Martin Kreutzberg schildert im Magazin "Fluntern" den "Extraordinarius" von wenig bekannten, überraschenden und sehr menschlichen Seiten. Wir publizieren hier seinen Bericht mit freundlicher Genehmigung.
Seit dem 12. Juni ist im Stadthaus die Ausstellung „Einstein & Co.- Zürich und der Nobelpreis“ zu sehen.
1999 wählten 100 führende Wissenschaftler Albert Einstein zum „grössten Physiker aller Zeiten.“ Von da ist es wenig überraschend, dass sein Name für den Titel dieser Ausstellung gewählt wurde.
Sieben Jahre und acht Monate war Einstein an sechs verschiedenen Orten - so die Daten der „Einwohner- und Fremdenkontrolle der Stadt“ - in Zürich gemeldet. Und immer in Hottingen oder Fluntern: an der Klosbachstrasse 87, an der Dolderstrasse 17 oder an der Moussonstrasse 13.
Einstein - allfälligen Belehrungen zugänglich
1900 schloss Einstein sein Studium an der ETH ab. Da er, entgegen seiner Hoffnung, in Zürich keine Assistentenstelle bekam, ging er 1902 als „technischer Experte 3. Klasse“ an das Patentamt in Bern. 1905 verteidigte er seine Dissertation bei Professor Alfred Kleiner an der Uni Zürich. Kleiner hatte schon sehr früh die überragende Qualität des jungen Physikers erkannt und setzte sich vehement für dessen Berufung an die Uni Zürich ein: „Einstein gehört gegenwärtig zu den bedeutendsten theoretischen Physikern und ist mit seinen Arbeiten über das Relativitätsproblem wohl ziemlich allgemein als solcher anerkannt… Ich habe die Überzeugung, dass Herr Dr. Einstein auch als Dozent seinen Mann stellen wird, weil er zu gescheit und zu gewissenhaft ist, um allfälligen Belehrungen nicht zugänglich zu sein.“ So Kleiner in seinem Gutachten vom 4. März 1909. Und Alfred Kleiner hatte Erfolg mit seinen Bemühungen. 1909 wird Albert Einstein zum Extraordinarius an der Universität Zürich ernannt.
Als Wohnsitz wählt die Familie Einstein - seit 1903 ist Einstein mit Mileva Maric verheiratet - wieder den unteren Zürichberg. Diesmal ist es die Moussonstrasse. Ein gutes Jahr später folgt Einstein einem Ruf an die Prager Universität. Auch die ETH bemüht sich jetzt um ihren inzwischen schon berühmten ehemaligen Studenten. Im August 1912 wird er zum Professor für theoretische Physik an der ETH ernannt. Die inzwischen vierköpfige Familie sucht eine Wohnung. Wieder am Zürichberg. Und sie stossen auf ein Inserat: „Vier- bis Sechszimmer-Wohnungen mit letztem Komfort zu vermieten an einmaliger Lage des Zürichberges. Schönstens möbliert. Interessenten wollen sich gefl. bei Besitzer melden: Telefon Hottingen 4883.“ Billig sind die Wohnungen für die damalige Zeit nicht. Auf 700 Franken beläuft sich der monatliche Mietzins für eine Fünfzimmerwohnung. Aber die Einsteins sind interessiert. Es handelt sich um die gerade erbaute „Hofburg“ an der Hofstrasse in Hottingen.
Elisabeth Meyer-Gentner, die Enkeltochter des Erbauers der Hofburg, Friedrich Gentner, schildert in ihrer „Geschichte eines Hauses am Zürichberg“ aus der Sicht der Familie Gentner, wie sich das Leben der Einsteins in der „Hofburg“ abgespielt haben könnte:
Die Einsteins
Albert und Mileva Einstein spazieren, vom alten Kirchlein Fluntern her kommend, die Keltenstrasse aufwärts. Eben ist er an die Eidgenössische Technische Hochschule als Professor gewählt worden. An der Hofstrasse halten die Einsteins Ausschau nach dem eben vollendeten Bau des J.F. Gentner. „Schau Albert, da steht ja das Haus! Grossartig sieht es aus. Das Inserat versprach nicht zu viel: einmalige Lage. Weit besser als die Platte unten, wo wir als Studenten hausten.“ Die beiden überqueren den grossen mit Kies und Sand bedeckten Platz und wollen durchs grosse, weisse Gartentor in den Hof eintreten. Ein Ruf der Begeisterung von Mileva: „Dreh dich um, Albert, schau da gegenüber, ein Bauernhaus! Da weiden ja Kühe!“
Die Einsteins schreiten durch die sechs grossen Räume der Parterrewohnung. „Gut, Mileva, Platz haben wird! Hier studieren, da musizieren, nein umgekehrt, das grösste Zimmer zum Musizieren, für die Buben dann das sonnige Zimmer zum Hof hinaus. Der Nussbaum da in dem kleinen Vorgarten, der gefällt mir. Spendet Schatten, wenn wir beide über den Gleichungen schwitzen! Herr Gentner, die Wohnung ist gemietet. Gut, wöchentlich Lieferung der frischen Tisch- und Bettwäsche. Bist du zufrieden, Mileva? Wissen Sie, Herr Gentner, meine Frau ist Mathematikerin, gescheiter als ich, keine Wäscherin.“
Albert Einstein und Grossvater Gentner unterschreiben den Mietvertrag. Er ist der erste im neugebauten Haus in der Hofburg.
