Der in der Nacht zum Freitag von amerikanischen Raketen getötete iranische General Soleimani war während zwanzig Jahren der Mastermind fast aller wichtigen militärischen Operationen des iranischen Geheimdienstes. Er galt neben Ali Chamenei, dem religiösen und politischen Führer des Landes, als die einflussreichste Figur in Iran.
Qasem Soleimani war Generalmajor der iranischen Revolutionswächter, der Pasdaran. Zudem war er Befehlshaber der „al-Quds“-Brigaden, die für Auslandseinsätze zuständig sind. Beobachter bezeichneten ihn als einen der wichtigsten und vor allem gefährlichsten Akteure im Nahen Osten.
„Er hätte schon früher ausgeschaltet werden sollen“
Seine Ermordung kann nach Angaben von Analysten „ungeahnte, schreckliche Konsequenzen für die ganze Region“ haben.
Der amerikanische Aussenminister Pompeo sagte am Fernsehen, die USA wollten keinen Krieg mit Iran, doch das Leben amerikanischer Bürger sei in Gefahr gewesen.
Trump twitterte, Soleimani habe Tausende amerikanische Bürger getötet oder verletzt und geplant, weitere zu töten. „Er hätte schon vor vielen Jahren ausgeschaltet werden sollen.“
Trump sagte am Abend: „Wir haben gehandelt, um einen Krieg zu beenden. Wir haben nicht gehandelt, um einen Krieg zu beginnen.“ Die Vereinigten Staaten wollten „Frieden, Partnerschaft und Freundschaft mit anderen Ländern“.
Die USA wollten auch keinen Regimewechsel im Iran erreichen. Die Vereinigten Staaten täten aber alles, um die eigenen Diplomaten, Soldaten und Bürger zu schützen.
„Extremely dangerous & a foolish escalation“
Der iranische Aussenminister Mohammad Dschawad Sarif sprach auf Twitter von einer „extrem gefährlichen und dummen Eskalation“ („extremely dangerous & a foolish escalation“). Die USA würden die Konsequenzen für diesen „schurkenhaften Abenteuerismus“ tragen.
Nicht nur in Teheran, auch in mehreren anderen iranischen Städten fanden Anti-USA-Manifestationen statt. Die Demonstranten verlangten Vergeltung und schrien „Blut für Blut“ und „Tod dem Satan“.
Mohammad Reza Naghdi, ein General der Revolutionsgarden, empfahl den USA, Särge für ihre Soldaten zu bestellen.
Inzwischen ernannte Al Chamenei Brigadegeneral Esmail Qaani zum neuen Führer der „al-Quds“-Brigaden. Qaani hatte im iranisch-irakischen Krieg in den Achtzigerjahren eine wichtige Rolle gespielt. Er hat nicht das Charisma von Soleimani, gilt aber als sattelfester Revolutionsgardist und besitzt seit jeher das Vertrauen von Al Chamenei.
Der Ölpreis stieg nach dem amerikanischen Angriff stark an.
Israel in Alarmbereitschaft
Die grosse Frage ist jetzt: Wie wird Iran auf die Ermordung reagieren? Wird sich Teheran mit Cyberattacken oder terroristischen Anschlägen begnügen?
Wird es direkt amerikanische Ziele in der Region angreifen – oder Ziele der amerikanischen Verbündeten? Trump erklärte immer wieder, er wolle eine Konfrontation mit Iran am Boden vermeiden. Würde Teheran direkt amerikanische Ziele attackieren, würden die Risiken für einen Bodenkrieg steigen.
Israel hat seine Truppen in Alarmbereitschaft gesetzt und bereitet sich auf einen möglichen iranischen Schlag vor. Mehrere israelische Touristendestinationen wurden geschlossen.
Angriff auf Saudi-Arabien?
Nicht ausgeschlossen wären nach Meinung von Nahostexperten erneute Angriffe auf saudische Ölanlagen, was der Weltwirtschaft einen schweren Schlag versetzen würde.
Schon am 14. September hatten Drohnen, die angeblich von jemenitischen Huthis abgeschossen wurden, die zwei grossen Ölanlagen von Abqaiq und Khurais in Saudi-Arabien schwer beschädigt. Damit sank die saudische Ölproduktion während Wochen um fast 50 Prozent. Die saudische Armee hat Iran gezeigt, dass sie weit weniger stark ist als viele vermuteten. Saudi-Arabien ist ein enger Verbündeter der USA
Demokratische Vorbehalte
Die Präsidenten George W. Bush und Barack Obama hatten versucht, die Beziehungen zu Iran zu entspannen. Trump scheint einen anderen Weg einzuschlagen. Während die meisten Republikaner den Mord Soleimanis begrüssen, werden bei den Demokraten kritische Stimmen laut. Der demokratische Senator Christopher S. Murphy sagte, der Mord könnte einen „massiven regionalen Krieg“ auslösen.
Der frühere Vizepräsident und jetzige Präsidentschaftskandidat Joe Biden schrieb, die USA stünden möglicherweise „am Rande eines grösseren Konflikts im Nahen Osten“. Trump habe soeben „eine Stange Dynamit in ein Pulverfass geworfen“.
General Soleimani hatte in der Nacht zum Freitag zusammen mit mehreren irakischen Militärs den internationalen Flughafen von Bagdad verlassen wollen, als der Autokonvoi von Raketen beschossen wurde. Diese wurden von einer amerikanischen MQ-9-Drohne abgefeuert. Insgesamt starben bei dem Angriff fünf Menschen, unter ihnen auch der irakische Milizenführer Jamal Jaafar Ibrahimi, ein Vertrauter Soleimanis.
Das iranische Fernsehen und Radio berichtete während des Tages einzig über den Tod Soleimanis. Filme und Unterhaltungssendungen wurden aus den Programmen verbannt. Al Chameinei ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Am Abend empfing er die Familie des Getöteten. Bald soll in Teheran eine wichtige Strasse an Soleimani benannt werden.
(J21/New York Times/Washington Post/AP/Al Jazeera/Middle East Eye)