Das irakische Verteidigungsministerium meldet, die irakische Armee habe die Stadt Beiji zurückerobert, die im vergangenen Juni von IS eingenommen und besetzt worden war. Irakische Beobachter bestätigen dies. Sie erwähnen auch, dass bei der Wiedereroberung, die Anfang Oktober in Gang gesetzt worden war, neben regulären Einheiten schiitische Milizen und sunnitische Stammeskämpfer beteiligt waren.
Kampf um die Raffinerie
Nahe bei Beiji liegt die grösste Raffinerie des Iraks. Das weite Raffinieriegelände blieb zunächst noch in der Gewalt von IS, obwohl es scheint, dass die Islamisten die Raffinerie nur von aussen belagerten und nicht in das Innere vorgedrungen waren, wo sich irakische Sicherheitskräfte seit dem vergangenen Sommer halten.
Der Vormarsch der irakischen Truppen nach der Raffiniere wird dadurch verlangsamt, dass die IS zahlreiche Minen und andere Fallen gegen Angreifer gelegt hatten und dass die Regierungstruppen auch immer wieder durch Selbstmordbomber angegriffen werden. Diese versuchen in erster Linie die kommandierenden Offiziere anzugreifen, und dies ist ihnen offenbar in mehreren Fällen gelungen. Dennoch ist anzunehmen, dass das Gelände rund um die Raffinierie schrittweise gesäubert werden kann. Die Wiederinbetriebnahme der Anlage wird allerdings erst nach mehrmonatigen Reparaturarbeiten möglich sein
Blockierte Verbindung nach Mosul
Wenn der Sieg von Beiji abgesichert werden kann, wird dies von strategischer Bedeutung sein, weil die Stadt und die Raffinierie an der Verbindungsstrasse liegen, die von Mosul über Beiji nach Tikrit, Samarra und Dhuluiya führt, um schliesslich Bagdad zu erreichen. Dies sind alles Orte, welche die IS Kräfte schon unmittelbar nach ihrer Eroberung von Mosul einnahmen und wo sie heute noch stehen. Die wichtigste Nachschubstrasse für diese südlichen Spitzen von IS würde in Beiji unterbrochen. Nachschübe werden die IS Kämpfer auf Umwegen weiterhin erreichen, doch der Zugang wird wesentlich erschwert werden.
Die irakische Armee hatte in früheren Offensiven versucht, der Stadt Tikrit Herr zu werden. Tikrit liegt rund fünfzig Kilometer nördlich von Beiji. Dies war nur teilweise gelungen, trotz mehreren Anläufen. Teile der Stadt und ihrer Umgebung werden noch immer von IS beherrscht. Auch in Samarra, weitere fünfzig Kilometer entfernt, ist IS gegenwärtig, obgleich das grosse schiitische Heiligtum, etwas ausserhalb der Stadt, sich in schiitischen Händen befindet.
Der Flecken Dhuluiya schliesslich, weitere dreissig Kilometer nach Süden, wurde mehrmals von den Regierungskräften zurückerobert, doch wurde auch mehrmals die Rückkehr von IS nach der Stadt gemeldet. Jedenfalls gibt es bedeutende Kräfte von IS, die südlich von Beiji in Kämpfen stehen und Gelände sowie Ortschaften halten. Mit dem Fall von Beiji, wenn er permanent wird, dürfte der Nachschub für diese Kräfte schwierig werden.
Die Regierung handelt
In Bagdad ergreift die Regierung Haidar Abadis Massnahmen, um die regulären irakischen Streitkräfte zu sanieren. Der Ministerpräsident liess 36 hohe Offiziere absetzen, 26 wurden entlassen, 10 frühpensioniert. Dafür wurden 18 neue Kommandanten ernannt. Der Generalleutnant, der in Mosul kommandierte, als die Stadt in die Hände von IS fiel, Mahdi Gharawi, sitzt in Bagdad im Gefängnis. Er soll vor ein Militärgericht gestellt werden. Mehrere seiner nächsten Untergebenen sollen in der gleichen Lage sein. Ihnen allen wird Pflichtvernachlässigung vorgeworfen.
Aus Bagdad wird zudem ein Schritt der Versöhnung zwischen Kurden und irakischer Regierung gemeldet. Seit den Zeiten des früheren Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki herrschte ein bitterer Streit zwischen der kurdischen Autonomieregierung und der Zentrale von Bagdad über die kurdischen Erdölvorkommen. Die Kurden hatten begonnen, das in ihren Gebieten geförderte Erdöl via Türkei selbst zu verkaufen. Bagdad erklärte dies für illegal und sperrte seinerseits die Gelder, die für die Gehälter der kurdischen Staatsbeamten budgetiert waren. Viele der kurdischen Beamten wurden seit einem guten Jahr einfach nicht mehr bezahlt.
Der Streit um die Erdölfrage wurde diesen Sommer noch weiter durch den Umstand belastet, dass die kurdischen Peschmerga sich der umstrittenen Stadt Kirkuk und ihrer Ölfelder bemächtigten, offiziell mit der Begründung, dies geschehe, um Kirkuk vor den anstürmenden IS Kräften zu retten. Die Ölfelder von Kirkuk sind die ältesten des Iraks, doch sie sind noch immer ertragreich. Nun wurde zwischen dem Ministerpräsidenten der kurdischen Autonomiegebiete, Nachirvan Barzani, und dem Erdölminister der Zentralregierung, Adel Abdel Mehdi, ein Kompromiss ausgearbeitet. Er lautet: Bagdad werde den Kurden 500 Millionen Dollars der zurückgehaltenen Gelder auszahlen. Die Kurden verpflichteten sich als Gegenleistung, Bagdad 150’000 Barrel Petroleum täglich «zur Verfügung zu stellen».
Feinheiten des Erdöl-Kompromisses
Dies ist ein Provisorium, das zunächst dazu dient, den Geldbedarf auf beiden Seiten zu decken; der Irak erhält mehr Petroleum, um es zu verkaufen, die Kurden Geld, um ihre Staatsangestellten zu bezahlen. Zu diesen gehören auch die Peschmerga, die gegen IS kämpfen.
Eine «endgültige und gerechte» Lösung soll in den kommenden Wochen oder Monaten ausgearbeitet werden. Der Streit ist letzten Endes dadurch entstanden, dass die irakische Verfassung von 2005 die Bestimmungen über die genauen Vollmachten der kurdischen Autonomie offen lässt – darunter auch die sehr wichtige Erdölfrage. Das Parlament hätte eine endgültige Regelung treffen sollen. Doch geschah dies nie, weil die Mehrheitsverhältnisse im Parlament einerseits die Mitarbeit der Kurden unentbehrlich machten, die Kurden andererseits jedoch keine Mehrheit hatten, um ihre Auslegung der Verfassung alleine durchzusetzen.
Der provisorische Kompromiss passt den Kurden, weil er davon ausgeht, es sei «ihr» Erdöl, von dem sie einen Teil an Bagdad zu liefern haben. Er passt Bagdad, weil er immerhin Erdöl, wenngleich nicht alles Erdöl, aus den von Kurden beherrschten Gebieten nach Bagdad bringt – und nicht, wie die Kurden es eigentlich möchten, aus Kurdistan in die weite Welt.