Beim Eintritt in den Gewölberaum des Kunstmuseums Thurgau gehen die Augen über. Kleinere und grössere Objekte in fröhlicher Bemalung verzaubern. Ein Spielzeug-Paradies öffnet sich. Doch der Schein trügt. Es ist eine Kunstausstellung von Rang - auch wegen der Energie, uns anlächelnd Haken zu schlagen, unschuldig mit bohrenden Fragen zu konfrontieren und die ernsten Antworten spielerisch zu verhüllen.
Aus der Kläranlage in die Museen
Die Rede ist vom "Universum des André Robillard". Das erstmals mit 150 Leihgaben aus der Sammlung Frédéric Lux im deutschsprachigen Raum gezeigte Oeuvre besteht aus massstabgetreuen Gewehren und miniaturisierten Tieren, Flugzeugen, Raketen, Satelliten und Astronauten. André Robillard baut sie aus weggeworfenem Metall, Kunststoff, Holz und Spielzeug. Er fügt die entsorgten Alltagsgegenstände mit erstaunlichem Geschick, einem fabelhaften Formgefühl und sprühender Fantasie zu Objekten seiner Obsession zusammen. Sie besitzen wie die Zeichnungen künstlerische Qualität.
Der 1931 in der Nähe von Orléans geborene Robillard verbrachte seine Kindheit an der Seite seines als Förster und Wildhüter arbeitenden Vaters, erkrankte in jungen Jahren psychisch, kam 1950 ins Psychiatriespital von Fleury-les-Aubray, wurde entlassen und wieder hospitalisiert, bis er 1964 alleine oder auf ärztlichen Rat hin entschied, als Hilfskraft im Spital zu verbleiben und sich u. a. um die Kläranlage zu kümmern. Was er dort an angeschwemmtem Material fand, inspirierte ihn zu künstlerischen Kreationen.
Paul Renard, sein Arzt, erkannte den Wert der Objekte, schickte einige Exemplare dem Maler und Bildhauer Jean Dubuffet, der sie begeistert in seine umfassende Sammlung mit Aussenseiterkunst aufnahm, und Robillard - wie später Frédéric Lux - förderte. Museen und Galerien von Frankreich bis Japan widmen dem "Künstler im Spital" Ausstellungen, Sammler aus aller Welt reisen zur Spitalklause Robillards und erwerben seine Werke.
Wahr ist auch das Gegenteil
Den Gewehr-Assemblagen, den Lieblingsarbeiten des Künstlers, wird Bedrohliches zugeschrieben, auch Unerhörtes, weil es nicht angehe, die Freude an Waffen machohaft und martialisch zu zelebrieren, also bar jeder Ethik. Zu dieser Einschätzung kommt, wer einen Satz Robillards nicht liest: "Ingenieure sind Dummköpfe. Sie haben Waffen erfunden, die töten. Es wäre so einfach, Waffen zu erfinden, die nicht töten." Genau solche Gewehre und Kampfbomber hat der Künstler erfunden und zu Hunderten produziert. Er ist kein Dummkopf.
Der helle Kopf baut seine vermeintlichen Kriegsgeräte mit hingebungsvoller Sorgfalt aus Holzstücken, Windrädchen, Taschenrechnern, Glühlampen, Filmspulen und Musikinstrumenten, was jedenfalls mehr Friedfertigkeit und Ironie als mörderische Leidenschaft und bitteren Ernst beweist. Der erste Blick auf die Objekte ist bei Robillard eine Garantie fürs Fehlbeurteil.
Ins Herz geschlossene Monster
Figürlich und gezeichnet wollen die lustigen und grellfarbigen Tiere ins Herz geschlossen sein. Sie entzücken. Bis wir sie aus der Nähe betrachten und erschrecken. Die dicken Beine der Giraffe passen zu einem wilden Schlachtross. Der Elefant hebt den Kopf und greift mit seinen lanzengeraden Stosszähnen im nächsten Augenblick an. Das drollige Schwertfischchen fährt seine riesige Säbelsäge aus. Die Objekte Robillards sind Chamäleons der verblüffenden Bedeutungswechsel.
Und ganz nebenbei, aber eindringlich kommentieren die Objekte die Schätze vergeudende Wegwerfgesellschaft. Das sündhafte Ausmass führt Robillard uns Dummköpfen mit seinem fabelhaften Recycling so boshaft wie liebenswürdig, so besessen wie künstlerisch vollendet vor Augen.
Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen, Warth, "Das Universum des André Robillard", bis 12. August 2015
Katalog mit zahlreichen farbigen Abbildungen und Texten von Markus Landert, Stefanie Hoch und Frédéric Lux, Verlag für moderne Kunst, Wien 2015