Kultur ist lebensnotwendig wie Brot und Wasser: Das offizielle St. Gallen schwor bei der Eröffnung des sanierten und sanft erweiterten Theaterbaus auf die Kultur als Quelle eines erfüllten Daseins.
Das in düsterer Zeit entfachte Feu sacré anstelle politischer Sonntagsreden aus heisser Luft verdankt sich der Freude über ein wahrhaft gelungenes Werk, wofür die Stimmberechtigten des Kantons im Frühjahr 2018 mit einer unerwartet bekenntnishaften Mehrheit von 62 Prozent einen 50-Millionen-Kredit bewilligten.
Wunderbares Zusammenspiel
Nun also besitzt das älteste Berufstheater der Schweiz, 1805 gegründet, das modernste Haus. Jedoch kein neues, sondern die nach einem halben Jahrhundert äusserst sensibel renovierte Ikone des Zürcher Architekten Claude Paillard. Sie erstrahlt als riesige Skulptur im weiten baumbestandenen und bespielbaren Park gegenüber der neubarocken Tonhalle markant im einstigen Glanz. Ein wunderbares Ensemble mit zwei Architektursprachen im Dialog.
Die zurückhaltende, aufs Dringendste beschränkte Renovation durch das ortsansässige Architekturbüro Gähler Flühler Fankhauser bezeugt den Respekt vor dem kühnen Wurf Claude Paillards. Er schuf auch anderswo Bedeutendes, nämlich etwa in Yverdon-les-Bains die Ingenieurschule, in Zürich die Erweiterung des Opernhauses und in Hannover das Schauspielhaus.
Dem Wandel geschuldet renoviert
Hinter den Kulissen veränderte sich das St. Galler Theater mehr als fürs Publikum sichtbar ist. Ersetzt wurden die haustechnischen Anlagen und ein Grossteil der Bühnentechnik. Fällig waren Reparaturen von Dächern, Fassaden und Parkverglasung. Aus den Garderoben, Aufenthaltsräumen, Werkstätten und dem Ballettsaal verschwand die dicke Luft.
Der technische Wandel rief nach Erneuerungen für Licht und Audio, für Schreinerei, Schlosserei und Requisitenabteilung. Durch die mit dem Bestand harmonierende Umbauten konnten für Backstage und Lager 700 Quadratmeter gewonnen werden.
Minimale Veränderungen
Die Besucherinnen und Besucher brauchen einen scharfen Blick, um die Veränderungen zu erkennen: das im ursprünglichen Sinne von Claude Paillard umgebaute Vordach, die frisch, aber wie bisher violett bezogenen Sitzpolster, die erneuerten Handläufe. Dem Auge verhüllt, doch beruhigend ist der beseitigte Asbest.
Im Einklang mit der Denkmalpflege glückte eine Modernisierung, die den gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen genügt und eine rationelle Betriebsführung gestattet.
Ein Lob der Werktreue
Keine spektakuläre Intervention der Architekten haut das Publikum um. Gerade daraus entwickelt sich eine enorme Stärke. Die konsequent kühle Funktionalität überzeugte während eines halben Jahrhunderts und brauchte für die künftige Bewährung bei den Besucherinnen und Besuchern gerade mal eine behutsam kluge Entstaubung.
Der skulpturale Theaterbau ist weiterhin ein Stück von Claude Paillard. Die Umbau-Verantwortlichen pflegten die Werktreue und verschonten das Publikum vor einer übergriffigen «Regie-Architektur». Die weise Zurückhaltung lässt sich auch programmatisch lesen als formvollendete Empfehlung für die künstlerischen Inszenierungen auf der Bühne. Damit die Herrichtung von Opern, Operetten und Musicals, von Komödien und Dramen, von Ballett und Tanz nicht zu deren Hinrichtung wird. L’architecture oblige.