Was der israelische Aussenminister Abba Eban (1915-2002) einst über die Araber gesagt hat, trifft auch auf den iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad und dessen Anhänger zu: „Sie verpassen keine Gelegenheit, eine Gelegenheit zu verpassen.“ Jüngstes Indiz dafür ist der Auftritt des Iraners am Donnerstag vor der Uno-Vollversammlung in New York. Nur wenige Kilometer von „Ground Zero“ und dessen Assoziationen entfernt, warf Ahmadinejad im Uno-Gebäude am East River den USA vor, die Anschläge vom 11. September 2001 inszeniert zu haben, um Israel zu stärken: „Die amerikanische Regierung orchestrierte die Attacken, um das zionistische Regime im Nahen Osten zu retten.“
Es gäbe, sagte der iranische Präsident, Beweise dafür, dass Washington die Anschläge zumindest unterstützt habe, einschliesslich Pässe in den Trümmern der Twin Towers von Leuten, die mit US-Regierungsvertretern zu tun gehabt hätten. Dagegen seien keine Überreste der angeblichen Selbstmordattentäter gefunden worden. Deren Identität sei bis heute ungeklärt. Ausserdem verurteilte Ahmadinejad die von den USA angeführten Invasionen in Afghanistan und im Irak als unverhältnismässige Antworten auf die Anschläge in New York und Washington DC. Dagegen hatte US-Präsident Barack Obama zuvor in seiner erst zweiten Rede vor der Uno ausdrücklich darauf hingewiesen, dass trotz der verschärften Sanktionen gegenüber dem Iran „die Türe für Diplomatie offen bleibt“.
Zuflucht zu Clichés
Mahmoud Ahmadinejads Äusserungen bewegten die amerikanische Uno-Delegation dazu, den Saal umgehend verlassen. „Statt die Hoffnungen und den guten Willen des iranischen Volkes zu repräsentieren, hat es Mr. Ahmadinejad erneut vorgezogen, üble Verschwörungstheorien und anti-semitische Beschimpfungen zu äussern, die so verurteilenswürdig und eingebildet sind, wie sie vorhersehbar sind“, sagte der „Washington Post“ zufolge ein Sprecher der amerikanischen Mission.
Einen Tag zuvor hatte sich der iranische Präsident in einem New Yorker Hotel als Gastgeber eines exklusiven Dinners für mehrere Dutzend Geladene präsentiert, unter ihnen pensionierte Diplomaten, Atomwissenschaftler und Journalisten. Der Einladung zufolge versprach der Abend „einen offenen Meinungsaustausch“. Stephen Kinzer, ein früherer Korrespondent der „New York Times“ und Autor von Büchern über den Iran, berichtete am Donnerstag für die Website „The Daily Beast“ über den Anlass, der dieses Jahr, im Gegensatz zu früheren Fällen, störungsfrei verlief. Wie später vor der Uno verpasste es Mahmoud Ahmadinejad auch während des Dinners in New York, mit versöhnlichen Äusserungen Verständnis für sein Land und dessen Atompolitik zu wecken. Statt konkret auf Fragen einzugehen, habe der Iraner zu Clichés Zuflucht genommen und erneut versichert, die Islamische Republik wolle keine Atombomben bauen.
30 Jahre verpasster Gelegenheiten
„Ahmadinejads Sicht der US-iranischen Beziehungen mangelt es an Differenziertheit, Vorstellungskraft und sogar Ehrlichkeit“, schreibt Stephen Kinzer in seinem Bericht: „Das trifft aber auch auf die Regierung von Barack Obama zu.“ Die beiden Länder, so Kinzer, würden aneinander vorbeireden. Zwar trenne sie Vieles: Sprache, Religion, Geschichte, Geografie, Kultur: „Sie sind aber in einer tödlichen Umarmung vereint, die sie beide glauben lässt, dass sie sich aus Auseinandersetzungen herausmanövrieren können - und dass sie gewinnen werden, falls es hart auf hart kommt.“ Die Haltung ist laut Stephen Kinzer „der fundamentale Wahnsinn“ dessen, was unter Umständen die am nachhaltigsten gestörte Beziehung der heutigen Welt sei: „Zusammen könnten die USA und der Iran unter Umständen im Nahen Osten mehr erreichen als jedes andere Länderpaar – zuerst indem sie zusammenarbeiten würden, um den Irak und Afghanistan zu stabilisieren.“
Am Ende des Abends im Hotel, so schliesst Kinzer, habe sich Ahmadinejad bei seinen Gästen bedankt, seine Limousine bestiegen und sei vom nächtlichen Verkehr in Manhattan verschluckt worden – leider ohne von US-Diplomaten verfolgt zu werden: “Er liess 30 Jahre verpasster Gelegenheiten zwischen den USA und dem Iran hinter sich zurück. Dies war die jüngste.“