Der russische Präsident hat Anfang November zum dritten Mal Teheran besucht. Das erste Mal war er 2007 in Iran. Damals war Mahmud Ahmadinedschad Präsident, und Iran stand wegen der Atomaktivitäten unter einem Uno-Boykott, dem auch Russland zugestimmt hatte.
2015 wurde der Atomstreit beigelegt. Zwischen Iran und den fünf Uno-Vetomächten sowie Deutschland wurde ein Abkommen geschlossen, das sicherstellen soll, dass die Islamische Republik keine Atomwaffen baut. Anschliessend wurde der Boykott gegen Iran aufgehoben. In dieser Zeit besuchte Putin Iran zum zweiten Mal und nahm die Handelsbeziehungen mit Teheran wieder auf.
Jahrhundertealtes Misstrauen
Einen Monat vor diesem zweiten Besuch hatte die russische Intervention in Syrien begonnen. Damals wiesen Kommentatoren darauf hin, dass das fast zweihundertjährige Misstrauen, das zwischen den beiden Staaten bestand, noch immer nicht ganz ausgeräumt ist. Mit dem Vertrag von Turkamanchay von 1828 war Iran nach einem verlorenen zweijährigen Krieg gegen Russland gezwungen worden, seine nördlichen Provinzen und Satelliten-Staaten bis zum Aras-Strom an das russische Zarenreich abzutreten. Das blieb in Teheran unvergessen.
Später, nach dem zweiten Weltkrieg, war Iran Gefahr gelaufen, weitere grosse nördliche Provinzen mit Täbris an die Sowjetunion zu verlieren. Nur weil die Amerikaner und Briten dem Schah den Rücken stärkten, konnte dies verhindert werden.
Asads Sieg, zum Greifen nahe
Doch beim Thema Syrien haben Iran und Russland zum ersten Mal eine gemeinsame Position gefunden, sehr zur Erleichterung Teherans. Iran hatte seinen alten Verbündeten Asads gegen die Rebellion unterstützt. Doch das syrische Regime schwankte trotz der Hilfe der von Iran unterstützten Hizbullah. Dann griff Russland rettend ein. Seit der russischen Militärintervention können Iran und Russland auf einen Sieg Asads hoffen. Das kompensierte das alteingesessene Misstrauen zwischen den beiden Staaten.
Der jetzige dritte Besuch fand statt, nachdem in Syrien der Sieg Asads über die Rebellen so gut wie errungen war. Nun ging es darum festzulegen, wer – und wer welchen – Gewinn aus diesem gemeinsamen Sieg ziehen darf. Zudem muss ein Übereinkommen erzielt werden, wie eine Friedenslösung aussehen soll – und wie sie abzusichern ist.
Russland will sich festsetzen
Russland und Iran haben in Syrien grundverschiedene Interessen. Zwar sind beide einverstanden, dass Asad an der Macht bleiben soll. Doch beide wollen Einfluss auf Syrien ausüben. Putin will vor allem zunächst in Syrien Militärbasen am Mittelmeer aufbauen und betreiben. Für Russland geht es darum, künftig endlich eine entscheidende Rolle in der Nahostpolitik zu übernehmen.
Während der letzten zweihundert Jahre war den Russen jede Einflussnahme im Nahen Osten versagt geblieben. Zuerst wegen der Briten, die das Osmanenreich stützten und nach dem Ersten Weltkrieg selbst eine Schutzmachtrolle im Nahen Osten spielten. Sie wurden 1956 von den Amerikanern abgelöst, die in der Region ihre Vormacht ausbauten. Wenn Russland seine Position in Syrien aufrechterhalten kann, ist Putin ein Durchbruch von historischer und weltstrategischer Bedeutung gelungen.
Teheran hofft auf einen Korridor
Auch Teheran will Einfluss nehmen. Dazu will es die pro-iranischen Kräfte stärken, die schon jetzt in Syrien stehen. Dabei handelt es sich um Hizbullah, die „Quds“-Kräfte der Revolutionswächter, sowie pro-iranische Milizen aus Iran, Afghanistan und dem Irak. Koordiniert werden all diese Kräfte von General-Mayor Qassem Solaymani. Er ist der Kommandant der „Quds“-Kräfte („Quds“ ist arabisch und persisch und steht für „Jerusalem“).
Iran will eine Achse von Iran bis zum Mittelmeer aufbauen – unter Einbezug des Iraks und Syriens. Dank dieser Achse sollte Südlibanon und die dortige von Iran unterstützte Hizbullah mit Iran verbunden werden. Dadurch sollte „Jerusalem bedroht werden“. Aus diesem Grund geben sich die „Quds“-Kräfte ihren Namen.
Israel fürchtet in Iran in Syrien
Können die beiden Mächte ihre leicht divergierenden Ziele gemeinsam fördern? Es besteht kein schweres Hindernis – ausser einem: Israel. Während Israel als strategisches Ziel im Visier der „Quds“-Kräfte steht, ist Moskau nicht interessiert daran, mit Israel in Konflikt zu geraten. Israel seinerseits ist bestrebt, Iran und Russland im syrischen Nachbarland auseinander zu halten.
Israel droht, es werde nicht dulden, dass sich bewaffnete iranische Kräfte in Syrien und vor allem an der Nordgrenze zu Israel festsetzen. Unterstrichen wird diese Drohung durch regelmässige Luftangriffe auf „iranische“ Waffentransporte. Immer wieder greifen israelische Kampfflugzeuge Konvois an, mit denen durch syrisches Gebiet hindurch Waffen von Iran der Hizbullah in Libanon geliefert werden sollen. Israel greift auch syrische Truppen an, wenn diese das Golan-Gebiet beschiessen – selbst dann, wenn es sich um offenbar unbeabsichtigte „Streuschüsse“ handelt.
