Der Durchbruch bei den Verhandlungen über das umstrittene iranische Nuklearprogramm ist geschafft. Jetzt geht es darum, das Rahmenabkommen in Vertragssprache zu übersetzen. Dafür haben die Diplomaten bis Ende Juni Zeit.
Eckpunkte
Nach sechs Tagen und Nächten intensiver Verhandlungen im Lausanner Nobelhotel „Beau-Rivage Palace“ legten die Aussenminister der fünf Vetomächte des Weltsicherheitsrats und Deutschlands auf der einen Seite und der Islamischen Republik auf der anderen die „Eckpunkte“ eines Abkommens fest. Die vereinbarten Parameter sollen gewährleisten, dass Iran in absehbarer Zukunft keine Atomwaffen bauen kann. Im Gegenzug werden die von der Uno, den USA und der EU gegen Iran verhängten Wirtschaftssanktionen stufenweise aufgehoben.
Der Vertrag soll eine Laufzeit von 10 Jahren, einige Nebenabkommen von 15 Jahren haben. Die Überwachung der iranischen Uran-Anreicherungskapazitäten durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) in Wien wird sogar auf 25 Jahre festgesetzt. Zu diesem Zweck verpflichtet sich Teheran, ein Zusatzabkommen zum Atomwaffensperrvertrag zu ratifizieren, das den Inspektoren der IAEO ungehinderten Zugang ohne Voranmeldung zu allen Nuklearanlagen erlaubt.
Drastische Einschränkungen
Das Netz von Bestimmungen soll sicherstellen, dass Iran im Falle eines Vertragsbruchs mindestens ein Jahr Zeit benötigen würde, um genügend waffenfähiges Spaltmaterial für den Bau einer einzigen Atombombe anzuhäufen. Das lässt Zeit für Gegenmassnahmen.
Die Iraner haben drastische technische Einschränkungen akzeptiert. So werden sie die Zahl ihrer zur Anreicherung von Uran notwendigen Zentrifugen von derzeit 19´000 auf 6104 verringern. Ihre modernsten Modelle IR-6 oder IR-8 dürfen sie nicht weiter betreiben, sondern nur die Schleudern der ersten Generation mit der Kürzel P-1, die sie einst vom „Vater der pakistanischen Atombombe“ Abdul Kadir Khan auf dem Schwarzmarkt kauften.
Lückenlose Überwachung
Iran darf während mindestens 15 Jahren kein Uran mehr auf über 3,67 Prozent mit dem spaltbaren Isotop U-235 anreichern. Für Atomsprengköpfe wäre eine Anreicherung auf etwa 90 Prozent erforderlich.
In der unter hohen Kosten in einen Felsen gehauenen unangreifbaren Nuklearanlage Fordo in der Nähe der „heiligen Stadt“ Ghom dürfen die Iraner mindestens 15 Jahren lang überhaupt kein Uran mehr anreichern, sondern nur mehr zivile Kernforschung betreiben. Der noch nicht fertiggestellte Schwerwasserreaktor bei Arak wird umgebaut, damit er beim Betrieb kein waffenfähiges Plutonium absondert. Der Reaktorkern muss zerstört werden. Die Inspektoren der IAEO erhalten den Auftrag, den gesamten Fluss des spaltbaren Materials von der Uranmine bis zu den Brennstäben zu überwachen.
Offene Probleme
Die USA haben das Ergebnis der vor zwölf Jahren begonnenen Verhandlungen in groben Zügen veröffentlicht – sehr zum Unwillen ihrer iranischen Gesprächspartner, die Diskretion vorgezogen hätten. Die Iraner möchten den vollen Umfang ihrer Zugeständnisse nicht hinausposaunen. US-Präsident Barack Obama steht unter umgekehrten Zwang: Er muss dem Kongress Beweise für seinen Erfolg auf dem diplomatischen Parkett liefern, um den innenpolitischen Gegnern das Wasser abzugraben.
Noch ist der Vertrag nicht in trockenen Tüchern. Bei der Übertragung der vereinbarten Parameter in Vertragssprache wird es noch einigen Hickhack geben. Einige Punkte, wie die Aufhebung der Uno-Sanktionen gegen Iran und ihre eventuelle Wiedereinführung im Falle eines Vertragsbruchs, bleiben vage. Die Iraner werden versuchen, hier noch einige Nachbesserungen zu ihren Gunsten herauszuschinden. Grundsätzlich gehört es zum diplomatischen Handwerk, aus Notizen völkerrechtskonforme Texte zu formulieren. Dabei werden Zweideutigkeiten ausgeräumt oder auch absichtlich stehen gelassen.
Scheitern unwahrscheinlich
Man kann sich kaum vorstellen, dass der Vertrag letztlich an solchen semantischen Finessen scheitern wird. Fast alle Staaten, darunter die in das Abkommen eingebundenen Grossmächte, sind über die Lösung des Dauerstreits froh. Bezeichnend war die spontane Reaktion der iranischen Bevölkerung, die die Nachricht vom Lausanner Abkommen mit Freudenkundgebungen und Hupkonzerten begrüsste. Die Menschen feierten keinen Sieg, sondern drückten ihre Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Ende der Wirtschaftssanktionen aus.
Auch der mächtige Ober-Ayatollah Ali Chamenei scheint die Politik des Präsidenten Hassan Rohani zu billigen. Offenbar hat sich in Teheran die Ansicht durchgesetzt, dass das nukleare Abenteuer seinen hohen Preis nicht wert war - ob das Regime tatsächlich nach der Atombombe griff oder bloss die technischen Fähigkeiten für ihrem Bau erreichen wollte. Das Recht auf friedliche Nutzung der Kernkraft ist der Islamischen Republik als Mitglied des Atomwaffensperrvertrags ohnehin verbrieft. Sie muss bloss die Regeln respektieren.
Verquere Logik Netanjahus
Die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. Es ist beinahe dramatisch, wie er erneut die drohende Vernichtung Israels als Folge des Rahmenabkommens von Lausanne an die Wand malt. Mit der Besetzung des Themas Sicherheit hat er zwar kürzlich die vorgezogenen Parlamentswahlen in Israel gewonnen, doch selbst seine eigenen Geheimdienstoffiziere verweigern ihm in dieser Frage die Gefolgschaft.
Wieso eine einschneidende Begrenzung der iranischen Atomwaffenkapazität die Existenz Israels gefährdet, leuchtet wohl nur den republikanischen Hardlinern im US-Kongress ein. Letzteren geht es aber vor allem darum, dem verhassten Präsidenten ein Bein zu stellen. Sie versuchen jetzt, im Parlament eine Abstimmung über einzelne Punkte des Iran-Abkommens durchzuboxen. Dass sich die USA damit aussenpolitisch isolieren würden, rührt sie nicht an.
Mit den ultrakonservativen Kongressabgeordneten, Israels Premier Netanjahu und den iranischen „Revolutionswächtern“ (Pasdaran) haben seltsame Bettgenossen zueinander gefunden. Die Pasdaran müssen von einem Ausgleich zwischen Iran und den USA wohl am meisten befürchten. Sie bilden einen Staat im Staate und leben von der Rüstungsindustrie.