Als erstes hatte Putin den syrischen Präsidenten Asad am 20. Oktober zu einem Besuch in der russischen Hauptstadt eingeladen. Putin erklärte: "Trotz der dramatischen Lage in ihrem Land, sind Sie unserer Aufforderung nachgekommen, hierher nach Russland zu reisen. Wir danken Ihnen dafür".
Der russische Präsident fuhr fort: "Wir sind bereit, ihnen Hilfe zu leisten, sowohl bei der Bekämpfung des Terrorismus als auch für den politischen Prozess." Nach dem Besuch sagte Putin, Asad habe sich bereit erklärt, gemeinsam mit Teilen der Opposition gegen den Terrorismus zu kämpfen.
Das Hauptproblem bleibt Asad
Damit war das Hauptthema angesprochen, das die Russen in Wien zur Sprache brachten, als sich dort die Aussenminister der USA, der Türkei und Saudi-Arabiens mit dem russischen Aussenminister Sergei Lavrow trafen. Iran war nicht dabei, und die Amerikaner erklärten, sie seien noch nicht bereit, mit Iran über Syrien zu verhandeln.
Das Treffen von Wien hat keine sofortigen Resultate gebracht. Das Hauptproblem war und bleibt die Zukunft Asads. Washington fordert seinen Rücktritt, nicht notwendigerweise sofort, aber jedenfalls nach einer kurzen Übergangsfrist. Moskau sagt, das syrische Volk habe über seine eigene Zukunft zu bestimmen. Bis dies geschehe, habe Asad zu bleiben.
Kampf dem "Terrorismus"
Doch die Gespräche zeigten deutlich, wohin die russische politische Offensive zielt. Der Sprecher Putins erklärte nach dem Treffen, Russland beabsichtige nicht, Asad zu stärken, sondern vielmehr, Syrien vor dem Terrorismus zu retten. Dieser bedrohe nicht nur Syrien, sondern auch die umliegenden Staaten. Asad sei bereit, mit allen Oppositionskräften zusammenzuarbeiten, um gegen den Terrorismus zu kämpfen.
Russland erklärte auch, es bestehe eine militärische Koordination mit der amerikanischen Luftwaffe. Doch diese gehe nicht soweit, wie es die Russen wünschten. So habe man sich nicht darauf einigen können, welche Ziele bombardiert werden sollten. Die USA seien da nicht zu einer Mitarbeit zu bewegen gewesen, sagte Lawrow.
Gemässigte und radiikale Feinde Asads
All dies lässt erkennen, dass die Russen den schwachen Punkt der amerikanischen und "westlichen" Position kennen und ihn auszunützen gedenken. Die westlichen Mächte machen einen Unterschied zwischen den sogenannten "gemässigten" Feinden Asads und den radikalen "Islamisten" oder "Jihadisten".
Die westliche Seite hat grosse Schwierigkeiten, schlagkräftige Kampftruppen aufzustellen, die nicht "Islamisten" sind und auch nicht mit den Islamisten zusammenarbeiten.
Russland erklärt jedoch, es könne in Syrien keine Kampftruppen wahrnehmen, die nicht "Terroristen" seien oder nicht mit "Terroristen" zusammenarbeiteten.
"Alle schlakräftigen Kampftruppen sind Terroristen"
Putins Sprecher wurde befragt, ob denn in den russischen Augen alle Oppositionsgruppen "Terroristen" seien. Er erklärte, "alle schlagkräftigen Kampftruppen sind Terroristen". Er hob hervor, es sei ein Fehler der westlichen Kräfte, einen Unterschied zwischen den verschiedenen "Terrorgruppen" zu machen. Die Russen hätten die westliche Allianz aufgefordert, ihnen Gruppen zu nennen, die nicht terroristischer Natur seien. Solche hätten sich nicht gefunden.
