Im Alter von 83 Jahren ist Roman Berger, langjähriger Redaktor und Auslandkorrespondent des «Tages-Anzeigers» (TA) und Autor des «Journal 21», in Zürich gestorben. Er schrieb über ein breites Spektrum von Themen: Russland, die USA, Lateinamerika und die Krise des Journalismus. Für den TA berichtete er aus Washington DC und Moskau.
Seinen letzten Artikel für das «Journal21» schrieb Roman Berger am 6. Dezember 2019 nach einem Besuch in Moskau. Der optimistische Titel: «Es gibt Hoffnung – trotz allem». Auch wenn er sich keine Illusionen über den Charakter des Regimes von Wladimir Putin gemacht hatte, verlor er nie die Überzeugung, dass sich die Verhältnisse in Russland eines Tages zum Besseren wenden könnten. Sein verhaltener Optimismus gründete auf Kontakten und Gesprächen mit Russinnen und Russen wie dem im Beitrag zitierten 24-jährigen Roman Junenmann, der sich als unabhängiger Jungpolitiker in Moskau friedlich für ein Ende des Status quo einsetzte.
Weckruf für die Demokratie
Roman Bergers drittletzter Beitrag vom 19. Juli 2019 befasste sich mit der Ukraine und trug den prophetischen Titel «Krieg oder Frieden?». Er thematisierte den Umstand, dass laut einer von der niederländischen Regierung finanzierten Umfrage eine Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukrainer Friedensverhandlungen mit den von Russland unterstützten Regionen Donezk und Luhansk befürworteten, Europa und die USA diesen neuen Friedenswillen aber kaum je wahrnehmen würden: «Nach fünf Jahren Krieg (in der Ostukraine) macht die Ukraine in den westlichen Medien keine Schlagzeilen mehr.»
Einen Monat zuvor hatte Roman Berger im «Journal21» im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2020 noch die Frage gestellt, ob Amerikas Demokratie sterbe. Er zitierte ein Buch der beiden Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, wonach auch die amerikanische Demokratie – so wie andere Demokratien – eines schleichenden Todes sterben könnte, ohne einen Putsch oder eine Revolution: «Heute sterben Demokratien so langsam, dass es vielen nicht einmal auffällt.» Der Urnengang 2016 und die Wahl Donald Trumps sollten zeigen, wie treffend die Diagnose war, der Roman Berger zustimmte: «Hoffentlich wird dieser Weckruf zur Rettung der Demokratie auch gehört, in den Vereinigten Staaten, in Europa und anderswo.»
Junger Redaktor der 68er-Generation
Seine journalistische Tätigkeit begann Roman Berger nach dem Studium und Doktorat der Geschichte in Freiburg. Walter Stutzer, 1963 Chefredaktor geworden, engagierte den jungen Historiker auf der Redaktion des «Tages-Anzeigers» (TA), wo er das Metier in verschiedenen Sparten kennenlernte und den Sprung in sein Zielressort, das Ausland, schaffte. «Frisch von der Universität kommend, treten junge Redaktoren der 68er-Generation in die TA-Redaktion ein und bringen eine neue Politisierung der Zeitung», heisst es in Werner Catrinas Firmengeschichte «Medien zwischen Geld und Geist», die 1993 zum 100-jährigen Jubiläum des «Tages-Anzeigers» erschienen ist.
Neben formalen Änderungen führte Walter Stutzer auch ein neues Konzept ein, das einen wirklichkeitsnahen und personenbezogenen Journalismus mit Interview, Reportagen, Hintergrundberichten und mehr Fotos beinhaltete – Änderungen, die sich stärker am angelsächsischen Journalismus orientierten und einem jungen Journalisten wie Roman Berger natürlich behagten.
Korrespondent in Washington DC, Streifzüge in Lateinamerika
So zog es ihn 1976 auf den Korrespondentenposten in Washington DC, wo Gerald Fords Amtszeit zu Ende ging und Jimmy Carter ins Weisse Haus einzog. Vier Jahre später musste der Erdnussfarmer aus Georgia unter anderem wegen des Debakels einer misslungenen Befreiung amerikanischer Geiseln im Iran seinen Posten räumen, um Ronald Reagan Platz zu machen. Und der Kalifornier verkündete, «It’s morning again in America», nachdem sein Vorgänger in einer schockierenden Fernsehrede noch ein nationales Malaise diagnostiziert hatte.
1982 kehrte Roman Berger ins TA-Auslandressort in Zürich zurück, wo er sich neben der US-Politik vor allem Südamerika widmete, das er auf zahlreichen Reportage-Reisen durchquerte. TA-«Ausländern» standen damals, wie sich Redaktionskollege und «Journal21»-Autor Jürg Schoch erinnert, noch komfortable Reisebudgets zur Verfügung: «Sehr am Herzen lagen ihm in jener Phase das Gelingen der sandinistischen Revolution in Nicaragua und die Stabilisierungsversuche anderer sozialistischer Gehversuche – was mitunter zu Mahnungen von Chefredaktor Peter Studer führte, die Sachlage etwas distanzierter und weniger euphorisch darzustellen.» Peter Studer war es, der die politische Ausrichtung des «Tages-Anzeigers» einst «um eine Haaresbreite links der Mitte» eingestuft hat.
