Eine Frau weint um Mazen al-Hamada. Die verstümmelte Leiche des Assad-Gegners wurde, eingewickelt in blutbeflecktes Tuch, in einem unterirdischen Kerker des Saidnaya-Gefängnisses gefunden. Die Haftanstalt gilt als «Schlachthaus», in dem das Assad-Regime Zehntausende Menschen hinrichten liess.
Am Dienstag wurde das, was von Hamada übrigblieb, in Damaskus beerdigt. Sein Sarg, bedeckt mit einer grün-weiss-schwarzen Flagge, wurde durch die Strassen der Stadt getragen. «Wir haben unser Blut und unsere Seele für die Revolution gegeben», skandierten die Menschen. Immer mehr Menschen schlossen sich dem Trauerzug an. «Mazen ist ein Märtyrer» riefen sich. Viele weinten.
Ein Arzt, der die Leiche untersucht hatte, sagte der BBC, dass er am ganzen Körper Frakturen, Verbrennungen und Prellungen aufgewiesen habe. «Es ist unmöglich, die Wunden an seinem Körper zu zählen. Sein Gesicht war zertrümmert und seine Nase gebrochen», sagte seine Schwester Lamyaa.
Nach dem Sturz des syrischen Langzeit-Despoten wurden die Gefangenen des berüchtigten Saidnaya-Gefängnisses befreit. Immer wieder wurden in den unterirdischen Verliessen Leichen und halbtote Menschen gefunden. Es herrschte ein unerträglicher Geruch. Die Überlebenden sind stark abgemagert, mit Geschwüren bedeckt und teils schwer krank. Fast alle wurden gefoltert. Einige waren so schwach, dass sie nur mit Hilfe das Gefängnis verlassen konnten. Ein NGO-Arzt, der die Keller des Gefängnisses inspizierte, sagte, viele der Häftlinge seien «halbtot und apathisch, wandelnde Leichen».
Hier wurde auch Hamada gequält. Wann er starb, ist nicht klar. Seine Familie hatte seit Februar dieses Jahres nichts mehr von ihm gehört.
«Arabischer Frühling»
Am 17. Dezember 2010 – also vor gut 14 Jahren – fanden in Tunesien erste Grossdemonstrationen gegen den Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali statt. Damit begann der «Arabische Frühling», der dann schnell auf andere Staaten im Nahen Osten und in Nordafrika übergriff – auch auf Syrien. In der südsyrischen Stadt Dar’a demonstrierten Tausende Menschen und verlangten den Sturz von Präsident al-Assad. Schnell griffen die Manifestationen auf andere syrische Städte über. Immer mehr griffen die Sicherheitskräfte mit brutaler Gewalt durch. Der Bürgerkrieg brach aus. Tausende wurden im April 2011 verhaftet.
Zu den Demonstranten in Damaskus gehörte auch Mazen al-Hamada. Der 1977 im syrischen Deir ez-Zor geborene späterer Techniker, arbeitete für eine französische Ölfirma. Er stand oft an vorderster Front und filmte mit seinem Handy die Übergriffe der Polizei und der Armee und stellte seine Videos ins Internet. Im April 2011 wurde er verhaftet und nach einer Woche freigelassen. Im Dezember des gleichen Jahres wurde er wieder festgenommen und gefoltert. Schliesslich wurde er freigelassen und fand in den Niederlanden politisches Asyl. Zwar war er körperlich und psychisch von der Folter gezeichnet, doch er wollte weiter kämpfen. Journalisten aus aller Welt erzählte er im Detail, wie er gefoltert wurde. Diese Berichte sind unerträglich.
In den Toiletten stapeln sich Leichen
Wie er später niederländischen Journalisten erzählte, wurde er gezwungen zu gestehen, dass er ein Terrorist sei und Sicherheitskräfte ermordet habe. Er erhielt die Häftlingsnummer «1858». Er weigerte sich zu gestehen und wurde daraufhin gefoltert. Seine Genitalien wurden mit einer Zange zerquetscht. Da er die Schmerzen nicht mehr aushielt, unterschrieb er schliesslich nach langem Zögern ein Geständnis. Als er krank wurde, wurde er 2013 in ein Militärspital gebracht, wo sich in den Toiletten Leichen stapelten. Nicht nur die Sicherheitskräfte, auch das Spitalpersonal folterte die Häftlinge.
In dem Dokumentarfilm «Syria's Disappeared» von Afshar Films beschreibt Mazen, wie er vergewaltigt wurde, wie seine Genitalien eingeklemmt wurden und wie seine Rippen gebrochen wurden, weil ein Wärter immer wieder auf seine Brust sprang.
Rückkehr nach Damaskus
Entgegen dem Rat seiner Familie kehrte er 2020 nach Syrien zurück. Es genüge nicht, im Ausland gegen Assad zu protestieren, das Terrorsystem müsse von innen bekämpft werden, sagte er. So warf er sich 2020 mutig in die Fänge der Assad-Schergen, was er dann mit dem Leben bezahlte. Schon bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Damaskus wurde er festgenommen.
Mazen al-Hamada war einer von Zehntausenden, aber einer der prominentesten Gegner des Assad-Regimes. Wie gerne wäre er wohl am vergangenen Sonntag in Damaskus gewesen, als Assad fluchtartig die Hauptstadt verliess und Rebellen der «Hayat Tahrir al-Cham-Front» (HTS) den Präsidentenpalast besetzten.