Mit diesen Argumenten geht die russische Diplomatie darauf aus, die militärischen Aktionen der russischen Luftwaffe zu rechtfertigen. So wird behauptet, man gehe gegen „die Terroristen“ vor, vor allem gegen den sogenannt „Islamischen Staat“ (IS). In Wirklichkeit jedoch dienen die russischen Luftangriffe dazu, die Gegner Asads zu schwächen. Die syrische Armee ist inzwischen an fünf Fronten in die Offensive gegangen. Diese militärischen Vorstösse der Asad-Truppen werden durch die Angriffe russischer Kampfflugzeuge unterstützt.
"Seid Ihr mit den Terroristen oder mit Asad?"
Dahinter steckt folgende Strategie: Alle Gegner Asads, die nicht zum IS gehören und die teilweise aktive Gegner des IS sind, sollen ausgeschaltet werden. Danach stehen die von Russland, Iran und der Hizbullah unterstützten Asad-Truppen ausschliesslich dem „Islamischen Staat“ gegenüber. Die westlichen Mächte stünden dann vor der Wahl zwischen Asad und dem „Islamischen Staat“. Schon stellen die Russen dem Westen die Frage: Seid Ihr mit „den Terroristen“ oder seid Ihr mit (Asads) Syrien?
Es gibt in Damaskus eine politische Opposition, die sich geweigert hat, zu den Waffen zu greifen. Ihre Führer - Politiker der Linken – haben sich im Syrisch Demokratischen Forum zusammengeschlossen. Ihre führende Figur ist Michel Kilo. Er befand sich mehrmals jahrelang in syrischen Gefängnissen. Doch Asad duldete es zu Beginn des Bürgerkrieges, dass das Forum in Damaskus zusammentrat. Kilo hat schon 2012 erklärt, dass ohne Russland der Bürgerkrieg nicht zu beenden sei. Er sagte damals auch schon, dass es darum gehe, den syrischen Staat zu retten, nicht Asad. Diese Art politischer, nicht militärischer Opposition, dürfte Moskau in erster Linie vorschweben, wenn es darum geht, die Zusammenarbeit "der Opposition" und der politischen Kräfte zustande zu bringen, die heute hinter Asad stehen.
Asad oder sein Geheimdienstregime?
Washington und Moskau sind sich darüber uneinig, was mit Asad zu geschehen habe. Doch dabei handelt es sich genau besehen um ein Schattenboxen. Denn in Wirklichkeit geht es nicht um die Person Asads, sondern um das Regime, das diese Person stützt, also das Geheimdienstregime, das entscheidend von alawitischen Offizieren gelenkt und kontrolliert wird. Ob dieses weiter regieren wird, oder ob es entmachtet wird, ist die wirklich entscheidende Frage. Asad persönlich ist bloss ein Kopf, den dieses Regime trägt und in dessen Namen es auftritt.
Wenn Moskau davon spricht, dass das syrische Volk über seine Zukunft entscheiden solle, übergeht es diesen entscheidenden Punkt. Sogar wenn Asad ginge, das Geheimdienstregime aber bliebe, wäre es das Regime, nicht das syrische Volk, das darüber entscheiden würde, wer Syrien regiert. Wenn der "syrische Staat" gerettet werden soll, lautet die entscheidende Frage: Syrien mit dem heutigen Geheimdienstregime oder ohne es?
Ambiguitäten
Die russische diplomatische Offensive bringt zwei bewusst eingesetzte Mehrdeutigkeiten ins Spiel: jene des Begriffs "Terrorismus" und jene des Begriffs "der Staat". Als „Terroristen“ sucht sie alle Feinde Asads einzustufen, als „syrischen Staat“, das Geheimdienstregime, das Vater Asad, Hafez al-Asad, einrichtete und das sein Sohn, Baschar al-Asad, weiterführt. Vorausgesetzt, man nimmt nicht an, dass das Regime ihn führt.
Die diplomatische Offensive Russlands versucht, alle Aussenmächte so weit wie möglich davon zu überzeugen, dass diese beiden Ambivalenzen im Sinne Russlands gedeutet werden. Falls dies geschieht, so verspricht Russland, würde in Syrien wieder Ruhe eintreten, wenn aber nicht, werde der Krieg fortgesetzt.