In einer Seitengasse hinter dem noblen Khan Market in Delhi entdeckte ein Reporter des News-Portas scroll.in kürzlich eine Plakatwand für Besitzer von Vierbeinern. Hundehalter können dort für ihre geliebten Vierbeiner Suchanzeigen für ein „wifey“ oder „hubby“ platzieren.
Nicht nur diese Bezeichnungen, auch die geforderten Eigenschaften gleichen den Kontaktanzeigen für menschliche Heiratspartner in den Zeitungen und Internet-Webseiten. In einer Anzeige gab sich der Labrador als lovely, fair and handsome, und ihm fehlte eine Golden Labrador-Hündin, homely, blonde, thin and beautiful.
Die Wortwahl zeigt, wie tief das Vorurteil sitzt, dass eine helle Haut (der Golden Retriever ist die beliebteste Zuchtrasse in Indien) generisch mit angeborenen Qualitätsmerkmalen wie „schön“ und „intelligent“ verbunden ist.
Rassisch selektive Partnerwahl
Diese verräterischen Wortverbindungen bei Tieren sind nur zu verständlich. Bei Tieren, allen voran Hunden, darf man wie überall auf der Welt offen im Namen der Qualitätszüchtung eine rassische Eugenik praktizieren. Dies gilt auch für die Dalits unter den Kötern. Das Wort für einen Strassenhund – Paraia – stammt aus dem Tamilischen, wo es eine Kaste von Unberührbaren bezeichnet.
Bei Menschen ist rassische Selektion offiziell natürlich verboten, wird aber dennoch ausgeübt. Die Qualitätsmerkmale in den Kontaktanzeigen zeigen mit der nötigen Drastik, dass die geforderten „Charakterzüge“ (Verträglichkeit der Partner, Familienharmonie, Kastenzusammenhalt) nichts anderes sind als Versuche, soziale Zuordnungen quasi genetisch abzusichern.
Die Hautfarbe ist zentral für die hinduistische Kastenklassifikation, für das Adelsattribut wie für das Stigma. Je heller die Haut, desto höher die Kaste, mit den entsprechenden sozialen Zuschreibungen: intelligenter, schöner, gesünder. Dunkle Hautfarbe verweist auf körperliche Dreckarbeit unter der brennenden Sonne, während brahmanische Geistesarbeit natürlich im kühlen Schatten unter einem Tempelbogen verrichtet wird.
Zwar kann die Realität dieser Denkkategorie widersprechen – südindische Brahmanen können tiefbraune Haut haben, und nordindische Dalits hellblaue Augen. „Umso schlimmer für die Wirklichkeit“, möchte man da mit Hegel sagen: Wichtiger als die Farbe in den Augen ist jene im Hirn.
Geschäfte mit heller Haut
„Fair & Lovely“ heisst die Gesichtscrème von Hindustan Unilever, die mit der indischen Obsession einer hellen Haut Milliarden verdient hat. Wer macht Karriere, wer zieht die Blicke von Männern an, wer steht im Mittelpunkt jeder Party? Es ist die hellhäutige junge Frau mit dem blendenden Lächeln und der Verehrerschar um sich; die dunkle Schönheit steht derweil abseits, allein im Schatten.
So primitiv eine derartige visuelle Manipulation durch Werbung auch sein mag, sie hat offensichtlich Erfolg. Der Umsatz von „Helligkeitscrèmen“ liegt bei einer halben Milliarde Dollar im Jahr, mit einem Löwenanteil von Fair & Lovely.
Es dauerte lange, bis die Leute – allen voran die Frauen – aufbegehrten. Dies ist umso erstaunlicher, als die Hell/Dunkel-Wertskala ja nicht nur ein Instrument der Kastenhierarchie ist. Die Eigenschaften hell- und dunkelhäutig korrespondieren bekanntlich auch mit indisch und westlich, und daher mit all den Hypotheken kolonialer Unterdrückung.
Auch hier ist es die Nomenklatur der Tierbezeichnungen, welche die versteckte Selbstentwertung verrät. Das Kontrastwort zu pure-bred heisst auf englisch „stray“ – herrenlos. In der Hindi-Umgangssprache ist es „desi“, also: einheimisch – als gäbe es in Indien nur Strassenköter und keine eigenen Zucht-Rassen.
Durch Kastenwesen überlagert
Dasselbe geschieht mit der Abwertung der dunklen einheimischen Hautfarbe gegenüber dem westlichen Menschentyp – und dies perverserweise mit Hilfe der indischen Kastenfärbung. Dies mag ein Grund sein, warum es so lange gedauert hat, bis sich in Indien Widerstand gegen die Abwertung des dunklen Hauttypus gebildet hat.
