Eigentlich war Syriens Alawitenherrscher und Moskauer Bündnispartner Bashar al-Asad immer wenn’s für seine westlichen Feinde eng wurde, ein verlässlicher Partner: Nach 9/11 gab er den USA äußerst nützliche Hinweise über al-Kaida und stellte der CIA seine Gefängnisse zur Verfügung. Dort, fernab amerikanischen Rechts, konnten juristische Bedenken ignoriert und verstockte Taliban und andere „illegale Kämpfer“ verschärften Verhören unterzogen werden.
2002 leitete er Hunderte Dokumente über die Aktivitäten der Muslim-Brüderschaft in Deutschland an westliche Geheimdienste. Wenig später deckte die syrische Aufklärung rechtzeitig einen geplanten al-Kaida-Anschlag auf das Hauptquartier der Fünften Flotte der US-Navy in Bahrain auf. Er lieferte den USA Angehörige und Verwandte Saddam Husseins aus, die in Syrien Zuflucht gesucht hatten.
Verflogener Traum von einem „arabischen Frühling“ in Syrien
Er hatte sogar den Israelis Verhandlungen über die Golanhöhen angeboten, was Tel Aviv allerdings ablehnte, weil es sein baldiges Ende erwartete. (Bereits 1995 standen Damaskus und Tel Aviv kurz vor einem Friedensabkommen, das infolge der Ermordung Yitzhak Rabins nicht zustande kam.)
Doch dann träumte der Westen selig vom „arabischen Frühling“, der endlich auch Syrien erreichen sollte. Dazu bastelten die üblichen zuständigen Stellen in den USA, der NATO, im Vereinigten Königreich im Verbund mit den vertrauenswürdigen Partnern Saudi Arabien und Katar emsig am Sturz des Alawitenherrschers in Damaskus. Die amerikanische CIA und der britische SIS brachten die Waffen des ermordeten Despoten Muammar al-Ghadhafi aus dem bereits befreiten Libyen über die Türkei zu den Freiheitskämpfern in Syrien und kauften mit saudischem Geld auf dem Balkan zusätzliches, dort überflüssig gewordenes Kriegsmaterial für diese neuesten Freunde der freien Welt.
Erdogan liefert an die syrischen Jihadisten
Schon bald jedoch fanden die geschäftigen Waffenlieferanten heraus, dass ihr Verbündeter in Ankara, der Syriens muslimische Häretiker als einen persönlichen Feind sah, ihr Programm gekapert und in ein grenzüberschreitendes technisches Waffen- und Logistikprogramm für sämtliche Oppositionsgruppen in seinem Nachbarstaat einschliesslich Ahrar al-Sham, Jabhat al-Nusra und Islamischer Staat verwandelt hatte.
Die sogenannten „Moderaten“ befanden sich bereits in Auflösung, die Freie Syrische Armee (FSA) schrumpfte auf einem türkischen Luftwaffenstützpunkt in die Bedeutungslosigkeit. Die CIA kam zu „der trostlosen Einschätzung, dass es keine brauchbare ‚moderate‘ Opposition in Syrien gab, und die USA Extremisten bewaffneten“[1], erfuhr der amerikanische Enthüllungsjournalist Seymour Hersh aus amerikanischen Militärkreisen.
Der deutsche Journalist Jürgen Todenhöfer, der sich zehn Tage in IS-beherrschtem Gebiet in Irak und Syrien aufgehalten hatte, berichtete in CNN, die IS-Führung „lacht über die Freie Syrische Armee. Sie nimmt sie nicht ernst.“ Sie sagten, „unsere besten Waffenverkäufer sind die Leute von der FSA. Wenn sie eine gute Waffe haben, verkaufen sie uns die.“[2]
Obsoletes US-Material für die syrische Opposition?
Die Jihadisten kontrollierten die Opposition, stellten die Geheimdienst- und Militärexperten fest. Und Saudi-Arabien, Katar und die Türkei finanzierten und bewaffneten die religiös geifernden Kämpfer. „Wir diskutierten die Haltung der Türkei, die wegschaute“, zitierte Hersh Generalleutnant Michael Flynn, bis 2014 Direktor der Defense Intelligence Agency (DIA), in einem Artikel in der „London Review of Books“. Doch in der Obama-Administration wollte niemand die unerwünschten Informationen. „Sie wollten die Wahrheit nicht hören.“[3]
In ihrer Not wandten sich die Joint Chiefs of Staff (JCS) an ihre deutschen, israelischen und russischen Kameraden, die alle über brauchbare Kontakte und auch Einfluss bei der syrischen Armee und bei Assad verfügen. „Dass wir unsere Lage-Einschätzungen mit anderen Ländern austauschten, konnte nützlich sein“, erklärte ein JCS-Berater. „Uns war klar, Asad brauchte bessere taktische Informationen und operative Beratung.“
Um die Politik ihres Präsidenten und obersten Befehlshabers nicht völlig zu konterkarieren und als Beweis ihrer ernst gemeinten Hilfe für Asad schickten die Geheimdienstler und Militärs der syrischen Opposition obsoletes Material, das noch in ausreichenden Mengen ungenutzt in türkischen Arsenalen herumlag. „Wir arbeiteten mit Türken, denen wir vertrauten und die Erdoğan nicht trauten“, so der JSC-Mitarbeiter. „Die schickten den Jihadisten in Syrien all die alten Waffen, M1-Karabiner, die im Korea-Krieg zum letzten Mal zum Einsatz gekommen waren, Massen an sowjetischen Waffen.“[4]
Erdogans Traum vom Osmanischen Reich
Es half nichts. Ankara ersetzte die USA als Waffenlieferant. Als fünf türkische Staatsanwälte und drei Polizeikommandeure Lastwagen stoppten, in denen der türkische Nationale Nachrichtendienst (MIT) 1000 Mörsergranaten, 80 000 Patronen für leichte und schwere Waffen sowie Hunderte Granatwerfer zu den Jihadisten in Syrien schmuggeln wollte, wurden die Gesetzeshüter entlassen und verurteilt, weil sie der Republik „Schaden zugefügt“ hatten. Als die Zeitungen „Hurriyet“ und die „Cumhuriyet“ über den Vorfall berichteten, beschuldigte sie Recep Erdoğan, „unwahre Bilder und Informationen“ veröffentlicht und „geheime Informationen verbreitet“ zu haben. Die Blätter bezahlten den von Erdoğan versprochenen „hohen Preis“[5].
