Urs Meier hat kürzlich in einem Kommentar Zweifel geäussert, ob «wir» – Gesellschaft und Politik – die grossen Bewährungsproben kommender Jahrzehnte bestehen würden und stellte die Frage, wieso diese Probe in den 1960er Jahren beim Gewässerschutz positiv verlaufen ist.
Kurze Spanne vom Handeln zum Erfolg
Der Erfolg des Schweizer Gewässerschutzes ist tatsächlich bemerkenswert. Von den ersten fundierten wissenschaftlichen Analysen über die Ursachen der Verschmutzung der Gewässer in den 1940er und 1950er Jahren, welche 1953 zum Gewässerschutzartikel in der Bundesverfassung (Art. 24quater) und 1957 zum Gewässerschutzgesetz geführt hatten, bis zum flächendeckenden und sichtbaren Erfolg der Massnahmen vergingen nur drei bis vier Jahrzehnte – das ist schnell für ein so kompliziertes, föderalistisch aufgebautes politisches System, wie es die Schweiz sich leistet.
In dieser Zeit investierte die öffentliche Hand rund 50 Milliarden Franken und baute ungefähr 900 Kläranlagen, für deren Betrieb und Erhalt auch heute noch jährlich über 2 Milliarden Franken benötigt werden.
Drei begünstigende Faktoren
Diesen Erfolg verdanken wir einem damaligen Konsens zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft: Die Wissenschaft eruierte die Ursachen des Problems, die Gesellschaft, sensibilisiert durch Vorkämpfer aus Naturschutz- und Fischereikreisen, brachte mit dem Artikel in der Bundesverfassung den politischen Prozess in Gang, die Politik bewilligte das nötige Geld und hielt den Prozess durch Verbesserung der Gesetze (Revision des Gewässerschutzgesetzes 1971) am Laufen.
Anlässlich einer Tagung der Schweizer Geowissenschaften vom 11. November 2011 an der ETH Zürich beschäftigte ich mich unter dem Titel «Wird die Forschung unseren Planeten retten?» mit einer ähnlichen Frage. Ich verwendete dazu verschiedene erfolgreiche bzw. gescheiterte Fälle aus der Umweltpolitik, darunter auch denjenigen des Schweizer Gewässerschutzes.
Drei Faktoren stellten sich in meiner Analyse als erfolgsbestimmend heraus:
- erstens eine wissenschaftlich gesicherte Verknüpfung von Ursache und Wirkung
- zweitens die örtliche Begrenzung dieser Verknüpfung
- und drittens die Frage, ob Wissenschaft und Technik Lösungen anzubieten hätten, welche zwar etwas kosten dürfen, aber keine grundlegenden Verhaltensänderungen bei der Gesellschaft nötig machen.
Günstiger Fall Gewässerschutz
Erstens Ursache und Wirkung: Es gelang der Forschung in den 1950er und 1960er Jahren nachzuweisen, dass die Eutrophierung (Überdüngung) der Oberflächengewässer primär die Folge des hohen Phosphatgehaltes des Abwassers und der grossen Abschwemmungen aus den intensiv genutzten Flächen der Landwirtschaft ist. Damit war der Lösungsweg vorgegeben: Ausbau der Kläranlagen für die Phosphatelimination, weitgehendes Verbot von Phosphaten als Zusatzstoffe in Waschmitteln und strengere Vorschriften für das Düngen von Feldern, insbesondere in der Nähe von Gewässern.
Zweitens die örtliche Begrenzung des Ursachen/Wirkungs-Zusammenhanges: Die Eutrophierung von Seen und Flüssen ist primär ein lokales Problem: So kommen beispielsweise Investitionen in den Gewässerschutz durch den Kanton Zürich und dessen Gemeinden direkt dem Zürichsee und den andern Zürcher Seen zugute, was die Argumentation erleichtert und die Handlungsbereitschaft der Politik erhöht.
Doch nicht überall ist die Situation so einfach wie beim europäischen Wasserschloss Schweiz. Die Holländer zum Beispiel hätten, eigene Anstrengungen hin oder her, leicht zur europäischen Kloake verkommen können, gäbe es nicht zum Beispiel das internationale Abkommen zum Schutze des Rheins, welches alle Länder im Einzugsgebiet des Rheins auf ein gemeinsames Handeln zum Wohle des Gewässerschutzes verpflichtet. Noch komplizierter ist die Sache beim Schutz der Meere. Eine umfassende Übereinkunft wäre auch hier dringend nötig, aber soweit reicht die geografische Solidarität leider noch nicht.
