Die politische Geschichte Europas war einmal eng mit dem Papsttum verknüpft. Das ist längst vorbei. Die ältlichen Herren im Vatikan haben im Westen jeden Einfluss verloren. Selbst im katholischen Italien. Glücklich jene, die in der Vatikan-Kirche Halt und Trost finden. Doch der Vatikan ist ein krankes und machtloses Imperium geworden. Warum fasziniert er uns noch immer? Warum sind die Medien voll von Papst-Geschichten? Der Vatikan ist zwar machtlos, aber geheimnisvoll. Und Geheimnisvolles fasziniert. Hohe Mauern, Intrigen, Machtkämpfe, rote Schuhe, der schöne Gänswein, Luxus der Kardinäle, gregorianische Gesänge – alles toll. Wie kam der Schweizergardist Cédric Torney wirklich zu Tode? Und der 33-Tage Papst Johannes Paul I.? Eine Nonne fand ihn aufrecht sitzend im Bett. Er lächelte und war tot. Verschwörungstheorien, Unterstellungen, Vatileaks, alles abgeschirmt, abgeschottet, alles in göttliche Watte gewickelt. Das fesselt uns. Wie einst die Kreml-Geschichten. Die Berichte über den Vatikan sind heute Boulevard vom Besten, spannender als Storys über die Royals. - Jetzt wird ein Neuer gewählt. Schwarzer Rauch, weisser Rauch, wir fiebern mit wie in einem Harry-Potter-Film. Zu hoffen ist, dass der Neue weniger konservativ ist als seine Vorgänger. Aber um Gottes Willen: nicht allzu progressiv. Bitte keine Geheimnisse lüften. Wir wollen keinen modernen Papst. Spannend ist der Vatikan nur, wenn das Geheimnisvolle weiterbesteht. Wenn wir weiter spekulieren können, was hinter den hohen Mauern geschieht. (Heiner Hug, Rom)