Auf dem Dorfplatz steht ein Tisch. Ein Landser schlägt die Trommel. Am Tisch sitzt ein Anwerber. Mehrere junge Männer melden sich zum Söldnerdienst in fremden Landen. Wer unterschreibt, erhält ein Handgeld – und einen Becher mit Wein.
Vom 15. bis 19. Jahrhundert waren eidgenössische Söldner von allen europäischen Mächten umworben. Sie galten als loyal, standhaft und tapfer. Viele verdienten mit den Kriegsdiensten im Ausland gutes Geld. Doch viele bezahlten ihren Einsatz im Ausland mit dem Leben. Sterberegister berichten davon.
In Neapel gestorben, in Utrecht gestorben, in Torre dell’Annunciata gestorben: Das sind nur wenige von wahrscheinlich Tausenden Schweizern, die in fremden Diensten ums Leben kamen. Die meisten starben fast anonym, ohne Spuren zu hinterlassen. Einige sind in Sterbebüchern von Pfarreien notiert. Die jetzt in Stans eröffnete Ausstellung im Nidwaldner Museum „Salzmagazin“ zeigt Ausschnitte aus diesen Sterberegistern.
Für viele war der Solddienst eine Flucht aus der Armut. Zu Hause fand man keine Arbeit und keinen Lohn. Der Hof konnte nicht alle ernähren. So schickten viele Familien einen oder zwei ihrer Söhne in den Kriegsdienst im Ausland. Vor allem ärmere Bergregionen waren ein Reservoir für Reisläufer. „Es gab auch andere, die sich aus purer Abenteuerlust den fremden Mächten verpflichteten“, erklärt uns Jürg Spichiger, der Kurator der Ausstellung. Doch viele ahnten nicht, was ihnen bevorstand: wochenlange Fussmärsche, Entbehrungen und mörderische Schlachten.
„Was sie erobert haben, haben sie geplündert“
Die Ausstellung in Stans zeigt anhand mehrerer Einzelschicksale, wie das Söldnerwesen entstand und wie es sich entwickelte. Schwerpunkt sind Nidwaldner und andere Innerschweizer, die fremde Dienste leisteten. Sehr viele der eidgenössischen Söldner stammten aus der Zentralschweiz.
Thematisiert wird auch der Schrecken des Krieges. Natürlich wüteten und töteten die Schweizer. „Was sie erobert haben, haben sie geplündert“, sagt Spichiger. Das Plündern war eine einträgliche Einnahmequelle der Söldner.
Urs Graf der Ältere (1485–1528) war eine Art erster Kriegsreporter. Er begleitete viele Schweizer Söldner ins Ausland.
Fremde Mächte zahlten den Kantonen und einflussreichen Personen Geld, um Söldner anwerben zu können. Viele wurden reich. Führende Familien stritten sich darum, wer das Söldnergeschäft kontrollieren kann.
Die Ausstellung in Stans porträtiert einige von ihnen, vor allem Innerschweizer. Unter anderem Melchior Lussy (1529–1606).
Er stand bereits als junger Mann in französischen Diensten und führte für die Stadtrepublik Venedig eine eigene Truppe an. Er wurde sehr reich und gelangte zu gesellschaftlichem und politischem Ansehen. Als Gesandter der katholischen Orte nahm der Nidwaldner an der letzten Tagungsperiode des Konzils von Trient teil. Er gilt als katholischer Reformer. Zusammen mit den Familien Pfyffer in Luzern, Reding in Schwyz und Zurlauben in Zug prägte er das Soldgeschäft im 16. Jahrhundert.
Es ist wie immer: Während viele auf dem Schlachtfeld verbluten, werden einige Wohlhabende noch wohlhabender.
Die goldene Zeit des Söldnerwesens dauerte von 1510 bis 1670. „Da konnte man gut verdienen, lukrative Geschäfte machen, und man hatte auch eine gewisse Freiheit“, erklärt Spichiger. Ab 1670 bauten die Könige in Europa ständige Heere auf; Söldner waren jetzt weniger gefragt. Doch nach dem Sturz Napoleons, nach der Schlacht von Waterloo, lebte das Söldnerwesen nochmals kurz auf.
Ehebrecher auf Galeeren
Auch Deserteure gab es. Immer wieder traten junge Männer, die auf dem Dorfplatz unterschrieben und ein Handgeld erhalten hatten, nicht zum Dienst an. Für sie galt die Todesstrafe. Andere desertierten während ihres Einsatzes. Viele vereinsamten. Immer wieder gab es Suizide. Spichiger nennt einen Schweizer, der in Neapel Wachtdienst leisten musste und sich umbrachte.
Die meisten schweizerischen Söldner waren zwischen 18 und 30 Jahre alt. Einige jedoch, die keine Angehörigen mehr hatten, sind länger geblieben. Spichiger berichtet von einem 60-jährigen Söldner.
Nicht alle leisteten freiwillig Dienst für fremde Herren. Kleinkriminelle, Diebe, aber auch Ehebrecher, wurden auf Galeeren geschickt, wo sie an Seekriegen teilnahmen. Auf englischen, holländischen und spanischen Schiffen starben viele.
Ein wichtiges Stück Schweizer Geschichte
Wichtig ist diese Ausstellung, weil neben den reich Gewordenen auch das Leben der einfachen Söldner gezeichnet wird. Das war nicht einfach. Die Geschichtsforschung weist grosse Lücken auf, erklärt Spichiger. Das gilt erst recht für das Schicksal der einfachen Söldner. Hinweise geben jedoch einige Sterbebücher der Kirchen.
Doch das grösste Verdienst dieser von Jürg Spichiger attraktiv gestalteten Ausstellung ist, dass sie uns ein wichtiges, wenig beachtetes Stück Schweizer Geschichte näher bringt – ein Stück, das wir alle gerne verdrängen.
Das schweizerische Söldnerwesen machte Schule. Der französische König Louis-Philippe I. griff die Idee 1831 auf. „Das eidgenössische Söldnerwesen war eine Vorlage für die französische Fremdenlegion“, erklärt Spichiger. 1859 wurde das Söldnerwesen in der Schweiz verboten.
Der eingangs gezeigte junge Mann, der von seiner Frau und seinem Vater verabschiedet wurde, hatte Glück. Er kehrte nach Hause zurück – in stolzer Uniform. Sogar der Hund freute sich.
Söldner, Reis-Säckler, Pensionen-Herren: Ein Innerschweizer Beziehungsnetz. Ausstellung im Salzmagazin Stans, 1. April bis 31. Oktober