Keine Verhaltensänderung nötig
Dass der Schutz der Gewässer mit Hilfe rein technischer Massnahmen «am Ende der Leitung» (end of pipe) erreicht werden kann, wo (fast) all unsere Sünden getilgt werden, ist der dritte und wohl wichtigste Faktor, welcher den Gewässerschutz in der Schweiz begünstigt hat.
Der Bau immer raffinierterer Kläranlagen belastet zwar unser Portemonnaie, aber nicht unser Verhalten. Nur eine kleine gesellschaftliche Gruppe wurde zu weitergehenden Massnahmen gezwungen: Gewisse Industriezweige mussten ihre Produkte anpassen und ihre eigenen Kläranlagen bauen, und die Bauern müssen sich an stringentere Vorschriften beim Ausbringen von Dünger und Gülle halten. Sonst blieb alles beim Alten, zumindest in der Schweiz, wo (noch) genügend Wasser vorhanden ist.
Das Montreal Protokoll über die FCKW
Eine solche Konstellation ist selten in der Umweltpolitik. Ein vergleichbarer Fall ist das sogenannte Montreal Protokoll, welches seit dem 1. Januar 1989 in Kraft ist und den Gebrauch von gewissen Chemikalien (insbesondere von Fluorchlorkohlenwasserstoffen FCKW) verbietet, welche während Jahren zum Beispiel als Treibgas in Spraydosen verwendet worden sind.
Wie Frank S. Rowland und Mario Molina schon 1973 nachwiesen (sie wurden später dafür mit dem Nobelpreis geehrt), zerstören FCKW die Ozonschicht und beeinträchtigen das Klima. Das Im Jahre 1985 von Forschern des British Antarctic Survey entdeckte Ozonloch über der Antarktis beschleunigte den politischen Prozess. Bereits 1986 unterzeichneten die ersten zwanzig Staaten die Konvention von Wien. Das breiter abgestützte Montreal Protokoll folgte drei Jahre später.
Wie beim Gewässerschutz begünstigte auch hier der wissenschaftliche Nachweis der Kausalität zwischen Ursache und Wirkung den politischen Prozess. Da weltweit nur wenige Betriebe der chemischen Industrie durch ein Verbot der FCKW direkt betroffenen waren, liess sich sogar jener globale Konsens finden, der beim Schutz der Weltmeere noch immer fehlt. Den Konsumenten schliesslich kümmerte das Ganze wenig. Die Industrie war schnell zur Stelle mit Ersatzstoffen, die Spraydosen verschwanden nicht von den Regalen.
Wieso Klimaschutz viel schwieriger ist
Die positiven Erfolgsfaktoren erklären umgekehrt, wieso es in andern Bereichen der Umweltpolitik harzt. Dies gilt insbesondere für die Klimapolitik, d.h. für die Eindämmung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und damit der Emission des klimaschädigenden Kohlendioxids. Die wissenschaftliche Evidenz für den Klimawandel wird zwar immer deutlicher, aber im Gegensatz zu den nach faulen Eiern stinkenden Seen spüren wir den Klimawandel weit weniger direkt und können ihn bis zu einem gewissen Grad verdrängen. Das Problem ist zudem global; lokale Anstrengungen zur Begrenzung der Emissionen ergeben keinen lokalen Vorteil.
Und das Wichtigste: End-of-pipe-Lösungen gibt es hier nicht, auch wenn Technikoptimisten vom Auffangen von Kohlendioxid bei Kraftwerken und andern Grossverbrauchern fossiler Brennstoffe und dessen Einlagerung in der Tiefsee oder im geologischen Untergrund träumen. Es lässt sich drehen und wenden, wie man will: Hier wären wir alle gefragt, nicht nur die Bauern und die spezialisierte chemische Industrie. Wir müssten ein paar liebgewordene Gewohnheiten beim Umgang mit fossiler Energie grundsätzlich überdenken.
Urs Meier vermutet richtig: So leicht wie beim Gewässerschutz kommen wir bei andern Problemen (Klima, Verkehr, Finanzen) nicht weg.