Über die Beweggründe des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump, aus dem Atomabkommen mit dem Iran auszusteigen, ist viel spekuliert worden. Schon während seines Wahlkampfs 2016 hatte Trump das 2015 unter seinem Vorgänger Barack Obama geschlossene Abkommen als „schlechtesten Deal“ in der Geschichte der USA bezeichnet und gedroht, es aufzukündigen, falls die Islamische Republik Iran (IRI) nicht zum Nachverhandeln bereit sei. Experten vermuten, seine Entscheidung hänge zum einen mit seiner Ablehnung der Beschlüsse der Obama-Administration wie etwa auch des Programms „Obamacare“ zusammen, zum anderen habe Trump die Führung der IRI zu Verhandlungen über ihr Raketenprogramm sowie ihre Politik in der Region und – jedenfalls zeitweise – auch zur Einhaltung der Menschenrechte zwingen wollen. Eine weitere Intention soll gewesen sein, die Öffentlichkeit in den USA, insbesondere seine Anhänger, zu begeistern und die Verbündeten der USA in der Region, vor allem Israel und Saudi-Arabien zu beruhigen.
Irans Staatsoberhaupt Ayatollah Khamenei hatte diese Gefahr bereits lange vor Trumps Auftritt auf der politischen Bühne erkannt. In seiner Ansprache zum iranischen Neujahr am 20. März 2016 in der Stadt Mashhad sagte Khamenei: „Wir haben das Atomabkommen unterschrieben und ihm den Namen „Bardscham“ (Gemeinsamer umfassender Aktionsplan und restriktive Massnahmen, JCPOA) gegeben. Aber sie (die westlichen Vertragsparteien, IJ) wollen andere Abkommen mit uns, JCPOA 2 und JCPOA 3, um so unsere Politik in der Region zu bestimmen und zur Aushöhlung unserer Verfassung beizutragen.“
Ausgehend von diesen Befürchtungen verweigerte die Führung der IRI, mit Trump zu verhandeln, und pochte auf das bestehende Atomabkommen.
Doch der US-Präsident machte seine Drohung wahr und gab am 8. Mai 2018 den Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem JCPOA bekannt. Er ordnete die Wiedereinführung der zuvor ausgesetzten Sanktionen gegen den Iran an und verhängte schrittweise weitergehende restriktive Massnahmen gegen das Land. Bei zahlreichen davon handelte es sich um Sekundär-Sanktionen, die auch Einschränkungen für Handelspartner des Iran mit sich brachten. Als Begründung erklärte Trump, das iranische Regime sei der führende staatliche Sponsor des Terrors, die iranische Regierung exportiere Raketen und heize die Konflikte in der Region an: „Die Diktatur nutzt ihre Einnahmen, um weiter an der Atombombe zu forschen und Terroristen zu finanzieren“, sagte er am 8. Mai 2018. Ausserdem habe das Atomabkommen den Iran nicht an der Entwicklung eigener Atombomben gehindert, sondern dem Land ermöglicht, weiterhin Uran anzureichern. Trump bemängelte auch die in dem Abkommen befristete Kontrolle des iranischen Atomprogramms.
Es wurde und wird vermutet, dass ein weiteres Ziel der Trump-Administration war, durch harte Sanktionen und die damit ausgelöste Verschlechterung der Wirtschaft die Unzufriedenheit der iranischen Bevölkerung zu schüren, in der Hoffnung, sie damit zu einem Aufstand gegen das Regime zu motivieren.
Ob ein solches Ziel durch solche Mittel erreichbar ist, ist umstritten. Fakt ist jedoch, dass es während Trumps Amtszeit im Iran zu fast wöchentlichen Proteste von Arbeitern, Lehrern und anderen Berufsgruppen und in den Jahren 2017 und 2019 sogar zweimal zu aufstandsähnlichen Massenprotesten kam. Beim letzten dieser Proteste, ausgelöst durch die massive Erhöhung des Benzinpreises im November 2019, wurden nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters etwa 1’500 Teilnehmer getötet. Viele hochrangige iranische Militärs und Regierungsbeamte geben inzwischen zu, dass die Proteste von 2019 zeitweise so schwer waren, dass sie zu einer Revolution hätten führen können.
