In einer feurigen Rede vor der Uno-Generalversammlung lässt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht die mindeste Bereitschaft auf einen Waffenstillstand im Krieg gegen die Hamas in Gaza oder gegen den Hisbollah im Libanon erkennen. Im Gegenteil: Mit einem Luftangriff der israelischen Armee (IDF) auf das Hauptquartier des Hisbollah in Südbeirut eskaliert der Premier den Konflikt erneut.
«Das ist die Wahrheit», sagte Benjamin Netanjahu am Freitagmorgen in New York: «Israel will Frieden. Israel sehnt sich nach Frieden. Israel hat Frieden geschlossen und wird erneut Frieden schliessen.» Bemühungen, in Gaza und im Libanon einen Waffenstillstand zu erreichen, erwähnte der israelische Premier nicht: «Wir werden den Hisbollah weiterhin schwächen, bis alle unsere Ziele erreicht sind.»
Noch am Vormittag vor der Rede hatte Netanjahus Büro verbreitet, es «schätze die Anstrengungen der USA» für einen Waffenstillstand im Libanon und werde «in den kommenden Tagen» die Diskussion weiteführen – ein Schlag ins Gesicht des Weissen Hauses, das sich nach wie nicht dazu durchringen kann, jenen Druck auf Israel auszuüben, den es könnte und müsste, obwohl es sich angeblich 24 Stunden am Tag um eine Lösung des Konflikts bemüht.
Schweigen im Weissen Haus
Ein Sprecher in Washington DC hatte zuvor verlauten lassen, die Regierung Joe Bidens glaube, die Regierung in Jerusalem sei «an Bord» mit dem internationalen Vorschlag einer 21-tägigen Waffenruhe zwischen Israel und dem Hisbollah. Sicherheitsberater John Kirby weigerte sich aber, die Frage zu beantworten, ob Joe Biden oder ein anderes US-Regierungsmitglied enttäuscht sei über die jüngsten Äusserungen des israelischen Premiers vor der Uno. «Wir werden kämpfen, bis wir siegen, bis zum totalen Sieg», sagte Netanjahu: «Dazu gibt es keine Alternative.»
Derweil drohte Benjamin Netanjahu in seiner Rede auch dem Iran, der unter anderen die Hamas in Gaza, den Hisbollah im Libanon und die Houthi im Jemen unterstützt: «Ich habe eine Botschaft für die Tyrannen in Teheran: Wenn ihr uns angreift, werden wir euch angreifen. Es gibt keinen Ort im Iran, den Israels langer Arm nicht erreichen kann, und das gilt für den ganzen Nahen Osten.»
«Es geht nicht um Gaza»
Wie er das gerne macht, unterstrich der Premier seine Ausführungen mit Karten, deren eine den Iran und dessen Alliierte zeigte. Eine andere Karte zeigte Israels potenzielle arabische Alliierte in der Region. Ein Detail: Die Karten wiesen das illegal besetzte Westjordanland als Teil Israels aus, ein Zückerchen an die rechtsextremen Mitglieder in Netanjahus Koalition, für welche die West Bank und Gaza fraglos zum jüdischen Staat gehören.
«Es geht nicht um Gaza», sagte er zur Kritik an seiner Regierung bezüglich der Kriegsführung der IDF im palästinensischen Küstenstreifen: «Es geht um Israel. Es ist immer um Israel gegangen. Um nichts anderes als um Israels Existenz.»
Derweil applaudierten in der Besuchergalerie des Uno-Sitzungssaales, die der israelische Premier neben anderen Unterstützerinnen und Unterstützern nach New York mitgebracht hatte, auch Angehörige einiger Geiseln der Hamas in Gaza. Proteste von anderen Geiselfamilien und von Israeli, die fordern, einen Kompromiss mit der Hamas zu schliessen, um die verbliebenen Geiseln frei zubekommen, sprach er nicht an. Er habe erst, sagte Netanjahu zu Beginn seiner Rede, gar nicht vor der Uno-Generalversammlung sprechen wollen, sich dann aber umentschieden, um Israels Lage klar zu verdeutlichen: «Mein Land befindet sich im Krieg und kämpft um sein Leben.»
