Der 82-jährige Christoph «Chris» Zollinger ist unermüdlich: ein unermüdlicher Leser, unermüdlicher Schreiber, unermüdlicher Mahner und Warner. Die Leserschaft von Journal 21 kennt ihn als Analytiker politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Blockaden. Er hat sich zu so ziemlich allen notorisch schwierigen Themen der (vornehmlich schweizerischen) Politik immer wieder geäussert, beispielsweise
- zu der für eine echte Demokratie nicht genügenden Transparenz von Entscheidungsabläufen,
- zu den Handicaps eines den modernen Anforderungen nicht immer gewachsenen Föderalismus,
- zu den Systemfehlern der schweizerischen Gesundheits- und ebenso der Landwirtschaftspolitik,
- zu den unzureichenden Anstrengungen für eine Abwendung der Klimakatastrophe,
- zum festgefahrenen Verhältnis der Schweiz zur EU.
Beim letzten Punkt ist der Bundesrat mit seinem Verhandlungsabbruch soeben über Zollingers Warnungen vor einer Isolation der Schweiz in Europa hinweggegangen. So geht es Publizisten, die ihre auf die Aktualität gerichteten Artikel später neu herausgeben: Sie müssen damit leben können, mit ihren Büchern zu dokumentieren, dass ihr Rat auf die Entscheide der Mächtigen und den Lauf der Dinge keinerlei Einfluss hatte.
Chris Zollinger schert das kaum. Er sammelt weiter einschlägige Informationen, betreibt seine Exerzitien der Gegenwartsanalyse und schraubt Argumentationen zusammen, die er seinem Publikum geduldig wieder und wieder vorführt. Ideologische Kraftakte sind ihm dabei fremd. Was ihm liegt, ist eine Methodik des Common Sense, die er unbefangen kombiniert mit Offenheit für so manches Neue, das der gesunde Menschenverstand sich bislang nicht vorzustellen wagte. Grenzen der Kausalität in der modernen Physik, politische Konvergenz zwischen antagonistischen Positionen – Zollinger bewegt sich im erweiterten Raum des Möglichen und gewinnt so manch neue Denkansätze.
Das neue Buch ist auch eine Bilanz von Zollingers geistiger Rastlosigkeit. Er überschaut vierzig Jahre publizistischer Tätigkeit, wägt und ordnet seine Themen, lässt die Impulsgeber Revue passieren und fragt nach allfälligen Wirkungen. Auch gibt sich der Autor als anspruchsvoller Hobbykünstler zu erkennen mit grosszügigen, von Mark Rothko inspirierten Farbfeldmalereien. Dass da eine gewisse Selbstbespiegelung mit im Spiel ist, gehört zum publizistischen Geschäft; denn wer gar nicht an sich selbst interessiert wäre, würde dieses Selbst auch nicht der Öffentlichkeit zeigen wollen.
Christoph Zollinger: Notizen eines Unverbesserlichen. Reformanstösse für die Zukunft der Schweiz in Zeiten des Epochenwandels. Zürich: Conzett Verlag, 2021, 301 S.