„Halleluja! Bei uns Alten und beiden Bärchen grosse Freude. Ende Juli kommt der Zügelmann!“ So zu lesen in einem Bericht des Physikers über seine Begeisterung, den Lehrstuhl in Prag und die Wohnung an der Trêbizského ulice 125 mit dem Lehrstuhl an der ETH Zürich und der Wohnung an der Hofstrasse 116 tauschen zu können.
Zu den Professoren, die Einsteins Wahl zum Lehrer für theoretische Physik unterstützten, gehört auch Marie Curie, Nobelpreisträgerin von 1903 und seit 1908, als erste Frau, Professorin für Physik an der Sorbonne. Man wird sie bei den Einsteins in der Parterrewohnung Hofstrase 116 ebenso antreffen wie den damals 26jährigen Auguste Piccard oder Max Planck, den Begründer der Quantenphysik. Die Gespräche im hinteren Salon, im Musikzimmer, über die Eroberung der Stratosphäre, die Relativitätstheorie, über die Entdeckung des Radiums bringen eine Gedankenwelt ins neu erbaute Haus des Grossvaters, von welcher der nicht die leistete Ahnung hat.
An etwas anderem können die anderen Bewohner der Hofburg, wenn auch nur indirekt, teilhaben: Bei den Einsteins wird musiziert. An den Herbstabenden klingt Geigenspiel in den Garten hinaus. Carola Gentner, die Tochter des Hausbesitzers, selbst leidliche Geigerin, schleicht sich durch den Hof, stellt sich unter die geöffneten Parterrefenster und lauscht: Bachs Solosonaten! Bachs Doppelkonzert für zwei Violinen. Die Professorentochter Lisbeth Hurwitz spielt die zweite Violine…
Des Physikers Ruf dringt in die Welt hinaus. Max Planck holt ihn an die „Preussische Akademie der Wissenschaften“ nach Berlin. Im April 1914 verlassen die Einsteins die „Hofburg“…(Elisabeth Meyer Gentner: Die „Hofburg“ – Geschichte eines Hauses am Zürichberg“ Stäfa 1998)
Es waren jene Jahre in Zürich, in denen der geniale Physiker seinen Weltruf als Wissenschaftler begründete. So idyllisch wie Elisabeth Meyer-Genter das Familienleben der Einsteins in der „Hofburg“ schildert, war es allerdings nicht. Seit 1912 hatte Albert Einstein ein Verhältnis mit seiner Cousine Elsa. Zwar zog Mileva mit den beiden Kindern nach Einsteins Berufung an die Preussische Akademie der Wissenschaften zunächst mit nach Berlin, aber eigentlich war die Ehe zwischen Mileva Maric und Albert Einstein damals schon nicht mehr existent. Um den Schein zu wahren, verpflichtet Einstein Mileva in einem Brief vom 18. Juli 1914 zu folgenden Regeln:
A. Du sorgst dafür
1. dass meine Kleider und Wäsche ordentlich im Stand gehalten werden.
2. dass ich die drei Mahlzeiten im Zimmer ordnungsgemäß vorgesetzt bekomme.
3. dass mein Schlaf- und Arbeitszimmer stets in guter Ordnung gehalten sind, insbesondere dass der Schreibtisch mir allein zur Verfügung steht.
B. Du verzichtest auf alle persönlichen Beziehungen zu mir, soweit deren Aufrechterhaltung aus gesellschaftlichen Gründen nicht unbedingt geboten ist. Insbesondere verzichtest Du darauf
1. dass ich zuhause bei Dir sitze.
2. dass ich zusammen mit Dir ausgehe oder verreise.
C. Du verpflichtest Dich ausdrücklich, im Verkehr mit mir folgende Punkte zu beachten:
1. Du hast weder Zärtlichkeiten von mir zu erwarten noch mir irgendwelche Vorwürfe zu machen.
2. Du hast eine an mich gerichtete Rede sofortzu sistieren, wenn ich darum ersuche.
3. Du hast mein Schlaf- bzw. Arbeitszimmer sofort ohne Widerrede zu verlassen, wenn ich darum ersuche.
D. Du verpflichtest Dich, weder duch Worte noch durch Handlungen mich in den Augen meiner Kinder herabzusetze.
1915 kehrt Mileva mit den beiden Kindern aus dem „verhassten Berlin“ nach Zürich zurück. Albert Einstein kommt 1919 nur noch einmal für einige Wochen nach Zürich: um Vorlesungen an der Uni zu halten und um sich von Mileva scheiden zu lassen. Als Unterkunft wählt er die Pension „Sternwarte“ an der Hochstrasse in Fluntern.
Martin Kreutzberg ist Redaktor bei der Zürcher Quartierzeitschrift "Fluntern". Der Text erschien in "Fluntern" Nr. 4/Juni 2015