Warum wir das «Klima- und Innovationsgesetz» annehmen sollten, auch wenn eine Lawine von Pamphleten aus der Küche der SVP und anderer Partikularinteressen-Vertreter uns davon abhalten will.
Hans-Ulrich Schlumpf, der Autor dieses Beitrags, ist Cinéast. Berühmt wurde er durch seinen Film «Der Kongress der Pinguine».
Vor 57 Jahren drehte ich meinen ersten Film «Fortschritt I – Nach uns die Wüste», der sich mit dem Artensterben, der Zubetonierung des Rhein- und Limmattals und der Abfalllawine, welche sich dort über Weiher und Tümpel ergoss, beschäftigte. Er wurde von Hans O. Staub im Schweizer Fernsehen in der Primetime ausgestrahlt. Dies sieben Jahre vor dem Bericht des Club of Rome.
Vor 30 Jahren dann «Der Kongress der Pinguine», der vor der bedrohlichen Erwärmung der Erdatmosphäre, der Meere und vor dem Ozonloch warnte. Unternommen wurde trotz der immer bedrohlicher werdenden Situation bis heute praktisch nichts. Ich hatte das Glück, auf dem deutschen Forschungsschiff «Polarstern» mitzufahren, wo sich um die 50 Forscher und Forscherinnen eben mit solchen Klimafragen beschäftigten. Keiner und keine dieser Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zweifelten vor 30 Jahren am Ernst der Lage, in welche uns der hemmungslose Ausstoss von CO2 seit Beginn der Industrialisierung und besonders dann mit der Motorisierung am Boden und in der Luft im 20. Jahrhundert gebracht hat. Sie unterstützten deshalb das Filmprojekt nach Kräften wie übrigens auch ihre Vorgesetzten im «Alfred Wegener Institut» in Bremerhaven.
Halbwahrheiten, Tatsachenverdrehungen
Das macht mich betroffen, erst recht wenn ich sehe, was im Moment abläuft. Nachdem unser Parlament in einem zweiten Anlauf endlich ein dringend notwendiges «Klima- und Innovationsgesetz» auf die Reihe gebracht hat, das von allen Parteien unterstützt wurde, mit Ausnahme der SVP (die auch prompt das Referendum ergriff), ergiesst sich eine Flut von Halbwahrheiten, Tatsachenverdrehungen und Lügen in die Presse und Briefkästen, finanziert mit Millionenbeträgen von der SVP und Partikularinteressen-Vertretern. Allein der Hauseigentümerverband schiesst so mal schnell Fr. 700’000 in eine Kampagne gegen das Gesetz, so dass es dem freisinnigen Ständerat Ruedi Noser den Hut lüpft und er aus dem Vorstand austritt (Chapeau!).
In einer Diskussion im Tagesgespräch von SRF 1 fährt Magdalena Martullo-Blocher (SVP) eben diesem das Gesetz befürwortenden Ruedi Noser pausenlos weinerlich übers Maul, so dass man den Verdacht nicht los wird, dass sie eigentlich lieber zu den «Guten» gehören würde, hat sie doch nach eigener Aussage in ihren Emswerken alles richtig gemacht und die Prozesse umweltfreundlich optimiert. Mal abgesehen von der Dreistigkeit, mit der sie – der Vater lässt grüssen – andere nicht ausreden lässt.
Die gesamte SVP-Prominenz
Dann das Sendschreiben eines «Komitees Rettung Werkplatz Schweiz», welches u. a. schlicht bestreitet, dass es ein Problem gibt, die Erwärmung schön redet und das CO2 zum wichtigsten Baustein aller Pflanzen erklärt. Gut gebrüllt Löwe, diese Binsenwahrheit hat aber auch gar nichts mit dem Greenhouse-Effekt zu tun, obschon es vielleicht ein bisschen so tönt. In der NZZ entblödet sich ein dickköpfiger Walliser nicht davor, unter dem Titel «Die Klimakommunisten haben übernommen» eine süffige Verschwörungsstory zu erzählen, die eigentlich nicht so ganz zur selbstbehaupteten Seriosität des Blattes passt. Aber die Chefen dort haben schon immer Freude daran gehabt, wenn wieder einmal einer ihrer Jungtürken so richtig auf «den Kommunismus» draufhaut. Und schliesslich die unsäglichen «Energie News», ein 12-seitiges von der SVP bezahltes Pamphlet aus der Küche des berüchtigten Werbers Alexander Segert, das in alle Schweizer Haushalte verteilt wurde und die gesamte SVP-Prominenz mit Grinseporträts zum Offenbarungseid antreten lässt.
Was würden die Pinguine an ihrem Kongress dazu sagen? Vielleicht dies: Der Verhältnisblödsinn zwischen der Gefahr, welche durch die Klimaerwärmung uns allen und dem Leben insgesamt droht, und der hochgerechneten Einzelinteressen verschiedenster Klientelzirkel ist kaum zu übertreffen. Um das zu beweisen, wird in wissenschaftlichen Publikationen nach Zahlen gejagt, welche – aus dem Zusammenhang gerissen – möglichst viel Angst einflössen: dass man nicht mehr Autofahren darf, dass alles viel teurer werden wird, dass man das Smartphone wegen Strommangels nicht mehr laden könne usf. Und selbst Frank A. Meyer springt in einer seiner Blick-Kolumnen unter dem Titel «Von Sündern und Priestern» auf diesen Zug auf, da er offenbar Angst ums Fahren mit seinem Sportwägeli hat. Als selbsternannter Citoyen weiss er natürlich, dass die moralisierenden Priester allesamt auf der linken bzw. grünen Seite zu finden sind.
Der Realität nicht ins Auge sehen
Wenn man das alles an sich vorbeiziehen lässt, könnte man auf den Gedanken kommen, dass sich hinter all diesen Pamphleten eine gemeinsame Strategie verbirgt. Das mag für die SVP-Kampagnen mit ihren Ablegern bis zur extremen Rechten zutreffen. Aber wahrscheinlich ist es einfacher. In der Schweiz kann jeder seinen Egoismus an die Urne tragen und damit alles verhindern, was Opfer bringen hiesse, was mehr kosten würde, was einem einschränken könnte. Wenn in der Kosten-Nutzen-Rechnung nur der eigene Bauch zählt, das Auto auch ohne Wald fährt und überhaupt alles was einschränkt des Teufels ist, dann ist die Sache klar.
Die Herausforderungen, welche der Klimawandel mit sich bringt, sind tatsächlich gewaltig. Die Kosten, welcher dieser schon heute, aber erst Recht in Zukunft mit sich bringen wird, wenn wir nichts tun, sind noch viel gewaltiger. Daneben sind die Kosten, die durch einen sorgfältigeren Umgang mit der Natur entstehen, vergleichsweise gering und sowohl für den Einzelnen wie auch für die Volkswirtschaft tragbar. Aber die Befürworter des Nichtstuns, die Gegner des «Klima- und Innovationsgesetzes» also, reden uns ein, wir könnten so weiter machen wie bisher. Sie trötzeln wie kleine Kinder, denen man ihr Spielzeug wegnehmen will. Sie arbeiten mit Angst, um ihre Pfründen zu retten. Sie sind damit einfach kindisch, weil sie der Realität nicht ins Auge sehen wollen. Es ist wirklich zum Heulen!