Israels Premier plädierte für «ein historisches Friedensabkommen mit Saudi-Arabien, wie es vor dem Massaker der Hamas am 7. Oktober und dem Krieg in Gaza noch zur Diskussion gestanden hatte. Dumm nur, hatte die saudische Delegation, wie etliche Vertretung anderer Länder, zu jenem Zeitpunkt den Saal bereits aus Protest verlassen. Riad hat eine solche Einigung ohne die Schaffung eines Palästinenserstaates ausgeschlossen. «Benjamin Netanjahu hat nicht einmal Palästina und auch nicht nur einmal die Palästinenserinnen und Palästinenser erwähnt», sagte Saudi-Arabiens Aussenminister Faisal bin Farhan al-Saud in Reaktion auf die Rede des Israeli.
Uno-Beschimpfung
Die Welt, so Benjamin Netanjahu in New York, müsse sich entscheiden, ob sie sich für den Plan des Irans entscheiden wolle, «sich ins dunkle Zeitalter des Krieges und des Terrors» zurückzubewegen. «Wird Ihr Land an der Seite Israels stehen? Werden Sie auf der Seite der Demokratie und des Friedens stehen? Oder werden Sie auf der Seite des Irans stehen, einer brutalen Diktatur, die ihre eigene Bevölkerung unterdrückt. Die Terror über den Globus verbreitet. In dieser Schlacht zwischen Gut und Böse darf es keine Zweideutigkeit geben.»
Netanjahu konnte es erneut nicht lassen, die Uno scharf zu kritisieren. Er nannte sie «einen Sumpf antisemitischer Galle», der trockengelegt werden müsse, und «eine anti-israelische Flat-Earth Gesellschaft». Als Indiz dafür zitierte er das Vorgehen des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), der allerdings kein Uno-Gremium ist. Uno-Mitgliedländer, so der Ministerpräsident, würden nicht durch humanitäre Empathie für Gaza, sondern ihre Abneigung gegenüber Juden motiviert. In Israel hegen noch 21 Prozent der Bevölkerung eine positive Ansicht der Uno.
Attentat auf Hassan Nasrallah
Gut eine Stunde nach dem Ende seiner Rede griff die israelische Luftwaffe mit «all unserer Macht», wie Benjamin Netanjahu das in seiner Rede prophezeit hatte, in Dahiyeh im Süden Beiruts mehrere Wohnhäuser an, unter denen sich laut israelischen Angaben die Kommandozentrale des Hisbollah befinden soll. Die Attacke, hiess es, habe Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah gegolten. Am Samstag bestätigte die Miliz Berichte der israelischen Armee, dass ihr Oberhaupt tags zuvor getötet worden war. Auch die Zahl der Opfer blieb erst offen. Im Libanon sind in den vergangen elf Tagen bei Kämpfen über 700 Menschen getötet worden.
Auf jeden Fall, so Ohrenzeugen in der libanesischen Hauptstadt, waren die Bombenexplosionen äusserst heftig und der schwarze Rauchpilz über Dahiyeh weitherum sichtbar. «Nachdem Israel fast ein Jahr lang die Welt gewarnt und ihr gesagt hat, der Hisbolllah müsse gestoppt werden – Israel tut jetzt, was jeder souveräne Staat der Welt tun würde, wenn er eine Terrororganisation an seiner Grenze hätte, die darauf abzielt, ihn zu zerstören.» Indes will das Pentagon von der israelischen Militäroperation in Südbeirut zum Voraus nichts gewusst haben. Verteidigungsminister Llyod Austin erfuhr erst davon, als er mit seinem Israelischen Kollegen Joav Gallant telefonierte, während der Angriff noch im Gange war.
Eine innenpolitische Rede
Benjamin Netanjahus Rede vor der Uno, schloss Richard Gowen von der International Crisis Group, habe in erster Linie der israelischen Öffentlichkeit einschliesslich seines Rechtsaussen-Kabinetts gegolten: «Netanjahu – wie Trump – hat immer verstanden, dass diese Reden vor der Uno Gelegenheiten sind, um Schlagworte und Memes zu generieren. Ihn stört nicht, was die diplomatische Gemeinschaft denkt. Er tut dies für die einheimischen Medien und seine Anhängerschaft in den USA.»