Griechenlands Regierung hat mal wieder einen Sparbeschluss vertagt. Die in Athen anwesende Troika hat ihren Abschlussbericht über den Zustand der griechischen Finanzen und die Auszahlung weiterer Nothilfe vertagt. Ein deutscher CSU-Politiker versucht, mit einem Eilantrag wegen der Ankündigung des EZB-Präsidenten Draghi, unbegrenzt Staatsschuldpapiere aufzukaufen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu vertagen.
Spielt alles keine Rolle
Prognosen sind bekanntlich schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Aber hier ist eine Voraussage dermassen einfach, dass sie gewagt sei: Das ist alles völlig egal. Die Eurokraten in ihrem Lauf, um einen berühmten Satz des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR aufzunehmen, hält weder die Realität noch das oberste deutsche Gericht auf. Nehmen wir den schlimmsten Fall für sie. Das deutsche Bundesverfassungsgericht kommt zum Urteil, dass die bereits vom Bundestag beschlossene Beteiligung und Haftung Deutschlands innerhalb des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM verfassungswidrig ist.
Übergesetzlicher Notstand
Genügend Gründe gäbe es für eine solche Entscheidung. Dem Parlament wird sein wichtigstes Instrument, die Entscheidung über das Staatsbudget und seine Verwendung, aus der Hand geschlagen. Unabsehbare Haftungsfolgen für Deutschland werden der Obhut einer völlig undemokratischen Dunkelkammer namens «Gouverneursrat» übertragen, die über die Verwendung der Multimilliarden des ESM absolut autark entscheiden. Also nehmen wir an, diese Beteiligung wird kassiert. Verboten, aufgehoben.
Was wird geschehen? Die Börse, rational wie immer, wird sofort aufhören zu jubilieren. Draghi wird die Notenpresse anwerfen, um steigende Zinsen für Staatsschuldpapiere von Wackelstaaten wie Spanien oder Italien abzuwürgen. Die Eurokraten werden dem Urteil der dritten Gewalt im Staat Respekt zollen. Und den Begriff übergesetzlicher Notstand in den Raum stellen. Beziehungsweise lächelnd darauf hinweisen, dass der EZB Entscheidungen des obersten deutschen Gerichts schnurzegal sind.
Kein Plan B
Selbst die deutsche Regierung ist sich sicher, dass das Bundesverfassungsgericht es nicht wagen wird, ihr den ESM zuzuklappen und sie im Regen stehen zu lassen. Aber selbst wenn, sie hat nicht mal einen Plan B für diesen Fall. Aus Unfähigkeit oder Dummheit? Aber nein. Weil sie einen Plan A hat, der alle Eventualitäten abdeckt. Und der lautet: Wir machen einfach weiter. Warum? Darum. Kriegt der ESM ein Loch, haben wir ja die EZB. Wir haben doch bereits so ziemlich alle mit heiligen Eiden beschworenen Artikel innerhalb des EU-Rechts gebrochen. Maastricht-Verschuldungskriterien für den Staatshaushalt? Pfeif drauf. «No bail out»-Klausel, also keine Hilfe für in Schieflage geratene Euro-Staaten? Pfeif drauf. Verbot des Ankaufs von Staatsschuldpapieren durch die europäische Notenbank EZB? Pfeif drauf. Rasieren von Gläubigern durch einen Schuldenschnitt bei Euro-Staatspapieren? Warum nicht? Unbegrenzter Ankauf von Staatsschuldpapieren durch die EZB? Aber sicher doch. Was soll solche Irrläufer das Urteil eines obersten Gerichts kratzen?
Geld und Rechtsstaat
Man kann die Fehlgeburt Euro wider alle Vernunft künstlich am Leben erhalten. Man kann weitgehend untätig zuschauen, wie sich immer mehr Staaten unter Rettungsschirme flüchten müssen. Man kann gebetsmühlenartig wiederholen, dass man da nur durch eine vorübergehende Krise hindurchmüsse, anschliessend werde sich alles durch Aufschwung und wirtschaftliches Wachstum ganz von alleine regeln. Man kann also sehenden Auges in ein ökonomisches Desaster laufen. Bedauerlicherweise bleibt dadurch nicht nur das Wohlergehen der Euro-Bürger auf der Strecke. Was eigentlich die höchste Richtschnur allen Handelns von Regierenden sein sollte. Kriminellerweise und unverzeihlich bleibt aber ein noch höheres Gut als Geld auf der Strecke: Die Rechtsstaatlichkeit.
Ende der Gewaltenteilung
Volk, Parlament, Regierung. Kontrolliert durch die unabhängige Justiz. Das ist die in der Aufklärung geborene ziemlich gute Idee, Absolutismus, Diktatur, Dunkelkammern, Durchstechereien und Schweinereien zu verhindern. Nicht perfekt, fehleranfällig, aber bis zur aktuellen Eurokrise in Europa weitgehend anerkannt und weitgehend praktiziert. Seit der Erfindung von Troika, Gouverneursrat, Kommissaren, EU-Gruppenchefs, übergeordnetem EU-Recht und vielen weiteren grundlegenden Verstössen gegen diese Gewaltenteilung ist dieses Modell vorläufig kaputt gemacht. Optimisten hoffen, dass der aktuelle Zustand repariert werden kann. Pessimisten gehen davon aus, dass nur Schlimmeres nachkommen wird. Ein Blick in die europäische Geschichte gibt den Pessimisten Recht.