Der bisher grösste und blutigste Bombenanschlag in Damaskus vom 10. Mai, der fünfte in der syrischen Hauptstadt, wirft erneut die Frage auf: Wer ist verantwortlich für die Untat? Sie wird von den Syrern selbst - wie auch schon zuvor - stets widersprüchlich beantwortet. Das Regime sagt, Terrorbanden seien am Werk, die das Ausland fördere. Die Opposition erklärt, es sei das Regime selbst, das die Bomben auslöse, um dem Ansehen des Widerstandes zu schaden.
Zum Nutzen der Regierung
Wer danach fragt, wem die Untat nützt, muss der Regierung die Schuld zuteilen. Doch diese Hypothese wird immer unwahrscheinlicher, je öfter sich die Bombenanschläge wiederholen, je mehr Opfer sie fordern, auch unter den syrischen Sicherheitskräften, und je deutlicher sie sich gegen Kasernen dieser Sicherheitskräfte richten. Denn dass die Regierung regelmässig zu Anschlägen gegen ihre eigenen Sicherheitskräfte greifen sollte, ist mindestens unwahrscheinlich.
Dennoch gibt es Sicherheitsexperten, die sagen, das Regime von Damaskus sei zu allem fähig, sogar dazu, seine eigenen Sicherheitskräfte, nicht nur seine eigenen Bürger, aufzuopfern, wenn es um sein Überleben geht. In Libanon habe es derartige Fälle gegeben.
Mehr Hass auf beiden Seiten
Gewiss ist nur, dass die Bombenaktionen - auch in Aleppo sowie in anderen syrischen Ortschaften hat es Bomben gegeben - der Opposition schaden und dem Regime nützen. Auf der nationalen syrischen Ebene vertiefen und festigen sie den Graben zwischen der überwiegend sunnitischen Opposition (ca. 70 Prozent der Bevölkerung) und dem Regime, das in erster Linie von den Minderheiten gestützt wird (Alawiten, Christen, Drusen, verschiedene schiitische Kleingemeinschaften; zusammen rund 30 Prozent der Syrier).
Auf der internaionalen Ebene diskreditieren sie die Opposition und stärken die Glaubwürdigkeit der Regierungspropaganda, nach der es sich bei der Aufstandsbewegung um "Banden" handle. Das Ausland ist in der syrischen Frage ähnlich gespalten wie die Syrier selbst: Der "Westen" glaubt eher der Opposition, der russische und chinesische "Osten" - einschliesslich Irans - hält die Thesen der Regierung für zutreffend.
Was glaubt das Ausland?
Doch die Bomben sind dazu geeignet, im "Westen" Zweifel zu wecken. Umsomehr als Zawahiri, der Nachfolger Ben Ladens in der Führung von Qaeda, seine Gefolgsleute und Aktivisten dazu aufgerufen hat, in Syrien auf Seiten der Opposition einzugreifen. Sind nun also "Washington" und "al-Qaeda" in der Syrienfrage objektive Verbündete geworden?
Auch in Bezug auf den Friedensplan Kofi Annans nützen die Bomben dem Regime. Sie verunsichern die unbewaffneten UNO-Beobachter, von denen erst etwa ein Drittel, rund hundert Mann, in Syrien eingetroffen sind, und sie untergraben den versprochenen, aber nie wirklich eigehaltenen Waffenstillstand, wahrscheinlich endgültig. Dies nützt der Regierung, weil sie dann in der Lage ist, ihre Niederhaltungsaktionen gegen die Opposition ungestört weiterzuführen.
Bombenfachleute aus dem Irak?
Dass das Regime die Bomben herstellen kann, steht ausser Zweifel. Falls sie auf der Seite seiner Gegner hergestellt werden, hätte man anzunehmen, dass diese sich auf die sunnitischen Bombenfachleute aus dem Irak stützen, die dort seit 2006 am Werke sind. Es ist denkbar, dass sie nun ihren Freunden in Syrien zu Hilfe kommen, nachdem sie in früheren Jahren von deren Hilfe aus Syrien profitiert hatten.
Dass die syrische Opposition aus vielen oft untereinander im Streit liegenden Faktionen zusammengesetzt ist, weiss man seit langem. Denkbar ist durchaus, dass eine davon aus radikalen islamistischen Fanatikern besteht, die ihrem Programm und ihrer Führung folgen, ohne sich gross an die Interessen der ursprüglich gewaltlosen syrischen Opposition und deren westlicher Sympathisanten zu kehren.
Ein Schritt weiter in Richtung Bürgerkrieg
Es ist aber auch an die oft zu beobachtende Entwicklung zu erinnern, die darin besteht, dass eine politische Opposition, die mit Gewalt daran gehindert wird, für ihre Sache zu werben, und die daher zum Widerstand schreitet, zuerst versucht, einen Guerillakrieg zu führen, doch dann, wenn dieser misslingt, zu Bombenanschlägen schreitet. Dies, weil sie vor der Wahl steht, entweder aufzugeben und einzuräumen, dass all ihre bisherigen Opfer vergebens waren, oder ihre Aktivitäten mit anderen Mitteln fortzuführen. Diese anderen Mittel pflegen Bomben zu sein.
Eines muss man als gewiss einschätzen: Die Bomben treiben Syrien tiefer hinein in den Bürgerkrieg, den das Ausland, West wie Ost, dringend vermeiden möchte. Die Frage, wer diesen Bürgerkrieg will, bleibt vorläufig offen. - Vielleicht die Regierung, weil sie annimmt, sie würde ihn gewinnen; vielleicht aber auch die Kreise der sich islamisch gebärdenden Terroristen, die in al-Qaeda ihre Führung erblicken, weil sie hoffen, ihre Lehre auf dem syrischen Schlachtfeld neu auszubreiten und dadurch ihren Gruppierungen neue Wirklungsmöglichkeiten zu schaffen.