Bei den Europa-Wahlen ist es immer das Gleiche: Wenn eine Partei verliert, sagt sie: Das waren ja „nur“ Europa-Wahlen. Völlig unwichtig also. Wenn eine Partei aber gewinnt, sagt sie: „Da seht ihr, der Trend spricht für uns“.
Bei den Europa-Wahlen geht es längst nicht mehr um das Europäische Parlament. Dieses kennt ohnehin kaum jemand. In erster Linie sind die Europa-Wahlen Protestwahlen: Denkzettel-Wahlen. Man will der Regierung eins auswischen. Schon jetzt könnte man die Schlagzeile zum bevorstehenden Wahlergebnis schreiben: "Die Anti-Europa-Parteien auf dem Vormarsch". Und in den Blogs wird es heissen: "Das kommt davon, wenn die Regierungen am Volk vorbei regieren". Wie man denn wirklich regieren und "das Volk" respektieren soll, wissen die Blog-Schreiber dann oft nicht.
Europa-Wahlen können aber durchaus konkrete, nationale Folgen haben. Wenn in Italien die Linke gut abschneidet, gibt ihr das Legitimation fürs Weitermachen – oder umgekehrt. Wenn Forza Italia verliert, verliert Berlusconi weiter an Einfluss im Land. Falls in Frankreich der Front National stärkste Partei würde, käme die Regierung Hollande noch mehr unter Druck. Und wenn in Grossbritannien die UKIP, die Anti-Europa-Partei, riesige Gewinne erzielt, wird das nicht schadlos an Mr. Cameron vorbeigehen.
Insofern sind die belächelten Europa-Wahlen von grosser – nationaler - Bedeutung. Doch indirekt werden sie auch einen Einfluss auf Europa haben. Wenn die Anti-Europa-Parteien stark zulegen, werden die nationalen Regierungen in Sachen europäischer Integration einen Gang zurückschalten müssen. So grotesk es sein mag: Die Anti-Europa-Parteien sind gegen die EU, gegen Brüssel, gegen die europäischen Institutionen – also auch gegen die Europa-Wahlen. Doch gerade diese Wahlen, die sie eigentlich boykottierten müssten, benutzen sie, um ihre Regierungen von ihrem pro-europäischen Kurs abzubringen.