Von Regine Kretz
Am 6. November fliegt Papst Benedikt XVI nach Santiago de Compostela. Er wolle als „einfacher Pilger“ am Grab des Heiligen Jakobus beten, sagt er. Das wollte vor fast tausend Jahren auch eine sehr vornehme Frau aus dem Elsass. Sie hatte gute Gründe für die Wallfahrt.
Am 6. November fliegt Papst Benedikt XVI nach Santiago de Compostela. Als „einfacher Pilger“, wie er sagt. Richtige Pilger sind eher zu Fuss unterwegs. Oder per Velo. Und es sind deren viele. Allein für dieses Jahr rechnet man mit einer Viertelmillion. Weil heuer der Jakobstag am 25. Juli auf einen Sonntag fiel, gilt 2010 als heiliges Jahr in der nordspanischen Stadt. Da erhöht sich die Pilgerzahl zusätzlich. Und das zahlt sich aus. Wie sich denn der uralte Brauch der Wallfahrten seit Jahrhunderten auszahlt. Eindrückliches Beispiel: die wenig bekannte, – zumindest von aussen - wunderschöne Eglise Sainte-Foy im elsässischen Sélestat.
Weg mit dem Rivalen
Ihren Bau verdankt sie einem hochadeligen, aber sehr bekümmerten Mutterherz. Im Jahr 1089 nämlich soll Friedrich, Herzog von Baden und dem Elsass, die Ermordung seines schärfsten Konkurrenten um die Kaiserkrone organisiert haben. Der Rivale hiess Hugo von Egisheim und war ein Neffe des elsässischen Papstes Leo IX. Seine Chancen für die Krone standen gut. Einmal aus dem Weg geräumt, stieg Friedrich auf. Er wurde zum Stammvater des wichtigen mittelalterlichen König- und Kaisergeschlechts der Stauffer und damit zum Grossvater von Kaiser Friedrich Barbarossa, (der 1190 während des 3. Kreuzzuges in Kleinasien elendiglich ertrank.)
Eine Wallfahrt allein reicht nicht aus
Die Mörder-Mutter, Hildegard von Büren, stammte ihrerseits aus einer der vornehmsten Familien des Elsass. Sie war offenbar sehr fromm, und der unfromme Karrieresprung ihres Sohnes machte ihr zu schaffen. So will es jedenfalls die Legende. Denn um 1094 beschloss Hildegardis von Büren, eine Pilgerfahrt nach Santiago zu unternehmen, wohl hoffend, dort etwas für Sohnemanns Seelenheil zu erwirken. Ob sie zu Fuss, hoch zu Ross oder im von Pferden gezogenen Wagen unterwegs war, ist nicht überliefert.
Fest steht jedoch, dass sie auf der Pilgerroute im südfranzösischen Conques Halt machte. Und dort wahrscheinlich eingehende Gespräche mit den ansässigen Benediktiner-Mönchen führte. Die dürften ihre Ängste geschickt genutzt haben. Mit einer Wallfahrt allein lässt sich noch keine Seele aus der Hölle in den Himmel hieven, haben ihr die frommen Männer wahrscheinlich bedeutet.
Fazit: Zurück im Elsass vermachten Hildegard und ihre übrigen Söhne der Abtei von Conques eine Kapelle im heutigen Sélestat, sowie Rebberge und weitere Ländereien in der Umgebung. Die Besitztümer hatten dem Kloster Felix und Regula von Zürich gehört, bevor sie im Jahr 869 an Hildegards Familie fielen.
Sankt Trüwel
Die Benediktiner gründeten daraufhin im elsässischen Kleinstädtchen flux eine Filiale: das Priorat zu Sankt Fides. Oder Sainte-Foy, oder – volkstümlich - Sankt Trüwel. (In der heiligen Fides verehrten die Benediktiner von Conques eine jugendliche Märtyrerin, die im 3. Jahrhundert ihres Glaubens wegen von römischen Legionären zu Tode gefoltert worden war.)
Von dieser ersten Kirche existiert heute nur mehr die winzige Krypta. Sie wurde erst 1892 bei Renovationsarbeiten wieder entdeckt und darin – mit Kalk übergossen - die gut erhaltene Büste einer Frau, mindestens 700 Jahre alt. Hildegard von Büren? Oder ihre Tochter Adelheid?
Die Fachleute sind sich nicht einig. Immerhin: Hildegard soll Ende 1094 einer Pestepidemie zum Opfer gefallen sein. Dies könnte für die ungewöhnliche Bestattungsart sprechen. Die Totenmaske der ziemlich schönen Unbekannten ist jedenfalls in der Krypta zu besichtigen.
Romanisch, barock und retour
Die Benediktiner wirtschafteten gut. Weitere grosszügige Schenkungen und die Tatsache, dass Sélestat ebenfalls an einer Pilgerroute nach Santiago lag, führten zu Reichtum und Wohlstand. Bereits zwischen 1145 und 1165 wurde eine grössere, im romanischen Baustil errichtete Kirche fertiggestellt. In den folgenden Jahrhunderten erlitt Sankt Fides unter verschiedenen Schutzherren etliche fragwürdige Umbauten.
Die Jesuiten etwa verbarockisierten um 1620 das Gotteshaus; die üppige Kanzel legt heute noch Zeugnis davon ab. Reformation und Revolution überlebte Sainte-Foy aber ziemlich unbeschadet, und nach der Totalrenovation um 1890 ist ein Bauwerk wiedererstanden, das „a dr Romànische Stross vum Elsàss zu de Sanswirdikkeita zehlt.“
Zwiebelfest ohne Höllenfurcht
Ob die Höllenfurcht im Elsass heute noch so gut zu Buche schlägt wie zu Hildegards Zeiten, ist eine berechtigte Frage. Lebensfroh, geschäftstüchtig und sehr diesseitig präsentiert sich die kleine Stadt. In der Eglise Sainte-Foy orgelt an diesem Sonntag leise ein Endlosband, die Kirche ist bis auf ein paar Touristen leer. Draussen, in der grellen Herbstsonne bauen flinke Händler die Stände auf fürs Fête de l’Oignon auf. Viele Läden haben geöffnet, in der Mairie warten 26 verschiedenartige Tartes à l’Oignon (angereichert mit Zwetschgen, Oliven, Nüssen oder mit Entenbrust, andere verziert mit kunstvollen Teigmustern) auf Alfred Blortz und seine Jury. Blortz hat als „Meilleur Ouvrier de France, Catégorie Boulangerie“ das letzte Wort bei der Prämierung.
Fast tausend Jahre sind es her seit Hildegards Wallfahrt nach Conques und Santiago de Compostela. Gelohnt hat sie sich in jedem Fall. Ohne die Eglise Sainte-Foy hätte Sélestat nur halb so viel Charme. Darum: Friede der armen Mutter und ihrem Sohn! Den beiden seien himmlische Freuden gegönnt. Jetzt ist es Papst Benedikt XVI, der nach Santiago wallfliegt. Ob er sich davon auch den „Gnadenschatz einer Absolution“ (offizielle Formulierung des Vatikans für den Erlass der Sündenstrafe) erhofft? Eine weitere Frage wäre, ob seine Busse ähnlich schöne Folgen zeitigt, wie jene der frommen Elsässerin.