Letta gehört dem liberalen Flügel des sozialdemokratischen „Partito Democratico“ (PD) an. Er hat die Aufgabe, „eine starke Regierung“ zu bilden. Unterstützt wird Letta – zumindest jetzt – von den drei grossen Partei-Allianzen, dem Centrosinistra, dem Centrodestra und der Mitte.
Da seine Linkspartei im Senat keine Mehrheit besitzt, ist er auf das Mitte-Rechts-Bündnis angewiesen. Er ist also Regierungschef von Berlusconis Gnaden. Berlusconi selbst befindet sich in einer starken Position. Seine Partei hat laut einer jüngsten Meinungsumfrage stark zugelegt und könnte Neuwahlen gewinnen.
Schon vor der offiziellen Ernennung ist Letta von Mitte-Rechts gewarnt worden. „Wir wollen keine linken Spielchen wie bei der Wahl des Staatspräsidenten“, erklärte Angelino Alfano, der Sekretär der Berlusconi-Partei.
Sofort zwei heisse Eisen anpacken
Letta hat jetzt von Napolitano die Aufgabe erhalten, sofort zwei heisse Eisen anzupacken: Er soll umgehend Massnahmen zur Eindämmung der immer dramatischer werdenden wirtschaftlich-sozialen Krise ergreifen. Ferner soll schnell eine Wahlrechtsreform beschlossen werden, um politische Patt-Situationen wie die jetzige zu verhindern.
Der Entscheid für Letta fiel offenbar in letzter Minute. Bis Mittwochvormittag war auch die Ernennung des bald 75-jährigen Giuliano Amato, eines zweifachen Ministerpräsidenten, für möglich gehalten worden. Mit dem wesentlich jüngeren Letta wollte Napolitano ein Zeichen des Neufanfangs setzen.
Berlusconi hätte offenbar Amato bevorzugt, sperrte sich jedoch nicht gegen Letta. Im Gespräch war auch Matteo Renzi, der 38-jährige Bürgermeister von Florenz und „Putschist“ gegen PD-Generalsekretär Bersani. Offenbar haben sich Berlusconi als auch mehrere PD-Grössen gegen Renzi ausgesprochen.
Der jüngste Minister
Letta war bisher stellvertretender Generalsekretär des PD und im Ausland wenig bekannt. Er studierte Politikwissenschaft und gehörte zunächst dem „Partito Popolare Italiano“ (PPI) an. Diese Partei ging 1994 aus der untergegangenen, einst staatstragenden „Democrazia Cristiana“ (DC) hervor.
Letta war 1998 in der Regierung D’Alema zum Europaminister ernannt worden. Damit war er mit 32 Jahren der jüngste Minister in der Geschichte der italienischen Republik.
Der PPI schloss sich 2002 dem liberalen Mitte-Bündnis „La Margherita“ an. Dieses ging 2007 im der neugegründeten sozialdemokratischen „Partito Democratico“ (PD) auf. Letta gehörte zum Gründungskomitee des „Partito Democratico“, der nach dem Rücktritt von Pierluigi Bersani im Moment führungslos ist.
Aussenminister Monti?
Der 87-jährige Giorgio Napolitano, der am Samstag erneut zum Staatspräsidenten gewählt worden war, verlangte, dass sich die Parteien in kürzester Zeit zu einer Regierung zusammenraufen – sonst würde er zurücktreten.
Normalerweise beauftragt der Staatspräsident eine Persönlichkeit mit der Bildung der Regierung. Dieser stellt dann ein Kabinett zusammen. Diesmal ist es etwas anders. Napolitano beauftragte nicht nur Letta mit der Bildung der Regierung, sondern schlug offenbar auch gleich Namen für die wichtigen Ministerien vor. So will er – nach den chaotischen letzten Wochen – weitere Keilereien um die Besetzung der Ministerien verhindern.
Wirtschaftsminister soll - laut Spekulationen italienischer Zeitungen - Pier Carlo Paduan werden, der Chefökonom der in Paris ansässigen OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Aussenminister würde Mario Monti, der bisherige Ministerpräsident werden. Die bald 70-jährige Anna Maria Cancellieri bliebe Innenministerin, ein Amt, das sie schon unter Mario Monti innehatte.
Letta muss jetzt in Windeseile sein Kabinett zusammenstellen und in beiden Kammern die Vertrauensfrage stellen.
Verblassende Sterne
Die „Fünf-Sterne“-Protestbewegung von Beppe Grillo hat schon angekündigt, dass sie einen harten Oppositionskurs gegen die neue Regierung steuern werde. Auch die Lega Nord, die bisher mit Berlusconi verbündet war, will in die Opposition gehen. Die linksradikale Partei „Sinistra, Ecologia, Libertà“ (SEL) von Nichi Vendola will ebenfalls die neue Regierung nicht unterstützen.
Interessant ist das Verhalten von Silvio Berlusconi. Er gebärdet sich im Moment wie ein Lamm. In den Meinungsumfragen fliegt seine Partei, der „Popolo della libertà“ (Pdl), davon. Eine am Dienstag veröffentliche Befragung des Instituts Tecnè für den Fernsehsender „Sky TG 24“ gibt Berlusconi 37,7 Prozent der Stimmen, 8,5 Prozent mehr als bei den Wahlen im Februar.
Anderseits verliert die Protestbewegung „5 stelle“ des Ex-Komikers Beppe Grillo im Vergleich zu den letzten Wahlen 4,2 Prozent. Der linke „Partito Democratio“ hatte nach den Wahlen zugelegt, ist jetzt allerdings wieder auf das Niveau vom Februar zurückgefallen.
Warten auf ein Wunder
Der neuen Regierung wird von vielen Seiten Kredit gegeben. Doch die Aufgaben sind gewaltig und die Positionen der verschiedenen Parteien waren bis vor kurzem völlig festgefahren. Es ist fraglich, ob Letta das Wunder vollbringen kann, dringend notwendige tiefgreifende strukturelle Veränderungen durchzusetzen.
Gelingt dies nicht, könnten bald wieder chaotische Zustände herrschen. Gäbe es dann Neuwahlen, hätte Berlusconi Chancen, sie zu gewinnen und erneut Ministerpräsident zu werden.
Vielleicht denkt Berlusconi - dem man immer alles zutraut - schon jetzt an Neuwahlen. Mit seinem gegenwärtig konstruktiven Auftreten will er sich als staatstragende Kraft profilieren. Beim nächsten Urnengang wäre das für ihn hilfreich.
P.S. Enrico Letta ist nicht zu verwechseln mit dem bekannteren Gianni Letta, seinem Onkel. Gianni Letta ist ein Vertrauter von Berlusconi und gehört dem Popolo della libertà an.