Die Sanktionen
Drei Monate nach der Aufkündigung des Atomabkommens wurde im August 2018 der Handel mit dem Iran in folgenden Bereichen unter Strafe gestellt:
- Erdöl, Erdgas und petrochemische Erzeugnisse,
- Fahrzeugindustrie,
- Erwerb von US-Dollar durch die iranische Regierung,
- Handel mit Gold oder Edelmetallen,
- Verkauf, Lieferung oder Transfer von Graphit, Metallen wie Aluminium oder Stahl, Kohle und Software zur Integration industrieller Prozesse aus dem oder in den Iran,
- bedeutende Transaktionen mit der iranischen Währung Rial sowie die Aufrechterhaltung grösserer Vermögen und Konten ausserhalb des iranischen Hoheitsgebiets,
- Kauf, Zeichnung oder Vereinfachung der Ausgabe iranischer Staatsanleihen.
Es lag auf der Hand, dass dies praktisch auch ein Verbot jeglicher ausländischen Investitionen bedeutete – und das in einer Zeit, in der der Investitionsbedarf im iranischen Erdöl- und Gassektor auf etwa 150 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde. Zudem unterbrachen die Sanktionen Geld- und Währungstransaktionen des Iran mit dem Ausland.
Die Haltung der EU, Chinas und Russlands
Nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomdeal kündigten die anderen an dem Abkommen beteiligten Länder (Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, China und Russland) an, weiter zum JCPOA zu stehen. Gleichzeitig warnten sie den Iran, gegen die Vereinbarungen zu verstossen. Um den Druck der Sanktionen auf den Iran zu reduzieren, rief die EU auf Initiative Deutschlands, Frankreichs und Grossbritanniens das Programm „Instrument Support of Trade Exchanges“ (INSTEX) ins Leben. Ziel war die Gewährleistung finanzieller Transaktionen zwischen Europa und dem Iran. Doch die Angst vor der Strafe der USA machte dieses Instrument wirkungslos – nur eine einzige medizinische Warenlieferung der EU an den Iran im März 2020 wurde bekannt.
Auch China und Russland, die von den Sanktionen gegen den Iran am meisten profitieren, sind durch ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA an die Sanktionen gebunden. China etwa bezahlt im Iran gekauftes Erdöl nicht in harten Währungen, sondern mit Waren.
Verheerende Folgen
Die Folgen der Sanktionen für den Iran sind verheerend. Trump hatte bei ihrer Bekanntgabe angekündigt, den Erdölexport des Iran auf Null zu reduzieren. Tatsächlich hat er es geschafft, die iranischen Erdöleinnahmen um mehr als 80 Prozent zu senken. 2016 exportierte der Iran täglich etwa 2,3 Millionen Barrel Erdöl; nach den Sanktionen von 2018 exportierte das Land täglich nur noch zwei- bis dreihunderttausend Barrel.
Eine weitere Folge: Bis heute verweigern viele Länder, die iranisches Erdöl oder Erdgas gekauft haben, mit Hinweis auf die Sanktionen die Bezahlung. Selbst der Irak, der gute Beziehung zur Islamischen Republik pflegt, weigert sich, seine Schulden in Höhe von etwa 5 Milliarden US-Dollar zu begleichen; auch mehrmalige Besuche iranischer Politiker in Bagdad haben das nicht ändern können.
Die Fahrzeugindustrie ist ein weiterer Wirtschaftssektor, der stark von den US-Sanktionen betroffen ist. Die Produktionsanlagen im Iran sind mehrere Jahrzehnte alt, die Sanktionen verhindern jedoch sowohl den Kauf neuer Anlagen als auch Investitionen von und Partnerschaften mit ausländischen Unternehmen.
Auch der Export von Nicht-Erdöl-Produkten ist stark gesunken. Nach dem jüngsten Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) vom Oktober 2020 lag die Wachstumsrate der iranischen Wirtschaft 2019 bei etwa minus sieben Prozent – und es wird erwartet, dass sich diese negative Wachstumsrate fortsetzt. Dem Bericht zufolge sind die Devisenreserven des Iran in den letzten Jahren stark geschmolzen – ein Hinweis darauf, dass die Regierung gezwungen ist, den Ausfall von Deviseneinnahmen durch den Zugriff auf Devisenreserven zu kompensieren. Der IWF-Bericht vom Frühjahr 2020 schätzt die iranischen Devisenreserven auf 89 Milliarden US-Dollar: 19 Milliarden weniger als im Jahr davor.