Mit Russland hingegen sucht Israel den Dialog, gerade auch in Bezug auf Iran. So sollen die Russen veranlasst werden, nicht zuzulassen, dass die Iraner sich in Syrien militärisch festsetzen. In Tel Aviv ist die Rede davon, dass Iran versuchen könnte, auf syrischem Boden eine Raketenfabrik aufzubauen. Auch soll, nach israelischen Vermutungen, an der syrischen Mittelmeerküste eine iranische Marinebasis errichtet werden.
Moskau will keinen israelisch-iranischen Krieg
Am liebsten würde sich Russland sowohl mit Iran als auch mit Israel verständigen. Eine iranisch-israelische Konfrontation auf syrischem Boden möchte Moskau vermeiden. Vor allem deshalb, weil dadurch die russische Position in Syrien erschüttert werden könnte.
Ein amerikanisches Eingreifen wäre in einem derartigen Fall wahrscheinlich. Dies würde eine Rückkehr der Amerikaner in die syrische Politik bedeuten. Aus dieser hatte sich Trump und teilweise schon Obama zurückgezogen. Einzig bei der Bekämpfung des IS in Syrien und im Irak wirkten die Amerikaner noch mit.
Gemeinsame Interessen alter Gegner
Aus diesen Gründen ist verständlich, dass Syrien im Zentrum des jetzigen Iran-Besuches von Putin standen. Beide Staaten, die lange Zeit verfeindet waren, versprechen einander jetzt Vorteile, sofern sie künftig zusammenarbeiten. Gefördert wird dieser Wille zusammenzustehen dadurch, dass beide unter dem Druck westlicher Boykott-Massnahmen stehen.
Ajatollah Ali Khamenene'i, der oberste iranische Religionsführer, soll Putin gesagt haben, man könne ja auf den Dollar als Handelswährung verzichten und die gegenseitigen Geschäftsbeziehungen mit den eigenen Währungen betreiben. Iran muss befürchten, dass, angefeuert von Trump, die Amerikaner Druck auf die internationalen Banken ausüben werden. Das könnte dazu führen, dass Iran keine Auslandsgeschäfte normal abwickeln kann, nicht einmal mit den Staaten, die nicht offiziell an dem Boykott beteiligt sind.
Trump fördert eine iranisch-russische Achse
Die amerikanischen Drohungen gegenüber Iran tragen in allen Bereichen, nicht nur in Wirtschaftsfragen, dazu bei, dass die Russen und die Iraner gemeinsame Interessen suchen und fördern.
So war offenbar auch die Rede davon, dass die Nord-Süd-Achse, die von Russland durch Iran an den Persischen Golf führt, wieder aktiviert werden könnte. Diese Eisenbahnverbindung blieb im britischen, amerikanischen und iranisch-kaiserlichen Interesse bis heute im iranisch-russischen Grenzraum unterbrochen. Sollte diese Achse betrieben werden, wäre dies ein historischer Durchbruch und würde die Abkapselung Russlands in diesem Gebiet aufbrechen.
Auch bei der Erdölförderung und der Preisgestaltung für das Erdöl wollen beiden Staaten zusammenarbeiten. Das russische Mineralölunternehmen Rosneft gedenkt offenbar Iran 30 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen.
Russische Atomkraftwerke
Auch der Bau zusätzlicher iranischer Atommeiler wird ins Auge gefasst. Jener von Buschehr, dessen Baubeginn schon zu Zeiten des Schahs stattfand, wurde 2007 von Russland übernommen. Das Werk begann 2013, Elektrizität zu produzieren. Russland baut jetzt in Buschehr zwei weitere Reaktoren. Die Rede ist auch von sechs zusätzlichen in andern Regionen.
Falls die neue Freundschaft zwischen Russland und Iran hält, könnten beide in Syrien weiterhin eine gemeinsame Rolle spielen. Beide haben zwar ihre langfristigen Ziele im Auge, doch um ihr gemeinsames Auftreten nicht zu gefährden, könnten sie versuchen, die andere Seite zu bewegen, ihre Sonderziele nicht allzu energisch voranzutreiben. Vielleicht werden sie sogar Asad oder seinem Nachfolger eine aktive Rolle zugestehen.
Türkisch-russisches Näherrücken?
Auch die Türkei hat Interessen in Syrien. Sie möchte um jeden Preis verhindern, dass die Kurden in Syrien Unabhängigkeit erlangen oder einen autonomen Status erhalten.
Russland spricht von der Möglichkeit von einer kurdischen Selbstverwaltung innerhalb eines föderalen Syriens. Eine Konferenz zu diesen Fragen ist für Ende November in Sotschi angesetzt. 33 unterschiedliche syrische Gruppen sind dazu eingeladen. Damaskus, gewiss unter russischem Zureden, erklärt sich einverstanden teilzunehmen. Die syrischen Kurden sind auch eingeladen. Sie verfügen sogar über eine inoffizielle Vertretung in Moskau. Die Türkei aber wird kaum teilnehmen, wenn die Kurden teilnehmen.
Die gegenwärtigen Spannungen zwischen Erdogan und den USA führen zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Russland. Beide Seiten müssen entscheiden, ob sie willens sind, ihre divergierenden Ziele in Syrien unter einen Hut zu bringen. Die gegenwärtigen Probleme, die beide Staaten mit Washington haben, fördern den Anreiz zu einer Zusammenarbeit der historischen Widersacher.