«Russland hinter den Schlagzeilen»
Jürg Schoch erinnert sich, dass Roman Berger ein wissensdurstiger, begeisterungsfähiger und kritischer Mensch gewesen sei, um es auf die Dauer auf einem bequemen Redaktionsstuhl in Zürich auszuhalten. Als 1991 der Korrespondentenposten in Moskau frei wurde, meldete Roman Berger ohne zu zögern sein Interesse an. Mit ihm zog es ironischerweise einen Journalisten nach Russland, von dem etliche Kritiker früher verlangt hatten, ihn umgehend «Moskau einfach!» zu verfrachten.
Roman Berger berichtete bis zu seiner Pensionierung 2001 aus Moskau, wo er seine zweite Frau Inna kennen und lieben lernte. Sein Hauptthema: die chaotischen Umwälzungen nach dem Zerfall der Sowjetunion. Und als Autor war er laut dem damaligen «Ausland»-Ressortleiter Jürg Schoch stets darauf bedacht, «den Schweizer Leserinnen und Lesern zu erklären, dass – und vor allem warum – russische Politik anders funktioniert als westliche». Im selben Jahr erschien im WerdVerlag Roman Bergers Buch «Russland hinter den Schlagzeilen – Erfahrungen eines Moskau-Korrespondenten».
«Zeitgeschichte erleben», schreibt Roman Berger im Vorwort, «ist der Traum jedes Ausland-Korrespondenten.» Für Russland sei das ganze 20. Jahrhundert von Erschütterungen und Tragödien geprägt gewesen: Revolution, Bürgerkrieg, Repression, Erster und Zweiter Weltkrieg, die Invasion Afghanistans und der erfolglose Versuch von Präsident Gorbatschow, die Sowjetunion zu reformieren.
Die Phasen zwischen diesen traumatischen Ereignissen seien für die Gesellschaft zu kurz gewesen, um sich zu erholen: «Dieser konstante Erschöpfungszustand erklärt auch, warum Russland auf dramatische Ereignisse, die im Ausland Alarm auslösen, mit Apathie und Fatalismus reagiert.» Oft stelle er sich deshalb die Frage umgekehrt, konstatiert Roman Berger: «Wie würden wir in der Schweiz, in Deutschland oder Österreich ähnliche Erschütterungen und chaotisch sich verändernde Lebensbedingungen aufnehmen? Oder wie viele Jahrhunderte hat es gedauert, bis sich in der westlichen Gesellschaft Modelle und Werte entwickeln konnten, die wir heute Demokratie, Marktwirtschaft oder Toleranz nennen?»
Überzeugter «Tiers-mondiste»
Aus diesen Bergers Sätzen spricht, was Jürg Schoch als Grundprinzip Roman Bergers publizistischer Tätigkeit definiert – der Einsatz für eine gerechtere Welt, wie es sich für einen überzeugten «Tiers-mondiste» geziemt. Und was Roman Berger ebenfalls nie losgelassen habe, sei neben einem gewissen missionarischen Eifer «das Fuder kulturkämpferischer Anweisungen» gewesen, die ihm die Benediktinerpatres der Stiftsschule Engelberg einst mit auf den Weg gegeben hätten: «Sie, die jungen Katholiken, müssten im liberalen Staat gesellschaftlich, politisch, militärisch ihren Mann stellen. Und Offiziere werden, Gegengewichte bilden gegen die Protestanten!» Oberleutnant Berger hätte, wie er auf der Redaktion erzählte, den Hafen von Romanshorn gegen den äusseren Feind verteidigt.
Roman Berger blieb auch nach seiner Pensionierung aktiv. Er trat auf Podien auf, hielt Vorträge an Volkshochschulen und schrieb für verschiedene Medien weiter – so auch fürs «Journal21». Dort erschien sein erster Beitrag am 10. September 2010 unter dem Titel «Obamas ‘Beste und Klügste’ – eine Falle».
Richtige Lösungen für wen?
Es ist die Rezension des Buches «The Promise» von Jonathan Alter, der zum Schluss kommt, dem demokratischen Präsidenten Barack Obama und dessen Beratern falle es als Absolventen der gleichen Eliteuniversitäten schwer, aus ihrer Welt auszubrechen und das reale Amerika zu sehen. Donald Trumps Wahl sollte Alter 2016 Recht geben.
Die entscheidende Schwäche der Regierung Obama sieht Alter in jenem bei Amerikanerinnen und Amerikanern tiefsitzenden Glauben, dass es mit genügend Analysen für jedes Problem immer eine richtige Lösung gebe. Aber die richtige Lösung für wen? Was nützten grandiose Analysen, die – mit der Realität konfrontiert – in sich zusammenfielen? Roman Berger ist es als Journalist stets darum gegangen, engagiert die Wirklichkeit zu erkunden und unerschrocken die richtigen Fragen zu stellen.