Es gibt den Typus des aggressiven Retters im Angesicht eines - von ihm - angekündigten Niedergangs. Er ist wahlweise Retter des Abendlandes, der Zivilisation, der Sitten, der Sprache oder auch der Natur. Ökofundamentalisten legitimieren ihre Aktionen nicht selten im Namen einer „reinen“ Natur, eines ursprünglichen, quasi-paradiesischen Ökosystems.
Die Ökokalyptiker
Eine buntscheckige Gilde von Ökokalyptikern – vom abgedrehten Spinner bis zum seriösen Wissenschafter – hält heute das Banner dieser Rettung hoch. Neuerdings werden antidemokratische Töne laut, spricht man von diktatorischen Massnahmen zum Erhalt von Mutter Erde. James Lovelock, Schöpfer der Gaia-Hypothese, schlug kürzlich im „Guardian“ eine Experten-Herrschaft vor: „In demokratischen Ländern ist die Zerstörung der Natur und die Anhäufung ökologischer Katastrophen am weitesten fortgeschritten (..) Unsere einzige Hoffnung liegt in einer rigiden zentralisierten Regierung und der kompromisslosen Kontrolle des individuellen Bürgers.“
Der weltbekannte Insektenforscher Edward O. Wilson plädiert in seinem eben erschienenen Buch „Half-Earth“ dafür, die halbe Erdoberfläche zum Reservat für die Erhaltung der nichtmenschlichen Rest-Spezies zu erklären. Die Antwort darauf, wie und wohin er die indigene Bevölkerung der anvisierten Naturparks umsiedeln will, bleibt uns der wackere Möchtegern-Noah schuldig.
Die echten und die falschen Naturliebhaber
Die biologisch munitionierte Misanthropie erhebt sich meist unscheinbar und banal. Man sitzt zum Beispiel am Waldrand, versunken in die andachtsvolle Bewunderung der Landschaft und auf einmal besetzt ungefragt eine Familie mit lärmiger Kinderschar, schlimmstenfalls Secondos, den Nachbarplatz. Ein gewisser Elitismus im Namen der Natur steigt schnell hoch. Unartige Krethi und Plethi natürlich; Naturbanausentum; mangelndes Sensorium für Waldsaumseligkeit.
Meist ist es so, dass man die eigene Naturempfindsamkeit erst als Überempfindlichkeit gegen andere „Naturgeniesser“ entdeckt. Sie dient dann vorzüglich dazu, die Missbilligung durch etwas „Höheres“ zu rechtfertigen, eben: durch eine feinnervige Rezeptivität für Eschensausen und Froschquaken. So richtig zur Sache geht der deutsche Natur-Mystagoge Reinhard Falter. Für ihn gibt es nur zwei Menschenarten, echte Naturliebhaber und „Dutzendmenschen“. Erstere sind eine Sekte von Eingeweihten, die auch schon mal mit den Natur intim werden, Flussgott spielen und in Feuchtgebieten Najaden nachstellen. Der massenhaft vorkommende Dutzendmensch ist seinerseits in zwei Klassen unterteilt, „Ameisen“ und „Schnapsnasen“. Ihnen hat Falter einen Endzeitkampf „auf Leben und Tod“ erklärt: „Rücksichtnahme auf den symbolischen Dutzendmenschen gibt es für den echten Naturschützer nur als Taktik.“
Her mit den Sündenböcken!
Die Gefährdung der Natur durch die industrialisierte Lebensform ist ein akutes und wichtiges Problem, ohne Zweifel. Allerdings sollten wir uns über eines im Klaren sein: Der Natur ist es egal, wir Menschen haben ein Problem untereinander; im Klartext: Meist muss eine bestimmte Menschengruppe beziehungsweise deren Lebenform als Sündenbock herhalten. Unter den Reichsnaturschützern in Nazideutschland waren es die Juden und ihr liberales und kosmopolitisches Geschäftsgebaren, welche die deutsche Landschaft besudelten. Das Aufstellen von Werbeplakaten galt zum Beispiel dem führenden Naturschützer Walter Schoenichen 1939 als „Reklamekrankheit“, die er auf „eine Infektion mit jüdischem Giftstoff“ zurückführte.
Nach dem Krieg wurde der Antiamerikanismus gang und gäbe. Pikanterweise wuchert unter der grünen Tarnkappe altes braunes Gedankengut besonders üppig. So sah etwa Werner Georg Haverbeck, einst Pfleger der nazifizierten Natur, die Ursache der Umweltzerstörung, im American Way of Life, der entstanden sei durch Einwanderer „die ihre Wurzeln aus der Heimaterde herausgezogen haben, traditionslos einer grenzenlosen Weite ausgesetzt“. Diese Haltung verbinde sich mit Aufklärung und Fortschrittsgläubigkeit zum „Amerikanismus“, der seit 1945 auch in Deutschland herrsche: „(Wir) stehen 1973 einer seelischen Verödung und Nivellierung in unserem Lande gegenüber; wir sind überfremdet, wir sind kolonisiert“. Die Grenzen des Wachstums seien nun offensichtlich, „die Endstation des American way of life erreicht, und es heisst für uns: Alles aussteigen! Das heisst: die nationale Überfremdung muss nun überwunden werden, der eigene Weg muss wieder beginnen, der Weg zu uns selbst, der Heimweg zum Menschen.“ Welcher Mensch gemeint ist, darf geraten werden.
