Notenbanker sind äusserst vorsichtig mit ihren Äusserungen. Jede Andeutung, dass sich am den Geldkreislauf entscheidend steuernden Leitzins etwas ändern könnte, hat dramatische Auswirkungen. Noch zurückhaltender ist die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) mit Sitz in Basel. Sie ist sozusagen die Bank der Zentralbanken und mit Gründungsjahr 1930 die älteste internationale Finanzorganisation. Normalerweise veröffentlicht die BIZ Statistiken, Regulatorien und ist Versammlungsort für momentan 60 Notenbanker. Alles streng geheim, vertraulich. Abhörsicher (vielleicht).
Klare Worte
Selbst der Jahresbericht der BIZ oder andere Verlautbarungen sind traditionell ein Hort des gepflegten «einerseits, andererseits, aber vielleicht doch nicht wirklich». Ganz anders diesmal. Mit geradezu fassungslosem Schweigen wurde die am Sonntag veröffentlichte Rede des Generaldirektors der BIZ aufgenommen. Denn er spricht sehr klar aus, was natürlich schon längst offensichtlich ist. Mit der Politik des billigen Geldes kann es nicht so weitergehen, vornehmer formuliert: «Das Kosten-Nutzen-Verhältnis der anhaltend lockeren Geldpolitik verschlechtert sich.» Ein Donnerschlag von höchster Warte.
Um ihn zu hören, muss man verstehen, was das Teuflische an Gratisgeld ist und wie es entsteht. In den grossen Währungsräumen der Welt, Dollar, Euro und Yen, gibt es nur eine Bank, die die Geldmenge und den allen Geldgeschäften zugrunde liegenden Leitzins festlegt. Die Notenbank kann Geld drucken und frei bestimmen, zu welchem Zinssatz sie Geld an Finanzhäuser ausleiht. Die klassische Theorie dazu lautet: Wirtschaftskrise, lahmende Konjunktur, zu wenig Investitionen. Also Geldschleuse auf, Zinsen runter. Damit werden Investitionen stimuliert, Wirtschaftsaufschwung. Anschliessend wird der Zinssatz raufgesetzt, Geld wieder abgeschöpft. Funktioniert natürlich, wie die meisten grossartigen Finanztheorien, nicht.
Der reale Wahnsinn
Seit der Finanzkrise 1 pumpen Notenbanken frisches Geld im Multimilliardenpack in den Finanzkreislauf. Gleichzeitig liegen die Zinsen bei faktisch Null. Geld ist gratis. Nur: ein Wirtschaftsaufschwung ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Bei Todesstrafe verboten sollte zudem sein, was staatliche Notenbanken auch machen: Sie kaufen Staatsschuldpapiere auf, ein elender Taschenspielertrick. Warum machen sie das? Ganz einfach. Angesichts der lächerlich niedrigen Verzinsung sind immer weniger Investoren bereit, für faktisch nichts Staaten Geld zu leihen. Statt eines Entgelts für das Risiko, durch einen Staatsbankrott oder einen Haircut wie im Falle Griechenlands und Zyperns Geld zu verlieren, gibt es nicht nur keinen Zins, sondern verliert der Gläubiger, inflationsbereinigt, sogar meistens noch Geld. Absurd, aber wahr.
Gleichzeitig vergeben Banken nur ungern Kredite an die Realwirtschaft. Zu kompliziert, zu aufwendig, zu risikoreich. Wieso nicht besser Gratisgeld aufnehmen und damit im virtuellen Zockercasino Wetten hebeln? Oder in Staatsschuldpapiere hauen, die netto einen Ertrag abwerfen. Das damit verbundene Risiko wird im schlimmsten Fall über «too big to fail» gelöst, also wieder vom Staat. Ist doch ein Geschäft, wie es der Banker liebt. Zwei Klicks auf der Tastatur, Füsse hochlegen und Bonus zählen.
Sinnvoll und sinnlos
Im Fachchinesisch der Finanzwelt gibt es einen Ausdruck, der hier von entscheidender Bedeutung ist: Allokation der Ressourcen. Auf Deutsch: Geld kann dort eingesetzt werden, wo es Sinn macht – oder verpulvert wird. Sinn macht Geld, wenn es investiert wird, also zur Steigerung der Wertschöpfung beiträgt. Verpulvert wird es, wenn refinanziert wird, also alte Schulden durch neue abgelöst werden. Zu niedrigeren Zinsen, wohlgemerkt. Statt dass billiges Geld für die Verbesserung der Infrastruktur, die Steigerung der Produktivität und ähnliche nützliche Dinge verwendet wird, pumpt sich seit Jahren weitgehend wirkungslos eine gigantische Geldblase auf. Ohne Wirtschaftswachstum, ohne anziehende Konjunktur. Ohne erkennbare Aussicht auf Besserung.
Drum herum spielen die Aktien- und Obligationenmärkte verrückt, Börsenindizes gehen dann hoch, wenn sie eigentlich runter gehen sollten und umgekehrt. Weil die beiden Stellschrauben Geldmenge und Leitzins den Blutkreislauf des Kapitalismus regulieren. Sollten. Wenn Geld faktisch gratis ist und in rauen Mengen vorhanden, wenn ein inflationsbereinigter Zinssatz von drei, besser fünf Prozent dem Risikonehmer nicht eine anständige Prämie verschafft und den Kreditnehmer von allzu kühnem Spekulieren abhält, dann gibt’s Bluthochdruck und irgendwann einen Herzinfarkt.
Niemand hat recht
Wir haben die absurde Situation, dass weder die Anhänger von Keynes – der Staat muss antizyklisch Geld in die Wirtschaft pumpen – noch die Monetaristen – das darf der Staat nicht, weil das zu einer galoppierenden Inflation führt – recht haben. Es gibt keinen Wirtschaftsaufschwung – aber auch keine gewaltige Inflation. Jedoch eine gigantische Geldblase, die bislang weder das eine noch das andere bewirkt. Lustige Zeiten. Die wichtigsten Volkswirtschaften der Welt schweben also in einer Art Geldblase über der ökonomischen Realität und schauen auf die unerfreuliche Wirtschaftssituation hinunter.
Da eine solche Situation meiner Kenntnis nach historisch einmalig ist, weiss eigentlich niemand so recht, was denn genau passiert, wenn die Geldmenge verringert oder der Leitzins hinaufgesetzt wird. Aber alle Fachkräfte, inklusive BIZ, haben offensichtlich ein zunehmend ungutes Gefühl. Das wollen wir mal streng wissenschaftlich so fassen: ui, ui, auweia, aber hallo. Wo ist hier der Notausgang?