Die ehemalige Nusra-Front hat zum zweiten Mal ihren Namen geändert. Sie nannte sich „Eroberungsfront Syriens“, als sie sich im Juli 2016 von ihrer Mutterorganisation, der al-Kaida, trennte. Nun hat sie ihren Namen nochmals geändert in „Befreiungsfront Syriens“. Bei ihrem ersten Namenswechsel behielt die Front ihre Führung mit Abu Mohammed al-Golani an der Spitze bei. Nun, bei der zweiten Umbenennung gab sie sich ein neues Oberhaupt, Abu Jabir, mit bürgerlichem Namen, Hashim al-Shaikh.
Abu Jabir gehörte zum radikalen Flügel der „Ahrar asch-Scham“ (Freien Syriens). Er gehört, ähnlich wie al-Golani, zu den syrischen Jihadisten, die zur Zeit der amerikanischen Besatzung des Irak bei dem irakischen islamistischen Widerstand unter Zarqawi mitkämpften, der damals „al-Kaida im Irak“ genannt wurde. Doch im Gegensatz zu Golani, der im irakischen Widerstand verblieb, kehrte Abu Jabir nach Syrien zurück. Er half anderen jihadistischen Syrern, sich im Nachbarland dem irakischen Widerstand anzuschliessen. Doch er wurde gefangengenommen und gehörte zu den Jihadisten, die im Sommer 2011, vier Monate nach Beginn des ursprünglich gewaltlosen Widerstands gegen Asad von diesem amnestiert wurde. Zweifellos mit dem Ziel, der Opposition gegen Asad ein radikal islamistisches Gesicht zu verpassen. Dieses Image sollte die Propaganda Asads bestätigen, wonach der Widerstand gegen seine Herrschaft von gewalttätigen Islamisten („Terroristen“) ausgelöst worden sei.
Angriffe auf die Ex-Nusra-Front
Der neue Anführer erklärte, die neue Organisation unterscheide sich von der bisherigen Nusra-Front. Der ehemalige Chef, al-Golani, wurde nicht erwähnt. Doch bis Gegenteiliges verlautet, wird allgemein angenommen, dass er weiterhin der militärische Führer der Organisation ist. Vier weitere Gruppen in Idlib haben sich der neuen Befreiungsfront angeschlossen.
Die Ex-Nusra-Front, die jetzige Befreiungsfront, steht zurzeit in Idlib und Umgebung unter heftigem Beschuss vor allem syrischer, aber auch amerikanischer und möglicherweise auch russischer Kampfflugzeuge. Nicht angegriffen werden Widerstandskämpfer, die nicht zur Front gehören, ihnen war ein Waffenstillstand und eine Beteiligung an Friedensgesprächen angeboten worden.
Spaltung des Widerstands
Alle Gruppen, die früher auf der Seite von Nusra kämpften, mussten sich nun entscheiden: lösen sich sich von der Front und nehmen an den geplanten Friedensverhandlungen teil, oder kämpfen sie weiter mit der Front und werden beschossen.
„Ahrar“ war die grösste und wichtigste Kampftruppe, die in der Provinz Idlib mit der Nusra-Front verbündet war. Die Diskussion, ob sie sich von der Front lösen soll, spaltete sie. Der wohl grössere Teil ihrer Kämpfer und Anführer entschloss sich, nach Astana zu gehen und sich an den Vorbereitungsgesprächen für einen Frieden zu beteiligen. Diese Gespräche werden von Russland und der Türkei mit iranischer Beihilfe geleitet. Ein harter Kern zog es vor, bei Nusra (nun Befreiungsfront) zu bleiben und mit ihr weiterzukämpfen. Sein Anführer, Abu Jabir, wurde dadurch belohnt, dass er nun als das offizielle Oberhaupt der neuen Formation dienen darf.
Bomben auf das Hauptquartier der Front
Wieweit die bisherige Führung von Nusra noch aktiv ist und im Hintergrund an der Macht bleibt, ist unklar. Am 7. Januar wurde das Hauptquartier der Front in Idlib von mehreren Bomben getroffen; 23 Menschen verloren ihr Leben.
Der Anschlag soll sich zu dem Zeitpunkt ereignet haben, als die Führungsspitze der Front tagte. Deshalb ist unklar, wie viele der früheren Führungspersonen der Front überhaupt noch am Leben sind. Wahrscheinlich war es die syrische Luftwaffe, die das Hauptquartier bombardierte. Die Russen hatten erklärt, sie hätten seit Beginn des Jahres Idlib nie mehr angegriffen. Demgegenüber betonen die Asad-Streitkräfte, sie würden Idlib, wo sich der Sitz der Front befindet, mit allem Nachdruck bekämpfen.
