Matthias Zschokke ist der Autor und „Die Wolken waren gross und weiss und zogen da oben hin“ lautet der Titel des Romans.
Der Titel ergäbe, wenn man ihn auf drei Zeilen verteilen würde, schon ein halbes Gedicht – aber taugt er auch als Romanüberschrift? So eine Frage braucht sich Matthias Zschokke, der 63-jährige seit langem in Berlin lebende Berner, Autor von Romanen, Theaterstücken, Filmen, vielfach ausgezeichnet, nicht zu stellen. Die Sphären des Poetischen und des Entrückten, die mit dem Wolkenbild in Verbindung gebracht werden können, spielen im Roman durchaus eine Rolle. Das Gegenteil – geerdete Realität, plastischer, sinnlicher Alltag – freilich auch.
Romanheld Roman
Worum geht es? Um einen Romanhelden namens Roman, von dem es in den ersten Zeilen des Buchs heisst, dass er sich von diesem Namen Erfolg und Glück verspreche. Beides wird ihm kaum oder nur in geringen Dosen zuteil, was den Leser nicht erstaunen kann: tut doch der Roman wenig bis nichts, um solche Güter zu erringen; viel eher und lieber unternimmt er allerhand, um eventuellen Erfolg, mögliches Glück treffsicher zu torpedieren.
Es passiert fast nichts im Roman. Die Hauptfigur schiebt sich gemächlich durch den Berliner Alltag, trinkt Kaffee, holt sich die Zeitung, ist mit dem Fahrrad unterwegs. Roman lebt mit einer Literaturwissenschafterin zusammen und ist, jahraus jahrein, eigentlich „nie nicht zuhause“. Im letzten Teil ändert Zschokke die Form seiner Erzählung: Roman entwirft ein Theaterstück, das in einer kleinen Tischgesellschaft spielt; es treten skurrile Personen auf und der Romanheld besetzt sie im Kopf mit seinen Lieblingsschauspielern.
Es passiert fast nichts und es gehört zur Kunst des Autors, diesem „fast nichts“ sprachlich viel abzugewinnen. Eigenartige Bilder, Reflexionen, ein mal feiner, mal derber und oft makabrer Humor prägen den Text. Roman verkehrt per Mail und Telefon mit seiner Mutter und einem Freund, die beide lebensmüde sind und ihn gern als Sterbehelfer beschäftigen würden. Dass die Mutter ungehalten reagiert, als er ihr mitteilt, die Pistole, die er einzusetzen gedenke, sei leider rostig, er müsse sie putzen, lässt sich nachvollziehen.
Alltagsrituale
Es passiert fast nichts in Zschokkes Buch und doch bekommt man beim Lesen das Gefühl eines Reichtums, einer Material- und Gedankenfülle, die der Text einem liefert. Mit seiner trotzig-ironischen Haltung, seiner Widerspenstigkeit gegen schablonisierte Gegebenheiten und Selbstverständlichkeiten, seinem beharrlichen, manchmal aufsässigen Versuch, Alltagsrituale genussvoll zu absolvieren und gleichzeitig zu hinterfragen, akribisch auszukundschaften, verführt einen der Autor zum genauen Hinschauen und Mitdenken. Man tut gut daran, ihm langsam zu folgen, um all die Finessen, die manchmal versteckten verbalen Kostbarkeiten aufzuspüren, die es zu entdecken gilt.
Das Denken, nicht immer ein Quell reinen Vergnügens, lässt Roman nicht los, hält ihn wach in der Nacht, bringt ihn dazu, an allem und jedem zu zweifeln – und vom Zweifel zur Verzweiflung ist nur ein kleiner Schritt. Das Altern mit seinen hässlichen Seiten, der Tod in vielfacher Form schaffen sich mehr und mehr Platz in den Gehirnwindungen des Helden, der natürlich ein geborener Antiheld ist. Aber Zschokke schafft es, dass man sich diesen Pessimismus, diese dunkle Grundierung der beschriebenen Szenen, schon fast gierig einverleibt. Der Antiheld jammert nicht, er leidet stilvoll. Er könnte, wie er ist, in einem Film von Aki Kaurismäki mitspielen. Die leise, sanfte Komik, die seine Vermutungen, Überlegungen und die sparsamen Handlungen, die manchmal daraus folgen, begleiten, hellen die finsteren Gefilde dieser Prosa auf und sorgen für sprachliche Eleganz, die einen noch mit den trübsten Momenten versöhnt.
Matthias Zschokke: Die Wolken waren gross und weiss und zogen da oben hin, Wallstein Verlag, 27.90 Sfr.