360 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger wählen zwischen dem 6. und 9. Juni 2024 ein neues Europäisches Parlament. Ihre Stimme abgegeben können dabei auch 2 Millionen EU-Ausländer und Doppelbürger Schweiz-EU in unserem Land. Schweizerinnen und Schweizer können dagegen bei dieser Wahl nicht mitmachen, obwohl deren Ausgang auch sie betrifft.
Vom 6. bis 9. Juni 2024 wählen rund 360 Millionen Bürgerinnen und Bürger der 27 EU-Mitgliedstaaten die Abgeordneten für das Europäische Parlament. Dieses ist das einzige transnationale Parlament der Welt. Vergeben werden in der Europawahl 2024 insgesamt 720 Sitze. Prognosen gehen davon aus, dass rechte und rechtsextreme Parteien Sitzgewinne verbuchen können. Gruppierungen aus diesem Politspektrum werden in Frankreich, Belgien, Italien, Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen sogar Wahlsiege vorausgesagt. Liberale, linke und grüne Parteien müssen dagegen mit Sitzverlusten rechnen.
Rechts der Mitte haben bereits politische Manöver im Hinblick auf die Fraktionsbildung im zukünftigen Parlament begonnen. Besonders umworben sind die postfaschistischen Fratelli d’Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Sowohl die christlich-demokratische Europäische Volkspartei (EVP), die rechten Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) als auch die Rechtsaussengruppierung Identität und Demokratie (ID) wollen diese in ihrer Fraktion haben. Um letztere für Melonis EKR attraktiv zu machen, hat ID auf Betreiben der Französin Marine Le Pen und ihres Rassemblements National die Abgeordneten der Alternative für Deutschland (AfD) aus der Fraktion geworfen. Ein Zusammenschluss von EKR und ID würde die harte Rechte zur drittstärksten Kraft im Parlament machen nach der EVP und den Sozialdemokraten (S&D).
Themen, die 2024 beschäftigen
Ein Wahlkampfthema, das in allen 27 EU-Mitgliedstaaten an erster Stelle steht, gibt es diesmal im Unterschied zur Europawahl 2019 nicht. Damals Stand überall der Kampf gegen den Klimawandel im Vordergrund. Jetzt zeigt sich, dass die EU zwischen Ost und West sowie Süd und Nord fragmentiert ist. Die Osteuropäer beschäftigt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die damit verbundene Frage, wie sich Europa in Zukunft gegen ein expansives Russland schützen kann. Vor allem im Süden, aber auch im Westen Europas wollen die Wählerinnen und Wähler griffige Massnahmen gegen die unkontrollierte Zuwanderung sehen. Im Westen und Norden des Kontinents geht die Angst vor einem wirtschaftlichen Abstieg Europas herum.
Das Parlament hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu einem einflussreichen Mitspieler im sogenannten institutionellen Dreieck der EU entwickelt. Zu diesem gehören auch noch der Ministerrat und die Kommission. Das Parlament bildet heute zusammen mit dem Ministerrat die Legislative der EU. Das Parlament ist dabei die Volkskammer, der Ministerrat die Staatenkammer. Die Kommission ist die Exekutive und Verwaltung der EU. Sie hat das alleinige Recht, Gesetzesentwürfe vorzulegen. Das Parlament und der Ministerrat beraten diese in einer Art Pingpongspiel und verabschieden sie dann oder lehnen sie ab.
Das hat das EU-Parlament zu sagen
Das Parlament kann heute über die meisten Gesetzesentwürfe und den Haushalt der EU mitentscheiden. Es wählt die Präsidentin oder den Präsidenten der Kommission und bestätigt in globo die übrigen Kommissionsmitglieder. In den vorausgehenden Anhörungen ist dabei schon mehr als eine Kandidatin oder ein Kandidat für die Kommission durchgefallen. Das Parlament kann auch internationale Verträge, die die Kommission im Namen der EU ausgehandelt hat, gutheissen oder ablehnen. Dazu zählen etwa die bilateralen Abkommen mit der Schweiz. Das Parlament übt sodann die politische Kontrolle über die EU-Organe mit Exekutivfunktionen aus. In diesem Zusammenhang kann es auch die Kommission mit einem Misstrauensvotum absetzen. Längst vorbei sind also die Zeiten aus den Anfängen der EWG/EG/EU in den fünfziger und sechziger Jahren, als das Parlament nur ein Diskussionsforum ohne Mitentscheidungsrechte für Angelegenheiten der europäischen Integration war.
Trotzdem kann das Parlament noch immer nicht in allen Angelegenheiten der EU mitentscheiden. In der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP), der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), der Sozial- und Beschäftigungspolitik sowie der Wirtschafts- und Währungspolitik sind seine Befugnisse deutlich beschränkt. In diesen Bereichen wird das Parlament meist nur informiert und angehört. Auch kann es weiterhin nicht selbst Gesetzesentwürfe ausarbeiten und vorlegen; es kann solche nur bei der Kommission anregen. Diese Beschränkungen sind Teil des sogenannten Demokratiedefizits in der EU. Dieses ist heute aber sehr viel kleiner als früher, als das Parlament noch nicht so viele Rechte hatte.
Unflexibler gegenüber der Schweiz
Geht die Europawahl 2024 auch die Schweiz und ihre Bürgerinnen und Bürger etwas an? Natürlich, denn das Parlament hat in der vergangenen Legislaturperiode zahlreichen Gesetzen den Stempel aufgedrückt, die auch Auswirkungen in der Schweiz haben – etwa in der Klimapolitik mit dem Verbot von Verbrennungsmotoren bei Autos, beim Lieferkettengesetz (das den Unternehmen grosse Verantwortung in Umwelt- und Sozialfragen auferlegt) oder zuletzt in der Migrations- und Asylpolitik. Der erwartete Rechtsrutsch dürfte diese in Zukunft noch härter machen. In der Klimapolitik dürfte es noch schwieriger werden, hohe Standards durchzusetzen. Solche dürften in Zukunft eher wieder abgeschwächt werden.
Schliesslich wird das EU-Parlament dereinst auch über die bilateralen Abkommen III mitentscheiden, die zurzeit zwischen Bern und Brüssel ausgehandelt werden. Der vorausgesagte Rechtsrutsch dürfte die Hürden im Parlament für Sonderwünsche der Schweiz etwa bei den sogenannten institutionellen Fragen (dynamische Rechtsübernahme, Streitschlichtung) noch höher machen. Auch eine Schutzklausel gegen eine übermässige Zuwanderung in die Schweiz dürfte im neuen EU-Parlament auf gesteigerten Widerstand stossen. Denn Rechts(aussen)parteien gewichten das nationale Interesse in der Regel höher als dasjenige der EU. So könnte es gut sein, dass aus der Europawahl 2024 ein Parlament hervorgeht, das die EU gegenüber der Schweiz eher noch unflexibler macht als bisher.