Die neue sozialdemokratische Parteichefin Elly Schlein wird mit einer Flut antisemitischer Anwürfe eingedeckt. Ein Bürgermeister vergleicht sie mit einem Pferd.
Elly Schlein war am Sonntag in einer Urwahl zur Präsidentin des italienischen Partito Democratico (PD) gewählt worden. So heissen die italienischen Sozialdemokraten. Schleins Grossvater war ein aus Lemberg (dem heute ukrainischen Lwiw) eingewanderter Jude. Auch ihr amerikanischer Vater, ein Politologe und Professor, ist Jude, die italienische Mutter, eine Juristin, ist katholisch. Schlein wurde in Lugano geboren, ging dort zur Schule und hat neben dem amerikanischen und italienischen auch das Schweizer Bürgerrecht.
Schon kurz nach ihrer Wahl wird sie mit unflätigen antisemitischen Attributen bezeichnet. «Elly Shloma», wie sie genannt wird, sei «Garantin des internationalen Judentums». Die in Mailand ansässige «Fondazione Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea» (C.D.E.C.) hat einige der Tweets gesammelt. In den sozialen Medien wird Schlein in Verbindung mit dem jüdischen Milliardär George Soros gebracht.
«Ich beginne, Hitler zu verstehen»
Ein Nutzer behauptet, die Juden würden sich nach 2000 Jahren an den Italienern rächen, die sie aus Israel «vertrieben» hätten. Einige kritisieren das «internationale Judentum», die «aschkenasischen Juden», die für den Niedergang der westlichen Kultur verantwortlich seien. Es hagelt Stereotypen: Die Juden werden als «reich», «entwurzelt», «selbstsüchtig», «egoistisch», «machtgierig» und als «Verräter an der Nation» bezeichnet. Ein Nutzer schreibt, er beginne «Hitler zu verstehen».
Selbst vor Elly Schleins Nase machen die Kritiker nicht halt: «Eine typisch jüdische Nase», heisst es. Schlein selbst lacht darüber und bezeichnet ihre Nase als «typisch etruskisch».
Auch Politiker
Der Antisemitismus erfasst Italien immer wieder in Schüben und beweist einmal mehr, dass der antisemitische Rassismus in Italien alles andere als ausgerottet ist. Das Land tut sich immer noch schwer mit der Bewältigung seiner faschistischen Vergangenheit.
Antisemitistische Äusserungen sind auch von Politikern und Politikerinnen zu hören.
Chiara Bonomi, Stadträtin für städtische Sicherheit in der Gemeinde Abbiategrasso bei Mailand, und Nella Corrado, Stadträtin in Arluno bei Mailand, haben eine Liste mit den «Fehlern» von Schlein aufgezeichnet und erwähnen, dass sie eine «aschkenasische Jüdin» sei. Ins gleiche Horn bläst nach Angaben der «Union der jungen Juden Italiens» (Ugei) der ultrakonservative frühere Lega-Senator Simone Pillon.
«Abscheulich»
Doch Schlein muss sich nicht nur antisemitische Anwürfe gefallen lassen. Vivarelli Colonna, der sehr rechtsgerichtete Bürgermeister des Toskana-Städtchens Grosseto vergleicht Schlein in einem Tweet mit einem Pferd. Er postet Fotos der Gebisse von Pferden und stellt daneben ein Bild der lachenden Elly Schlein. Zwar hat er den Tweet inzwischen gelöscht, doch entschuldigen will er sich nicht. «Ich bin frei, meinem Sarkasmus Ausdruck zu verleihen», sagt er.
Colonna ist schon seit langem mit dümmlichen, unflätigen, sexistischen Einlagen aufgefallen. Die Medien bezeichnen ihn als «Rambo der Rechten». Colonna, ein Mitglied von Giorgia Melonis «Fratelli d’Italia», ist in seiner Heimatstadt beliebt.
Doch diesmal könnte er zu weit gegangen sein. Die Sozialdemokraten fordern seinen Rücktritt. Und Mitte-rechts-Parteien verteidigen den ehemaligen Panzerfahrer und Bodybuilder nicht. Im Gegenteil: Der toskanische Koordinator der Fratelli d’Italia, Fabrizio Rossi, Abgeordneter und ehemaliger Stadtrat von Grosseto, kommentiert Colonnas Vergleich mit einem resoluten «No comment». Susanna Ceccardi, eine gute Freundin von Vivarelli Colonna, bezeichnet den Vergleich mit dem Pferd als «abscheulich». «Ich drücke Elly Schlein meine ganze Solidarität aus.» Und auch innerhalb von Berlusconis Forza Italia wird Kritik an Colonna laut.
Eine Ziege zu viel
Vergleiche und Anschuldigungen unter der Gürtellinie haben in Italien Tradition. Selbst in höchsten politischen Kreisen. Jüngstes Beispiel:
Mara Carfagna, die damalige Vizepräsidentin der italienischen Abgeordnetenkammer und jetzige Präsidentin der kleinen Partei «Azione», hatte Vittorio Sgarbi aufgefordert, eine Maske zu tragen – wie sie damals alle im Parlament trugen. Sgarbi, der schon mehrmals Frauen als «Ziegen» bezeichnete, ist Staatssekretär für Kultur. Er explodierte und sagte: «Es macht mich krank, dass du mich im Parlament vertrittst, ich wurde rausgeschmissen, ich werde zurückkommen, um dir zu sagen, dass du dich verpissen sollst … du lächerlicher, ekelhafter, dreckiger, abscheulicher Mensch, Carfagna, du Ziege! Auf Wiedersehen.»
Der so spricht, ist kein Strassenjunge, sondern Staatssekretär im Kulturministerium und hoch angesehener Kunstkritiker.
Mara Carfagna lässt sich das nicht gefallen und verlangt eine Entschädigung von 30'000 Euro. Der Prozess ist in Rom hängig und könnte den Staatssekretär teuer zu stehen kommen. Die Römer Zeitung La Repubblica kommentiert: «Diesmal könnte es eine Ziege zu viel sein.»