Erst in den letzten zehn Jahren ist der Verband der Werbeindustrie gezwungen worden, Verbotsregeln aufzustellen, die das einseitige Hochspielen der hellen Farbe mit der Stigmatisierung der dunklen erreicht. Allerdings sind dies immer noch Gummiregeln, denn die Werbeindustrie versteht es, dieselbe Botschaft subtil und quasi subkutan hinüberzubringen.
Mit dem Ansturm der Sozialen Medien artikuliert sich die Opposition nun aber sehr viel aggressiver. Ein Videoclip des Stand-up-Künstlers Ram Subramaniam verbreitete sich kürzlich mit epidemischer Geschwindigkeit. Darin klagt er Unilever direkt an: „You need to get out, forever and for good. You made millions of dark-skinned stunningly beautiful women question their own beauty. You dented the collective confidence of this country.“
Farbe im Kopf, nicht auf der Haut
Eine Organisation namens „Women of Worth“ begann eine Online-Kampagne „Dark is Beautiful“, in der sich Frauen zu ihrer Hautfarbe bekennen. Sie erzählen, wie sie bewusst eingefleischte Muster überwinden mussten, die vom elterlichen Verbot stammen, in die Sonne zu gehen, da man dadurch„‚noch dunkler“ werde. Eine andere Kampagne nannte sich „Do away with the But“ – eine Anspielung auf die umgangssprachliche Etikettierung einer Frau: „She’s beautiful but dark“.
Diese Muster wären einfacher zu überwinden, wenn die eigene Kastenmentalität den Blick nicht so tief einfärbte. Denn Vorurteile über helle und dunkle Pigmentierung sind letztlich nicht die visuelle Abbildung der Haut des Gegenübers, sondern färben die Augen des Betrachters aus dem Hirn heraus. Oder wie die Schriftstellerin Toni Morrison es nannte: „Definitions belong to the definers, not the defined.“
Niemand weiss dies so gut wie die schwarzen Studenten in Indien. Als ich in Delhi lebte, traf ich bei Vernissagen manchmal einen Ghanaer namens John, der bei einer Uno-Organisation arbeitete. Er war immer allein, niemand kam je auf ihn zu. Als ich ihn einmal darauf ansprach, erzählte er mir, dass er damit leben gelernt habe, ebenso wie mit dem oft getuschelten Wort Kala – schwarz –, das jeden Afrikaner wie einen Schatten begleitet.
Ausschreitungen gegen Afrikaner
Als im Delhi-Vorort Noida kürzlich ein junger Inder an Herzversagen starb, kam es zu Ausschreitungen gegen Afrikaner. Die Polizei verhaftete fünf Nigerianer, nur weil sie Kommilitonen des Verstorbenen waren. In den Sozialen Medien wurde gefordert, die Kühlschränke in den (segregierten!) Studenten-Wohnheimen zu untersuchen; es war ein bewusst schlecht kaschiertes Code-Wort, das im Klartext hiess: Afrikaner haben kannibalistische Instinkte und horten Menschenfleisch. In einer Shopping Mall wurden zwei Studenten brutal zusammengeschlagen. Die Anführer gehörten der Hindu Yuva Vahini an, dem Schlägertrupp des neuen Regierungschefs von Uttar Pradesh.
In einer ungewöhnlich scharfen Stellungnahme verurteilten die 43 afrikanischen Botschafter in Delhi die Ausschreitungen als „fremdenfeindlich und rassistisch“. Die Regierung sei dagegen „nicht genügend wirksam und sichtbar“ eingeschritten. Sie forderten eine unabhängige Untersuchung durch den Uno-Menschenrechtsrat.
Politik des Wegschauens
Die Modi-Regierung wollte sich dies nicht bieten lassen, schliesslich ist Indien ungemein stolz auf seine „Solidarität“ mit Afrika. Dies sei ein „krimineller Akt“ gewesen, erklärte Aussenministerin Sushma Swaraj im Parlament; sie blendete aus, dass die Aufrufe zur Lynch-Justiz diesen Akt erst ausgelöst hatten.
Die eigentümliche Blindheit gegenüber dem tiefsitzenden Rassismus – und Indien ist dabei bei weitem nicht allein – führte der BJP-Abgeordnete Tarun Vijay vor. Indien sei schon deshalb nicht rassistisch, sagte er im TV-Sender Al Jazeera, weil es eine multirassische Gesellschaft sei. „Wir haben Schwarze unter uns, die Leute aus Südindien. Wir haben kein Problem mit ihnen. Wären wir Rassisten, würden wir dann mit ihnen zusammenleben?“ Es war einer der Augenblicke, in dem sich der rassistische Tatbestand in dessen Verneinung verriet.