Das Kunsthaus Zug, klein, abseits der grossen Kunst-Strassen, feiert. Vor 30 Jahren eröffnet es seine heutige Bleibe an der Dorfstrasse. Der Solothurner Architekt Franz Füeg baute die Liegenschaft „Hof im Dorf“ unweit der Zuger Burg um und schuf Museumsräume von hoher Qualität, was Proportionen und Lichtverhältnisse betrifft. Bereits ein paar Jahre früher begann die Zuger Kunstgesellschaft mit dem Aufbau ihrer Sammlung. Und sie suchte nach Schwerpunkten abseits jener, welche die anderen Häuser bereits pflegten, nach einer Nische also. Rainer Peikert, damals Präsident der Kunstgesellschaft, liess sich bei dieser Suche von Fachleuten beraten – von Heiny Widmer, Direktor des Aargauer Kunsthauses in Aarau, und von Hans-Jörg Heusser (Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft).
Widmer blieb in den Ratschlägen seiner Aarauer Ausstellungs- und Sammlungspolitik treu, in der die Kunst abseits grosser Pfade eine wichtige Rolle spielte. Auch Heusser, der 1982 mit einer gewichtigen Publikation über den dem Surrealismus nahestehenden Luzerner Max von Moos hervorgetreten war, verleugnete sich nicht. Das ergab eine wichtige Grundausrichtung der Zuger Kunstsammlung mit klarer Konzentration auf die Schweizer Kunst des 20. Jahrhunderts und dabei mit einem Schwerpunkt bei einer Kunst, die sich nur schwer feinsäuberlich in Schubladen einordnen lässt. Outside? Surrealismus? Surrealistisches? Phantastisches? Art brut? Naive Kunst? Alles zusammen?
Einblicke in die Sammlung
Jetzt gibt das Kunsthaus Zug, seit Beginn von Matthias Haldemann als Direktor geleitet, Einblick in seine Sammlung und fördert Kunstwerke zu Tage, denen anderswo kaum zu begegnen ist, da sie, wenn überhaupt vorhanden, in Depots schlummern.
Der Titel der von Sammlungskonservator Marco Obrist kuratierten Ausstellung „Fantastisch Surreal“ verweist auf das erwähnte Konzept. Dieses Konzept ist undoktrinär und offen. Vor allem: Statt von „Surrealismus“ spricht er von “Surreal“, was eben nicht die Kunst im Umkreis von André Breton meint, sondern eine Atmosphäre oder Haltung. Zusammen mit dem Begriff „Fantastisch“ ergibt sich ein freies Konzept, das den Rahmen weit steckt, an Grenzen stösst und sie mitunter auch überschreitet. Der Ausstellungsbesuch wird so zum abwechslungs- und überraschungsreichen Gang durch Teilaspekte der Schweizer Kunst.
Phantastische Imaginationskraft
Einige Namen zeigen, was diese Ausstellung freilegt und zugänglich macht. Mit Adolf Wölfli ist das Schweizer Paradebeispiel des Art brut vertreten. Hans Schärers „Madonna“, Friedrich Kuhns Malereien, Eva Wipfs Schrein oder Philipp Schibigs feinmaschig-sensiblen Zeichnungen – all das verweist auf Kunst, die sich jedem Schubladen-Denken entzieht, und die nach Eigenständigkeit und nicht nach einem Zeitgeschmack sucht.
In ähnliche Richtungen verweisen Werke von träumerischem Charakter – etwa der Luzernerinnen Irma Ineichen und Josephine Troller oder der Aargauerin Ilse Weber, die in etwa für das stehen können, was voreilig mit dem plakativen Begriff „Innerlichkeit“ versehen wurde.
Weitere Beispiele fantastischer Imaginationskraft sind die Malereien des sich allen Stilbegriffen entziehenden Zürchers Muz Zeier oder die wie Psychogramme wirkenden spontanen Pinselzeichnungen des Zugers Josef Herzog – und natürlich die beiden Werke von Meret Oppenheim. Sie ist von allen Schweizerinnen und Schweizern am engsten mit dem Kern des Surrealismus in Paris verbunden, aber gerade sie liess sich nie in ein Korsett zwingen: Es scheint, als habe sie in ihrem Schaffen nie Fortsetzungen im Auge gehabt; vielmehr trat sie stets die beschwerliche Suche nach einem Neuanfang an.
Die Zuger Sammlung öffnet ein grosses Fenster auf eine „andere“ Schweizer Kunst, schlägt aber auch den Bogen zu bekannten Namen der 80er und 90er Jahre – zu Hannah Villiger, Dieter Roth, Miriam Cahn, Klaudia Schifferle oder Martin Disler. Der letzte Raum des Obergeschosses bringt die Begegnung mit einem Riesenwerk von Jean-Frédéric Schnyder, mit der Malerei „Froschkönig“ von 1976, einer heiter-spielerischen, zugleich aber auch beklemmenden Phantasie- und Farberuption (Bild: siehe oben).
Die Sammlung Kamm
Die Zuger Kunstsammlung verfügt nun allerdings auch über andere Schwerpunkte, die die Zuger Kunstgesellschaft aus eigenen Kräften nie hätte setzen können. Das hängt zusammen mit der weit ausgreifenden Sammlertätigkeit der Zuger Familie Kamm, des eng mit Wien und Fritz Wotruba verbundenen Sammler-Ehepaar Editha (1901-1980) und Fritz Kamm (1897-1967), welche die grösste Sammlung österreichischer Moderne ausserhalb Österreichs aufbauten. Ihre Nachkommen – das Ehepaar Peter (1935-2008) und Christine Kamm-Kyburz (1949-2019) sowie Christa Kamm – errichteten 1998 die im Zuger Kunsthaus domizilierte Stiftung Sammlung Kamm, und sie führten die Sammlertätigkeit bis in die Gegenwart substanziell weiter.
Grosse Bestände der Wiener Kunst um 1900 aus der Stiftung Sammlung Klamm weilen gegenwärtig für die Ausstellung „Wien 1900“ im Musée Cantonal des Beaux-Arts in Lausanne. Doch manche Werke der Sammlungen Kamm fügen sich nahtlos ins Sammlungskonzept des Museums und sind denn auch jetzt in der Ausstellung zu sehen – visionär gespenstische Werke Alfred Kubins zum Beispiel, Blätter von Paul Klee, von Max Ernst, Hans Arp, Kurt Schwitters. Auch da geht es oft um Zwischenbereiche, um das Ungefestigte, Rätselhafte abseits der grossen Strassen.
Körperlich von Bildern umfangen
Zu sehen sind auch zwei Gemälde von Fernand Léger – und das in jener überraschenden Präsentation, die auf die Aktivitäten des Wiener Architekten Friedrich Kiesler (1890-1965) zurückgeht, der lange Jahre in New York tätig war und dort für die Galerie von Peggy Guggenheim arbeitete. Er befestigte die Bilder an in den Raum ausgreifenden, oft schrägen und auf ganz unterschiedlicher Höhe montierten Metallarmen. Ein Raum im Zuger Kunsthaus folgt dieser Idee: Man nimmt die Werke von Léger, Seligmann, Arp und Max von Moos als schwebend wahr, und man sieht sich als Besucherin und Besucher gleichsam körperlich von Bildern umfangen und einbezogen in einen bewegten Bilderraum – ein ungewohntes Wahrnehmungserlebnis mit ganz überraschenden Resultaten.
Bis 24. Mai. www.kunsthauszug.ch