Der Sieg der 42jährigen Rechtsanwältin, die seit 1998 in der Partei ihres Vaters aktiv ist, wurde am Kongress in Tours an diesem Wochenende nach internen "Primärwahlen" unter den rund 20'000 Parteimitgliedern bekanntgegeben. Bei diesen Primärwahlern erhielt Marine 68 Prozent der Stimmen. Bisher war Jean-Marie Le Pen jeweils durch Akklamation bestätigt worden.
Der unterlegene Gegner, der 60jährige Lyoner Universitätsprofessor Bruno Gollnisch, ein langjähriger Weggefährte von Le Pen, vertrat noch zu sehr die alte Garde, die Ewiggestrigen, die Marine als "Karikaturen" verachtet. Dazu zählen die Traditions-Katholiken, die Antisemiten und Leugner der Shoa, die letzten Anhänger von Marschall Pétain. Marine le Pen, die jüngste von drei Töchtern, will eine moderne Partei, gegen deren übliche "Verteufelung", ohne rechtsextremen Mief. Das heisst, eine Partei, die in den Medien gut ankommt, also einen modischen Rechtsextremismus "soft". Eine Epoche ist zu Ende gegangen.
Sarkozys Angst
Es ist ein deutlicher Bruch mit dem Stil von Le Pen, nicht aber automatisch mit dessen inhaltlicher Politik, auch wenn da Marine versucht, die Akzente etwas anders zu setzen. Statt vom Zweiten Weltkrieg und den Gaskammern, die Le Pen als ein "Detail" bezeichnete, spricht sie von der Globalisierung, gegen die sie nationalen Protektionismus fordert. Das ist eine Abkehr von den simplen neo-liberalen Wirtschaftspostulaten des Vaters. Statt die Immigration kopfüber zu verteufeln, verlangt Marine le Pen einen "französischen Islam". Sie spricht weniger von der Nation, als von der Republik und verteidigt deren Laizität gegen die Ansprüche der Scharia.
Damit kann die Tochter bei einer breiteren Wählerschaft hoffähig werden und nicht umsonst fürchtet man in Elysée Marine mehr als Martine (Aubry, Chefin der Sozialisten). Nicht ohne Grund hatte Sarkozy mit seinen Ausfällen gegen kriminelle Ausländer, den Ausweisungen der Roma, der Angstmacherei um die innere Sicherheit versucht, dem Front national Terrain abzugewinnen - ohne Erfolg, wie sich jetzt zeigt.
Sein eigener Feind
Jean-Marie Le Pen tritt mit 82 Jahren ab, nach fast 40 Jahren uneingeschränktem Herrschens über den 1972 gegründeten Front national, der die heterogenen rechtsradikalen und rechtsnationalistischen Gruppierungen Frankreichs unter einem Hut vereinen sollte. Es ist dies das Ende einer Epoche, die letztlich glanz- und sieglos verlief. Man wird deswegen nicht gleich erneut das Ende des Front national prophezeien, der sich von seinen unzähligen Wahlniederlagen und Spaltungen stets wieder erholt hatte. Und dies bis zum grossen Triumph von Le Pen, dem es gelang, 2002 wegen des kindischen Verhaltens der linken Wählerschaft (die Ex-Premierminister Jospin strafen wollte), gegen Chirac in der zweiten Runde der Präsidentenwahlen anzutreten - ohne jegliche Chance allerdings. Mehr als Europa-Abgeordneter ist Le Pen nie geworden.
Er hat dies nie verwunden, aber auch immer wieder selbst verschuldet. Er war selbst sein stärkster Feind, der mit seinen gezielten Provokationen, Halbwahrheiten, persönlichen Verunglimpfungen und Ausfällen gegen das ihm verhasste politische Establishment sowie mit Geschichtsklitterungen sich selbst aus den Salons der Republik ausgeschlossen hatte. Das schloss nicht aus, dass er mit seinen polemischen und plakativen Parolen den traditionellen Parteien viele Wähler abspenstig machen konnte und der Front national in wichtigen Listenwahlen oft 25 Prozent aller Stimmen erreichte. Diese Marke galt lange Zeit als der "Sockel" des Front national, vor allem in Südfrankreich, wo die Partei auch zweitweilig in einigen wichtigen Städten (Toulon, Orange, Vitrolles) regierte.
Als ebenso markant erwiesen sich aber auch die Abspaltungen und Ausschlüsse, erst 1998 mit dem Abgang der Nummer Zwei, Bruno Mégret, und dann nach 2002, als zahlreiche Parteigrössen gegen die eigenmächtige Nominierung von Marine Le Pen als Sprecherin und Nachfolgerin und später als Vizepräsidentin (neben Gollnisch) protestierten und deshalb aus dem Politbüro ausgeschlossen wurden. In der Präsidentenwahl von 2007 kam Le Pen noch auf 10 Prozent der Stimmen. Marine Le Pen, die im Nord-Pas-de-Calais eine starke regionale Stellung behauptet, werden für 2012 jetzt 17 Prozent zugetraut, was einen entsprechend beunruhigenden Aderlass für die etablierten Parteien bedeuten würde.
Problem mit Europa
Die Demagogie von Le Pen hatte den Vorteil, dass der rechtsradikale Gegner in Frankreich klar identifizierbar war und alle anderen Gruppierungen nur ein Schattendasein führten. Aber sie reichte nicht für Zusammenschlüsse mit rechtsradikalen oder nationalistischen Partein innerhalb der Europäischen Union. Die Differenzen zu flämischen, dänischen, italienischen, österreichischen und britischen Parteien des rechtsradikalen und nationalistischen Spektrums erwiesen sich stets als unüberwindbar. Schon in der Europa-Frage konnte man sich nicht einigen.
Marine Le Pen lobt jetzt die Schweizerische Volkspartei über den grünen Klee (Stichworte: Minarett-Verbot, Ausländerpolitik), was dieser hoffentlich peinlich ist. Zur EU hat der Front national als Patentrezept den Ausstieg aus dem Euro und einen verschärften nationalen Protektionismus, also kurzerhand den Austritt aus der EU - mit der Wiedereinführung der Todesstrafe unter anderem. Diese Position beeinträchtigt massiv den Versuch Marine Le Pens, sich im Gegensatz zu ihrem Vater auch als Wirtschaftsspezialistin und Sozialpolitikerin zu zeigen.
Rückfälle
Ihr Bemühen, sowohl sozialpolitischen als auch wirtschaftlichen Sachverstand und Gemeinsinn zu beweisen, um die Partei endlich salon-. und mehrheitsfähig zu machen, stösst sich stets am ideologischen Erbe des Vaters. Um die Aufmerksamkeit der Medien wach zu halten, muss sie aber Teile davon übernehmen, auch wenn sie es insgesamt nicht teilt. Sie habe, sagt sie, nicht "die gleiche Vision" und nicht die gleiche Sicht auf die Zeitgeschichte. Seit 2009 ist Marine le Pen wieder radikaler geworden - und die Medien empfingen sie tatsächlich sofort mit offenen Armen. Trotz der anderen "Vision" hat sie vor Weihnachten erklärt, dass das illegale Beten der Muslime auf öffentlichen Strassen mit der deutschen Besetzung des Landes im Zweiten Weltkrieg vergleichbar sei. Diese Besetzung war vom Vater einmal sinngemäss als "nicht unmenschlich" bezeichnet worden. Familiensinn triumphiert. Zumindest macht auch Marine Le Pen immer wieder zunichte, was sie doch mehren möchte: die Glaubwürdigkeit und "Entteufelung" des Front national.