Resistance“ (Kanada 1993), eines der vielen Werke von Alanis Obomsawin, der Kuratorin der diesjährigen „Terra-Incognita-Reihe“ selbst, dokumentiert eindrücklich die so genannte Oka-Krise, die Revolte der Mohawks von Kanehsatake. Sie begann, als der Bürgermeister von Oka (Quebec) einer Baufirma erlaubt hatte, einen privaten Golfplatz auf Kosten eines Friedhofs und eines Waldes des Mohawk-Lands zu erweitern. Die zum Teil sehr heftige Auseinandersetzung – ein Blutbad war ernsthaft zu befürchten – dauerte vom 11. Juli 1990 bis zum 26. September, das Militär- und Polizeiaufgebot war gewaltig, 155 Millionen Dollars hat der Sieg des Golfplatz-Projekts den Staat gekostet. Die tapferen Mohawk-Frauen und Männer haben sich nicht ergeben, sie sind und bleiben stolz darauf, das ihnen Mögliche im Kampf um Gerechtigkeit getan zu haben. Manche Liegenschaften um den Golfplatz herum seien im Anschluss an die Oka-Krise verlassen, vom Staat gekauft und dem Mohawk-Stamm überschrieben worden, fügte die Filmerin mündlich bei. Am Dienstag 24., 17:15 wird sie im Gespräch mit Patrice Meyer-Bisch, Universität Fribourg, zu sehen und zu hören sein (Cap Ciné 7).
Syrien: Spannungen, Detonationen, Entsetzen
Auch in diesem Jahr ist ein Filmemacher eingeladen, im Rahmen der „Hommage à . . . „ Schlüsselwerke aus der Filmgeschichte seines Landes zu zeigen. Diesmal war es Ossama Mohammed aus Syrien – der zur Zeit in Paris im Exil lebt. Sein Dokumentarfilm „Silvered Water, Syria Self-Portrait“ (Syrien und Frankreich 2014), der ihm die Einladung nach Fribourg eingetragen hat, wird am Dienstag und am Mittwoch zu sehen sein. Im Anschluss auf die zweite Projektion wird Ossama Mohammed ausserdem eine Meisterklasse geben.
„Everyday Life in a Syrian Village“ (Omar Amiralay, Syrien 1976) dokumentiert das Elend und die gespannte Situation der syrischen Bauern im Konfliktfeld zwischen der Baath-Partei mit ihrer Agrarreform und den herrschenden Stämmen.
Im übrigen zeigt Ossama Mohamed neuere Dokumentarfilme, in denen der Lärm von Düsenjets, Bombeneinschlägen und Schüssen sowie Bilder von Ruinen und Rauchsäulen zum regelmässigen Hintergrund gehören. „Return to Homs“ (Talal Derki, Syrien und Deutschland 2013) konnte bisher nur in einer „Arte“-Kurzfassung gezeigt werden.
„Our Terrible Country“ (Ziad Homsi, Mohammad Ali Atassi, Syrien und Libanon 2014) begleitet den bekannten Dissidenten, Doktor und Schriftsteller Yassine Haj Saleh, der sich entschliesst, das Land und seine Familie zu verlassen und sich in Istambul niederzulassen – der Preis für seine Sicherheit erscheint unerträglich hoch. Yassin Haj Saleh ist auch in „Journey into Memory“ (Hala Mohammad, Syrien 2006) porträtiert, der Dokumentation der Autofahrt eines Dichters, eines Autors und eines Filmers zum gefürchteten Gefängnis von Palmyre – alle drei waren dort zehn und mehr, er selbst 19 Jahre lang inhaftiert gewesen und auch gefoltert.
„The Immortal Sergeant“ (Ziad Kalthoum, Libanon 2014) zeigt Syrien im Konvexspiegel eines Filmteams. Der syrische Filmer Mohamed Malas dreht seinen jüngsten Film. Sein Assistent, Ziad, offenbar als Reservist im Theater Bassel Al Assad in Damaskus eingeteilt, dreht seinerseits nebenbei, er filmt seine Dienstwege, sieht und hört seine Füsse vor sich, und seinen Schritt, die Plakate und Slogans des Regimes, die Vision von dessen Fall, er filmt das Kino, in dem gedreht wird und die Umgebung des Drehs, er interviewt die Beteiligten – und montiert sein Material auf äusserst kunstvolle Weise.
Schmerzpunkt Kunst
Sehr eindrücklich ist Meyar Al Roumi’s dokumentarischer Blick auf die Generation von KünstlerInnen in seinem Land, die ihr Brot im westlich dominierten Kunstbetrieb verdienen („L’Attente du jour“, Syrien 2003). Sie sprechen von der Entfremdung von ihrem Land, ihren Leuten, ihrer Kultur, die dadurch entstehe. Ein Hornist, der lieber Lautenspieler geworden wäre, bemerkt, die Menschen von der Strasse würden bei Tschaikowski nicht mitsingen, Klassik störe sie. Wiederholt schneidet der Filmer den Singsang der Verkäufer, die besonderen Töne der belebten Strasse ein – wo findet die arabische Musik und Musikalität im globalisierten Musikbetrieb ihren Platz? Eine renommierte Sängerin fühlt sich letztlich unwohl im klassisch-westlichen Setting, sie möchte eine neue Kunst des Singens kreieren – man müsse Vokale hinzufügen, sagt sie, der Klang der Buchstaben müsse im Gesang mitschwingen, „Du musst üben, bis du die Vibration findest…“
„L’Attente du jour“ endet mit dem Refrain eines Lieds: „ … demain nous grandirons et le monde grandira avec nous“ – ja, warten wir darauf.