Antihumanismus als Humanismus
Die Misanthropie im Namen der Natur treibt bizarre Blüten. Die Umweltbewegung in den späten 1960er Jahren trat rabiat antihumanistisch auf. Einige Puristen schreckten nicht vor der letzten Konsequenz der Misanthropie zurück: Um den Planeten zu retten, ist es nicht zu schade, einen Teil der Menschheit über die Klinge springen zu lassen. „Es ist die Pflicht unserer Spezies, mit Blick auf das Ganze 90 Prozent unserer Art zu eliminieren,“ schrieb der „Tiefenökologe“ William D. Aiken 1984 im Sammelband „Earthbound“.
Das ist fürwahr ein schönes Beispiel für „ganzheitliches“ Denken. Damals – die Erde zählte etwa vier Milliarden Menschen – übertrumpften sich die Pioniere des Umweltaktivismus mit provokativen Aussagen, welche die herkömmliche Ethik umkippten: Die Erde zuerst – „Earth First!“ – lautete der Kampfruf der gleichnamigen Bewegung. Edward Abbey, Autor des Kultromans „Desert Solitaire“, demonstriert die verkorkste Logik eines als Humanismus getarnten Antihumanismus am Beispiel einer Klapperschlange in der Wüste: „Ich bin ein Humanist. Ich töte lieber einen Menschen als eine Schlange.“
Die Neo-Primitiven
Es gibt, gerade in einer Zeit der Unsicherheit, eine Rückwendung zum Alten. Und darin ertönt ein Lob der „romantischen“ Bodenhaftung, das die Lösung unserer Umweltprobleme in Utopien der Neo-Primitivität ausmalt. Subsistenzwirtschaft im Kleinen mit eigener Währung wird etwa propagiert. Der moderne Mensch gehört ohnehin abgeschafft. In den Augen von Dave Foreman, Mitbegründer der Bewegung „Earth First!“, treibt schon die Agrikultur einen Keil zwischen Mensch und Natur. Deshalb überwinden wir die Trennung in einer glücklichen Regression zum Jäger und Sammler. Das Ideal dieser Neusteinzeitler wäre „Tiere zu sein (..), unseren Schweiss, unsere Hormone, Tränen und unser Blut auszukosten,“ wie Foreman seine humorale Urburschen-Therapie umreisst.
Dieser Rekurs erinnert übrigens an die in Feld und Wald erprobte Manneshärte, deren Lob Martin Heidegger in seiner Schwarzwald-Eremitage sang. Schon im 19. Jahrhundert, als die industrielle Urbanisierung die Landbevölkerung massenhaft in die Städte trieb, stellte der Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl dem „ausstudirten Städter“, aber auch dem „feisten Bauern des reichen Getreidelandes“ den Idealtypus des „armseligen Moorbauern“ und des „rauhen Waldbauern“ gegenüber. In der Wildnis von Moor und Wald gesundet der zivilisatorisch angeschlagene Geist: „Wann die Mittagssonne der Civilisation die Ebenen bereits versengt hat, dann wird von den culturarmen Berg- und Hochländern der Odem eines ungebrochenen naturwüchsigen Volksgeistes wie Waldesduft wieder erfrischend über sie hinwehen.“
Und einmal mehr: das „Volk“
Der Volksgeist kann mitunter gehörig stinken. Gerade wenn er aus der Scholle dunstet. Heute gerieren sich Naturschützer auch gerne als Heimatverteidiger. Dann ist auf einmal vom „Volksfeind“ die Rede. In den „Deutschen Nachrichten“, einer Wochenzeitung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), wurde 1967 die Bedeutung der Bauern so dargelegt: „In ihrem vollmechanisierten Dasein haben sie die Verbindung mit dem Ursprünglichen eingebüsst, den Kontakt zu Pflanze, Tier und Lebendigen verloren [...] Einst war bäuerliche Lebensart Urgrund und Nährboden für die deutsche Kultur schlechthin. Im bäuerlichen Brauchtum offenbart sich die deutsche Seele [...] Wer darum die deutsche Seele töten wollte, wer das deutsche Volk in seinen Wesenskern treffen wollte, der musste dieses Brauchtum vernichten! Und dieses Ziel haben die Feinde unseres Volkes unbeirrt und brutal verfolgt.“
Unversehens sind alle, die nicht dem traditionellen bäuerlichen Brauchtum huldigen, zu Volksfeinden erklärt. Es gehört zur Parteiforderung der NPD, dass Umwelt- und Naturschutz zusammen mit Volks- und Lebensschutz zur Leitidee werden sollen.
Ab in den Giftschrank
Wenn das hemmungs- und besinnungslose Perpetuum mobile einer Wachstumswirtschaft sich daran macht, die Natur materiell zu vermüllen, dann wird sie, könnte man sagen, auch von einer ideellen Vermüllung assistiert. Ich beeile mich zu betonen, dass damit das Problem des Bevölkerungswachstums noch gar nicht angeschnitten ist. Es wird uns in den nächsten Jahrzehnten zunehmend beschäftigen. Mit Misanthropie lösen wir es jedenfalls nicht.
Nur damit kein Missverständnis aufkomme: Natur ist nach wie vor Refugium und Ressource für Körper und Seele. Wir sollten Sorge tragen zu ihr. Nur sollten wir sie nicht mit dem Gedanken kontaminieren, sie halte uns ein Reich der Unverdorbenheit bereit, das in einem retrograden Akt menschlicher Selbst-Purifizierung wiederzugewinnen wäre. Diese Idee hat genügend Unheil angerichtet. Und sie tut es noch. Sie im ideologischen Giftschrank wegzusperren, gehört zu einer der ersten Aufgaben heutigen Naturschutzes.