Am 20. Mai 2019 hat Papst Franziskus den 73-jährigen Oberwalliser Peter Bürcher zum Apostolischen Administrator der Diözese Chur ernannt. Damit ist Vitus Huonder nicht mehr Bischof von Chur.
Endlich … bewegt sich etwas in einer Sache, die man als kirchenpolitisches Desaster bezeichnen muss. Als wäre der 75. Geburtstag eines Bischofs ein nicht zu erwartendes Unglück, hat man zuerst die verfahrene Situation im Bistum Chur um zwei Jahre verlängert Und wie auch diese Frist abgelaufen war, musste man einen weiteren Monat ohne jegliche Information zuwarten.
Wo es Vitus Huonder wohl ist
Dabei geht es um die Nachfolge im wichtigsten Amt einer römisch-katholischen Teilkirche. Jeder drittklassige Fussballclub bekundet mehr Transparenz, wenn es um die Besetzung seines Präsidiums geht. Sogar der Pressechef der Diözese musste zugeben: Ich weiss von nichts. Schmählicher kann eine grosse Institution die Regeln der Öffentlichkeit kaum verletzen. Nachdem sie wegen sexuellen und spirituellen Übergriffen ohnehin in der grössten Krise seit mindestens hundert Jahren steckt, müsste man erwarten, dass sie wenigstens ihr Alltagsgeschäft beherrscht.
Endlich … kann nun Vitus Huonder dorthin gehen, wo es ihm wohl ist, zu den Piusbrüdern im Knabeninstitut Wangs SG, wo er – um in seinem bevorzugten Vokabular zu reden – Gemeinschaft mit den Häretikern pflegen kann.
Ökumene als Verrat an der Wahrheit
Mit ihnen wird er frisch von der Leber über das Zweite Vatikanische Konzil schimpfen, Religionsfreiheit und andere Menschenrechte als Teufelswerk abtun, Ökumene und interreligiöse Dialoge als Verrat an der Wahrheit verurteilen und Gift und Galle speien gegen jedes Aggiornamento in der Kirche. Zwar geben sie sich dort alle ganz und gar päpstlich … doch nur solange, als der Papst bereit ist, ihre Engstirnigkeit zum Merkmal des Katholischen zu erklären.
Endlich … ist ein erster vernünftiger Schritt getan. Ein Vermittler ist da. Er hat die Chance und soll sie bekommen, die Situation zu beruhigen, vielen Verzweifelten wieder eine Perspektive zu geben, Barrikaden einzureissen, Wege zu ebnen und Brücken zu bauen, damit der Nachfolger einen Neubeginn ohne viele Altlasten starten kann.
Allerdings
Ohne harte Entscheidungen wird das nicht gehen. Es ist die edelste Aufgabe eines Bischofs, Pontifex zu sein, Brückenbauer also. Darum müssen auch jene „befördert“ werden, die bisher genau dieser Aufgabe nicht nachkamen, die alles taten, um Gräben aufzureissen, und die den Bischof unterstützten, wenn nicht gar befeuerten, Spaltpilz zu sein.
Ein Lehrstück
Der Umgang mit autoritären und totalitären Regimen hat im 20. Jahrhundert Lernprozesse ausgelöst, die nicht immer im Sinn ihrer Erfinder waren. Die katholische Kirche hat 1968 mit der sog. Pillenenzyklika ihr Lehrstück absolviert. Der kluge Konzilspapst Paul VI. glaubte, in Sachen Sexualmoral seinem Vorgänger Pius XI. mehr verpflichtet zu sein als der von ihm im Auftrag des Konzils eingesetzten Kommission.
Dieser überzogene Autoritätsglaube hatte die kaum erwartete Folge, dass sich – nicht nur hierzulande – katholische Frauen grossmehrheitlich von der kirchlichen Moral emanzipierten und ihrem Gewissen folgten, einen durchaus willkommenen Effekt also.
Ausgelaugte kirchliche Autorität
Die ungewollte, aber wirksame Lehre aus fast zwanzig Jahren, in denen die Bischöfe Wolfgang Haas und Vitus Huonder das Bistum Chur leiteten, besteht darin, dass kirchliche Autorität weitherum ausgelaugt ist. Katholikinnen und Katholiken haben sich auch von dieser Autorität emanzipiert. Wenn man es zuspitzen will: Was die Reformatoren nicht bewerkstelligen konnten, haben diese zwei Bischöfe fertiggebracht.
Selbstverständlich kann das nicht die Lösung sein, vor allem für die Seelsorgerinnen und Seelsorger, die in Schlüsselsituationen – wie bei ihrer Beauftragung (missio canonica) und bei Firmspendungen in ihrer Gemeinde – dann doch wieder vom Bischof abhängig sind. Der alte Bischof hat solche Gelegenheiten nicht selten ausgenützt, um sein Personal zu demütigen, was freilich weniger Lernprozesse als Abgründe von Bitterkeit und Resignation ausgelöst hat.
„Widerspruch aus Loyalität“
Die beiden Bischöfe haben ihre kirchenrechtlich legale Autorität ad absurdum geführt. Legitime Autorität dagegen lebt von Glaubwürdigkeit. Bischof Peter Bürcher ist gut beraten, wenn er dieses gegenwärtig in der Kirche sehr rare Gut zum obersten Prinzip macht, um den Weg zur Wahl des neuen Bischofs zu ebnen.
Hanna Arendt hat ihre Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus auf eine Erkenntnis kondensiert, die man für die Kirche voll und ganz unterschreiben kann: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.“ Wer lieber will, kann mit Klaus Mertes SJ „Widerspruch aus Loyalität“ fordern (so sein Buchtitel).
Erwin Koller ist Präsident der Herbert Haag Stiftung, die für Freiheit in der Kirche ist. Den Text publizieren wir mit freundlicher Genehmigung vom Newsletter „Der Aufbruch“.