Das ganze Gleichgewicht im Nahen Osten basiere „auf einer Art gegenseitig garantierter Zerstörung zwischen Israel und dem Rest der Region“, analysierte ein amerikanischer Nahost-Stratege die Situation. „Die Türkei kann dieses Gleichgewicht stören – und das ist Erdoğan’s Traum. Er träumt grosse Träume – davon, das Osmanische Reich wiedererstehen zu lassen.“[6]
In seinem Kampf gegen Assad und auf dem Weg, die Türkei zu alter Größe zu bringen, stützt sich Erdoğan zunehmend auf religiös inspirierte muslimische Soldaten. Türkische Sanitäter sind in Syrien an der Seite von IS im Einsatz, wie kurdische Kämpfer bei der Verteidigung eines Ortes im nordsyrischen Kurdengebiet beobachteten. Als er mit einem IS-Verband durch türkisches Territorium fahren musste, so erzählte ein Kommunikationstechniker der vormals im IS-Kommunikationsbüro in Raqqa arbeitete in „Newsweek“, habe ihn der Kommandeur beruhigt, er müsse „nichts befürchten, weil die Türken voll kooperieren.“ Er habe „unzählige Male die Verbindung zwischen IS-Offizieren an der Front und Kommandeuren in Syrien mit Leuten in der Türkei“ verbunden. „Sie sprachen meistens Türkisch, weil ihre Gesprächspartner irgendwelche türkische Beamte oder Offiziere waren.“
Internationale islamistische Brigaden via Türkei
Über die Türkei gelangen Jihadisten aus Tschetschenien, aus Aserbeidschan, Kasachstan, Kirgistan, Tadjikistan, sogar aus dem fernen Xinxiang nach Syrien. Tausende Uighuren der Islamischen Bewegung Ostturkestans, die für Unabhängigkeit von China kämpft, strömten via die Türkei nach Syrien. „Seit 2013 langten 5000 uighurische Kämpfer in der Türkei an, von denen vielleicht 2000 nach Syrien gehen“, berichtete „IHS-Jane’s Defence Weekly“ im Oktober letzten Jahres. Die türkische Unterstützung für die Uighuren auf ihrem langen Marsch an die nahöstliche Front führte zu erheblichen Spannungen zwischen Ankara und Beijing, das befürchtet, die Türkei könnte diese Hilfe für die Separatisten später auf Xinjiang ausdehnen.
Ein Kommando-Unternehmen amerikanischer Special Forces, bei dem Abu Sayyaf, bei IS zuständig für die Öl- und Gasoperationen, getötet wurde, brachte die geschäftliche Seite des guten Einvernehmens zwischen der Türkei und IS zutage. Hunderte erbeuteter Dokumente, USB-Sticks und Flash drives enthielten „unbestreitbare“ Beweise für die Beziehungen zwischen der Türkei und IS, so ein hochgestellter westlicher Beamter, „dass dies zu tiefgreifenden politischen Implikationen für unsere Beziehungen zu Ankara führen könnte.“[7]
Die Südgrenze der Türkei ist zur Transitstrecke für billiges Öl, Waffen, islamistische Krieger und geplünderte Antiquitäten geworden. Im Rahmen der NATO-„Operation Active Fence“ hielt auch Deutschland mit 400 Soldaten und einem MIM-104 Patriot- Mittelstrecken-Flugabwehrraketen-System drei Jahre lang seine schützende Hand über die dubiosen Geschäfte des türkischen NATO-Partners. Und Kanzlerin Angela Merkel freut sich über dessen Bereitschaft, den Zustrom syrischer, irakischer und afghanischer Flüchtlinge einzudämmen.
[1] Seymour M. Hersh, „Military to Military“, London Review of Books, Vol. 38 No. 1, 7.1.2016
[2] Ibid.
[3] Ibid.
[4] Ibid.
[5] Ari Yashar, „Turkey Tries Officials Who Foiled State's Weapon Smuggling“, Arutz Sheva Israel National News, 4.6.2015
[6] Hersh, „Military to Military“
[7] Ari Yashar, „Turkey Revealed to be Cooperating with ISIS“, Arutz Sheva Israel National News 28.7.2015