Wegen ausbleibender Einnahmen ist die iranische Regierung mit so hohen Haushaltsdefiziten konfrontiert, dass ihr selbst die Bezahlung der Staatsbediensteten schwerfällt. Die negativen Wachstumsraten schlagen sich überdies in zunehmender Arbeitslosigkeit, steigenden Preisen, einer rasanten Inflation und dem Niedergang der iranischen Währung nieder. Der Rial hat in den vergangenen zwei Jahren mehr als 80 Prozent seines Wertes verloren.
Somit sind die Auswirkungen der Sanktionen in allen Wirtschaftszweigen spürbar. Die Haltung der Führung der Islamischen Republik demgegenüber ist ambivalent – und situationsabhängig: Manchmal werden die Sanktionen für unwichtig und unwirksam erklärt – wenn es darum geht, sich verbal gegen die USA zu behaupten; ein anderes Mal werden sie für alle Probleme des Landes verantwortlich gemacht.
Die Bevölkerung verarmt
Die von Trump verhängten Sanktionen konnten die Wirtschaft des Iran deshalb so lähmen, weil ihre Durchsetzung – im Gegensatz zu Obama-Zeiten – akribisch vorbereitet war und mit aller Härte geschah. Schon vor Beginn der Sanktionen hatte die US-Regierung um die Unterstützung anderer Länder geworben. Trumps Berater hatten zudem aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und versucht, alle Schlupflöcher und Umgehungsmöglichkeiten seitens der Islamischen Republik ausfindig zu machen und zu schliessen. So blieben dem Iran kaum Möglichkeiten, die Sanktionen abzuschwächen.
Die Last der Sanktionen trägt an erster Stelle die iranische Bevölkerung. Vor allem die unteren Einkommensschichten leiden enorm unter der schwindelerregenden Teuerungsrate, Güterknappheit und Arbeitslosigkeit. Es gibt immer wieder erschreckende Berichte über die Verarmung auch der iranischen Mittelschicht.
Die Führung der IRI schiebt die Verantwortung für die verheerende Situation den USA und ihren Partnern zu. Doch ein Grossteil der Probleme des Landes ist hausgemacht. Vetternwirtschaft in dem ideologisch organisierten Staat hat in den vergangenen 30 Jahren zu Korruption und Missmanagement geführt. Das blieb der Bevölkerung nicht verborgen. Bei den landesweiten Protesten im November 2019 lautete eine populäre Parole: „Es ist eine Lüge, dass Amerika unser Feind ist: Unsere Feinde sind hier!“
Auch Biden stellt Bedingungen
Nun ist Donald Trump abgewählt worden, und der künftige US-Präsident Joe Biden hat erklärt, die Sanktionen gegen den Iran unter bestimmten Umständen aufheben zu wollen. Aber auch Biden besteht darauf, dass die Islamische Republik ihre ideologisch begründete Aussenpolitik ändert, von Provokationen gegen die USA und ihre Partner in der Region, insbesondere Israel, absieht und die Unterstützung bewaffneter Gruppen wie der Hisbollah im Libanon und der Huthi-Rebellen im Jemen beendet.
Doch die Hardliner um Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei haben schon erklärt, dass sie auf keine Forderung der künftigen US-Regierung eingehen wollen. Um den gemässigten Kräften innerhalb des Systems einen Riegel für eventuelle Verhandlungen mit den USA vorzuschieben, verabschiedete das iranische Parlament am 2. Dezember 2020 ein Gesetz, das nach Aussagen von Regierungssprecher Ali Rabie „die Sanktionen verewigt“ – und so den Interessen der iranischen Bevölkerung wohl noch mehr schaden wird.
2021 wird für die Islamische Republik Iran ein Schicksalsjahr. Entweder muss sie sich der Weltordnung unterwerfen und so für die Aufhebung der Sanktionen sorgen – oder mit noch grösseren Protesten im Land rechnen. Die aufgestaute Wut der verarmten Bevölkerung kann jederzeit ausbrechen.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal