Was ihr geschehen wird, wenn ihre Freiheit zu Ende geht, kann man ahnen. Doch vielleicht wird es noch schlimmer werden, als man es sich vorstellen kann.
Der Ort ist bekannt für seine Kirschen- und Apfelblüten. In besseren Zeiten suchten hier wohlhabende Syrer und Araber aus den Golfstaaten die Sommerfrische. Zurzeit liegt Schnee auf den Bergen der Umgebung. Gruppen von Deserteuren aus der syrischen Armee hatten im Januar in den Bergen rund um die Stadt Zuflucht gefunden. Die Stadtbewohner demonstrierten gegen das Regime. Einige der aufständischen Soldaten kamen nach Zabadani. Man spricht von etwa hundert, die dort präsent seien.
Umzingelt von der Armee
Die syrische Armee umzingelte die Stadt mit mindestens 50 Tanks. Sie schnitt ihr Wasser und Elektrizität ab. Die Telefonleitungen wurden stillgelegt, die Zufahrtsstrassen durch Strassenblöcke gesperrt. Die Tanks und Feldartillerie begannen am 13. Januar die Stadt zu beschiessen. Dies war ein Freitag, der Tag, an dem in ganz Syrien besonders häufige Demonstrationen ausbrechen.
Es gelang den Verbindungsleuten der Opposition, die Beobachter der Arabischen Liga zu alarmieren. Der 19. Januar war der letzte Tag ihrer auf einen Monat beschränkten, aber verlängerbaren Mission. Die Beobachter meldeten ihren Wunsch an, den Ort, der nur 30 Kilometer von Damaskus entfernt liegt, zu besuchen. Ihre Sicherheitsbegleiter rieten ab. Sie sagten, auf der Strasse nach Zabadani seien Minen gefunden worden. Der Besuch könne für die Beobachter lebensgefährlich werden.
Auf eigene Verantwortung
Die Beobachter beschlossen, doch hinzugehen. Die Sicherheitseskorten, Leute der syrischen Armee und Geheimdienste, gaben nach. Sie erklärten jedoch den Beobachtern, sie könnten sie nicht bis ins Innere der Stadt begleiten und lehnten jede Verantwortung ab. Am 15. Januar war es soweit, dass die Beobachter sich in Begleitung ihrer Sicherheitseskorte auf den Weg machen konnten. Einige Journalisten begleiteten sie. Dass sie zugelassen wurden, war in dem Vertrag festgelegt worden, der zwischen der Arabischen Liga und den syrischen Behörden ausgehandelt worden war.
Auf halbem Weg nach Zabadani stiessen die Besucher auf die ersten Strassensperren der Armee. Die Strasse wurde leer. Etwa sieben Kilometer vor der Stadt an einer weiteren Strassensperre wollte ein Offizier den Beobachtern Minen zeigen, die auf der Strasse gefunden worden waren. Den Journalisten erschienen sie wie rostige Kanister, an denen Drähte angebracht waren. Sie fragten, wo die Auslöser seien. Der Offizier sagte, davon wisse er nichts. Er sei auch kein Ingenieur. Doch er vermute, die Kanister enthielten Sprengstoff.
Die Stadt in Händen der Opposition
Kurz darauf blieb die Eskorte zurück, und die Beobachter fuhren weiter. Ob und in wie weit ihre Autochauffeure und deren Beifahrer zu den Geheimdienstleuten gehörten, wussten sie nicht.
Am Stadteingang stiessen sie auf eine improvisierte Strassensperre der Stadtbewohner. Junge Leute von Zabadani räumten die Hindernisse rasch aus dem Weg. Die Besucher wurden auf einen kleinen Platz im Stadtinneren begleitet. Dort standen Hunderte von Stadtbewohnern, die ihnen ihre Lage zu schildern suchten. Bilder von Toten wurden gezeigt. Vertreter der Stadtbewohner erklärten, 14 ihrer Bürger seien getötet worden, 350 verwundet, 568 hätten die Truppen verhaftet und fortgeschafft. Sie hätten seit drei Tagen kein Wasser mehr, keine Elektrizität und keine Telefonverbindungen.
Natürlich wollte ein jeder der Bewohner den Beobachtern persönlich seine Klagen vortragen. Es gab ein Gewühl um die Fahrzeuge. Einige der Bewohner wollten die Beobachter an den Stadtrand führen, von wo die Tanks der Armee sichtbar seien. Andere wollten ihnen Verwundete zeigen, noch andere ihre eigenen Wunden, die sie auf Schläge und Folterungen zurückführten.
Journalisten unter Beschuss Als die Beobachter sagten, sie müssten weiterfahren und könnten nicht zu lange bleiben, protestierte die Menge. Sie schlugen mit den Händen auf die Automobile. Die Beobachter mussten fürchten, diese könnten umgestürzt werden. Gruppen von Journalisten mit Kameras wurden indessen von einzelnen Bürgern in die Seitenstrassen geführt. Sie wollten ihnen Verwundete und Getötete zeigen. Die Beobachter fuhren zurück auf die Armeestellungen an der Zufahrtstrasse hin. Einige der Journalisten kamen in den Seitenstrassen unter Beschuss der Artillerie. Sie nahmen Zuflucht in einem der Häuser. Doch ein Kameramann verlor sein Leben. Chaos entstand, und die Journalisten zogen sich rasch mit ihren Automobilen aus der Gefahrenzone zurück. Die syrischen Deserteure verfügen nicht über Artillerie. Deshalb muss man annehmen, die syrische Armee habe geschossen.
Kugelregen als Lehre für die Beobachter?
Die Beobachter wurden an der ersten Strassensperre ausserhalb der Stadt zurückgehalten. Die Lage sei unsicher geworden, wurde ihnen gesagt. Sie hörten Schüsse, und das Feuer kam nah. Doch es blieb unklar, wer schoss. Es legte sich schliesslich, und ein gepanzerter Truppentransporter der Armee kam an, um die Beobachter "zu retten", wie man ihnen sagte.
Die Beobachter selbst dürfen nicht mit der Presse sprechen. Wenn es dennoch geschieht, tun sie dies aus eigenem Ermessen und anonym. Ihr Bericht über die gesamte Lage in Syrien geht an die Liga. Ob er später von dieser veröffentlicht werden wird, ist unklar. Einer der Beobachter, Anwar Abdel Malek aus Algerien, ist Mitte Januar zurückgetreten, weil er die Arbeit der Beobachter unter den für sie bestehenden Bedingungen für unseriös hält. Er äussert sich frei, offensichtlich erschüttert über die schrecklichen Dinge, die er während zwei Wochen Arbeit in Homs gesehen habe: Tote, Gefolterte, Zerstörungen usw. Er scheint zu befürchten, dass der offizielle Bericht der Beobachter nicht die ganze Wahrheit über die Verhältnisse im Lande aufdecken werde.
Ein Waffenstillstand mit der Armee?
Aus Zabadani wurde zuerst gemeldet, die Stadt stehe unter Beschuss. Dann kam am 19. Januar die Nachricht, ein Waffenstillstand zwischen den Truppen und den Überläufern, die Zabadani verteidigten, sei ausgehandelt worden. Die Tanks hätten sich aus der unmittelbaren Nähe des Ortes zurückgezogen. Die Truppen seien in ihre Kasernen zurückgekehrt. Den Waffenstillstand hätten die Stadtbehörden mit dem syrischen stellvertretenden Verteidigungsminister, Assef Sahwkat al-Asad, ausgehadelt, dem Schwager des Präsidenten, hiess es. Bilder von jubelnden Zivilisten in Zabandani erreichten über die Mobiltelefone die Aussenwelt. Viele der Demonstranten sind offenbar Kinder, Halbwüchsige und sehr junge Erwachsene.
Warum die syrische Armee einem Waffenstillstand zugestimmt hat, ist ungewiss. Sie kann ihn natürlich jederzeit brechen und die Stadt neu angreifen. Die offiziellen syrischen Medien sprachen überhaupt nicht von Zabadani. Es ist zum ersten Mal, dass die Armee mit ihren Deserteuren verhandelt, statt auf sie zu schiessen.
Das kleinere Übel
Der Waffenstillstand ist möglicherweise zustande gekommen, weil das Monatsmandat der Beobachter am gleichen Tage, dem 19. Januar, zu Ende ging. Die Arabische Liga muss nun beschliessen, ob sie ihre Mission um einen weiteren Monat verlängern will, oder ob sie erklärt, die syrischen Behörden kämen ihrem Versprechen nicht nach, die Truppen von den Ortschaften und Städten zurückzuziehen, gewaltlose Demonstrationen zuzulassen und einen Dialog mit der Bevölkerung zu beginnen. Die Asad-Regierung hat ein Interesse daran, dass die Liga ihre Mission verlängert. Sie hat bereits erklärt, sie sei ihrerseits willig, einer Verlängerung zuzustimmen, vorausgesetzt, dass die bestehenden Abmachungen über die Bedingungen, unter denen die Beobachter arbeiten, nicht verändert würden.
Man kann aus dieser Stellungnahme schliessen, dass den syrischen Behörden, die Beobachter zwar unbequem sein mögen, doch dass sie der Ansicht sind, sie seien in der Lage, sie unter Kontrolle zu halten. Die Alternative zur Fortsetzung ihres Mandates wäre eine Erklärung, dass Syrien seine gegenüber der Liga eingegangenen Verpflichtungen nicht erfülle, und dies gilt offenbar den syrischen Behörden als das grössere Übel.
Zurück an den Sicherheitsrat?
Eine derartige Erklärung würde das syrische Dossier von der Liga dem Sicherheitsrat zuspielen und würde wohl auch zu einem vollen Boykott Syriens durch die Liga führen. Beides ist für Damaskus nicht wünschenswert. Im Sicherheitsrat kann Syrien zwar mit der Unterstützung durch Russland und China rechnen. Doch wie lange diese andauert, möchte man lieber nicht erproben. Stimmenthaltung der beiden Mächte im Sicherheitsrat statt einem Veto würde zur völligen Isolierung Syriens durch die Staatengemeinschaft führen.
Verlängerung, oder Verurteilung Syriens?
Ob die Liga ihre Mission verlängert oder nicht, wird zur Zeit in Kairo beraten. Die arabischen Staatschefs werden dann den Beschluss zu ratifizieren haben. Die Auguren in Kairo erwarten, dass die Liga ihre Aktion verlängern werde. Die Beobachter sind zunächst überall in Syrien auf den ihnen zugeteilten Posten geblieben. Es gibt mehrere arabische Staaten, die einem scharfen Verweis der syrischen Regierung, wie er mit dem Abbruch der Mission unvermeidlich würde, schwerlich zustimmen dürften. Man kann an Libanon, den Irak, den Sudan und Algerien denken.
Andere aber dürften sich energisch dagegen wehren, dass im Fall eines Abbruchs der Mission die Schuld Syriens verschwiegen werde. Dies dürfte die Position Saudi Arabiens und der Golfstaaten sein. Der Ausweg für die Liga aus diesen Gegensätzen wäre eine Fortsetzung der Mission.
Wenig Bereitschaft zu militärischem Eingriff
Der syrische Widerstand fordert natürlich mehr. Er möchte, dass der Sicherheitsrat sich erneut Syriens annimmt und womöglich beschliesse, eine "Befreite Zone" in Syrien zu schaffen und zu verteidigen. Doch dies kann nicht geschehen, solange Russland und China es nicht zulassen wollen. Es ist auch unklar, ob, wie, und von welcher Macht, eine solche Zone geschaffen und aufrechterhalten werden könnte, falls der Widerstand der beiden Verteidiger Syriens im Sicherheitsrat überwunden würde. Niemand scheint heute gewillt, eine zweite Aktion nach dem Vorbild der libyschen zu organisieren.
Praktisch keine Lösungsaussichten
Unter diesen Umständen ist ein weiterer Monat der "Beobachtung" wahrscheinlich eine bessere Lösung als gar nichts. Er wird bedeuten, dass es Hunderte weiterer syrischer Todesopfer geben wird. Die Zahl jener, die während des ersten Monats der "Beobachtung" ums Leben kamen, wird auf 500 bis 600 Zivilpersonen geschätzt - plus eine unbekannte, jedoch ohne Zweifel wachsende Zahl von Soldaten, die nun auf zwei Seiten fallen, Armeeangehörige und Deserteure.
Die "Beobachtung" bringt es immerhin mit sich, dass der dichte Nebel der Geheimhaltung, der über Syrien liegt, ein wenig gelüftet wird. Hier und da gibt es Einblicke, wie in Zabadani.
Immer näher zum Bürgerkrieg
Doch jeder Tag, der vergeht, führt Syrien auch immer näher an einen Bürgerkrieg heran. Die syrische Wirtschaft leidet zwar am Boykott Amerikas und Europas. Doch die Armee wird dies als letzte zu spüren bekommen. Die Russen liefern ihr Munition, und Iran schickt Geld und Berater. Wenn die Aussenwelt weiterhin nichts Wirksameres als bisher zu unternehmen vermag, ist die verbleibende Alternative heute nur noch: Asad siegt, oder Syrien gerät in den Strudel eines Bürgerkrieges, der zwar zum Sturz Asads führen könnte, jedoch im besten Fall erst nach all den Zerstörungen und Opfern an Menschenleben, die ein grausamer Bürgerkrieg bringen wird. Ein solcher Bürgerkrieg drohte darüber hinaus, die ganze labile Nahostsituation zu erschüttern.
Dass die Asad-Regierung nachgäbe und die alawitische Minderheit, auf die sie sich stützt, eine Aussöhnung mit ihren sunnitischen Gegnern erreichte, ist leider nicht abzusehen.