Kämpfe zwischen beiden Lagern
Bei der Neuformierung und Neubenennung der Front waren neben dem radikalen Flügel von „Ahrar“ noch vier weitere Gruppen beteiligt. Fast täglich publiziert die Front Communiqués, wonach sich diese oder jene weitere Gruppe der Front angeschlossen habe. Andererseits erhielt auch „Ahrar asch-Scham“ seinerseits Zulauf von mehreren gesprächsbereiten Gruppierungen.
Zwischen der Front und jenen Gruppierungen, die an den Friedensverhandlungen teilnehmen wollen, sind mehrmals Kämpfe ausgebrochen.
Russicher Frieden
In Astana sollen am 15. März neue Vorbereitungsgespräche beginnen und mindestens drei Tage dauern. Anschliessend soll in Genf im April verhandelt werden. Russland setzt im Moment alles daran, den Krieg in Syrien zu beenden. Die Russen haben sich mit den Türken verständigt, indem sie diesen freie Hand und sogar Luftunterstützung für ihre „Sicherheitszone“ in Nordsyrien gewährten. Iran ist als dritter Förderer oder Pate in Astana beteiligt. Doch die iranischen Interessen in Syrien decken sich nicht mit den russischen. Putin möchte nun Ruhe, Wiederaufbau und Stabilität in Syrien, natürlich unter Bewahrung der russischen Basen zur See und den Flugplätzen für russische Kampfflugzeuge. Politisch gerät Damaskus unter russischen Einfluss.
Für Iran geht es darum, das Asad-Regime als Verbindungsglied zu Hizbullah in Libanon zu stützen. Syrien soll als zentraler Baustein der „schiitischen“ Allianz in der Arabischen Welt weiterbestehen, natürlich unter iranischer Führung. Für Iran ist Asad und seine Alawiten-Gemeinschaft wichtiger als für Russland. Ohne ihn und seine alawitischen Landsleute würde Syrien wieder „sunnitisch“ werden, weil ja die Sunniten die grosse Mehrheit der Syrer und das Rückgrat des Aufstandes bilden.
Die „Fünfte Armee“
Im Zuge eines Endspiels hat Syrien – möglicherweise auf russische Anregung hin – die Bildung von neuen syrischen Hilfstruppen angeordnet. Sie sollen die „Fünfte Armee“ genannt werden. Alle jene Syrer, die nicht ihren regulären obligatorischen Militärdienst geleistet haben, im In- oder im Ausland, sollen sich zu diesen neuen Einheiten melden. Wenn sie dies tun, wird ihnen Straffreiheit und sogar ein Sold „bis zu 100’000 syrische Pfund (zurzeit rund 200 Dollar) monatlich“ zugesichert.
Aus der Provinz Tartous wird gemeldet, dass der dortige Gouverneur angeordnet hat, alle internen Flüchtlinge im Militärdienstalter müssten sich bei diesen neuen Einheiten melden. In Libanon hat Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah in einer Fernsehrede erklärt, die syrischen Flüchtlinge in Libanon sollten nun heimkehren. Er forderte die libanesischen Behörden auf, sich mit Syrien über die Heimkehr der Flüchtlinge zu beraten. Syrien sei nun „dank dem Sieg der Asad-Kräfte“ sicher für sie. Zwar will man sie nicht zwingen, aber doch zur Heimkehr ermuntern.
Eingliederung der Geflohenen
Mit dieser neuen Militäreinheit sollen die Millionen Syrer, die ihre Wohnorte verlassen, wieder unter die Kontrolle des Asad-Regimes gestellt werden. Dazu gehören jene, die aus Syrien geflüchtet sind, aber auch jene, die ihre Häuser verlassen haben und irgendwo im eigenen Land Unterschlupf fanden.
Wie brutal oder wie rücksichtsvoll die Verantwortlichen dabei vorgehen werden, ist unklar und bleibt abzuwarten. Viel Rücksichtnahme auf die Lage, Verfassung und Gesundheitszustand der Flüchtlinge und der intern Vertriebenen („Internally Displace People“) ist jedoch unwahrscheinlich. Sie werden sich gegen die Anschuldigung, mit dem Widerstand sympathisiert zu haben, verteidigen müssen.