Die fünf jungen Männer spazieren durch eine ruhige Strasse in Tegucigalpa, als ein schwarzer SUV, gefolgt von einem zweiten Wagen, heranfährt. Zwei maskierte Männer in kugelsicheren Westen springen aus dem ersten Wagen und richten ihre AK-47-Gewehre auf die Fünf. Die beiden Nächststehenden erstarren und halten ihre Hände in die Höhe. Die anderen drei rennen unter einem Kugelhagel davon und entkommen. Die zwei Zurückgebliebenen, zwei Brüder im Alter von 18 und 20 Jahren, müssen sich auf den Boden legen, Gesicht nach unten, und sterben in einer Geschossgarbe. Kaum 40 Sekunden dauerte der Überfall, den eine Überwachungskamera aufgezeichnet hatte.
Die Kassette wurde der Hauptstadtzeitung El Heraldo zugespielt. Von den Tätern fehlt angeblich jede Spur. Die Professionalität und Vorgehensweise der Täter deuten nach Ansicht vieler Beobachter daraufhin, dass es sich um eine Operation staatlicher Organe gehandelt hat, zumal auch keine Untersuchung eingeleitet wurde.
Touristenzentren und Ölpalmen vs. Menschenrechte
In San Juan Tela, einem winzigen Garifuna-Dorf an der entlegenen Atlantikküste wurde Santos Feliciana Aguilar Álvares von zehn Männern entführt. Sie schlugen ihn und bedrohten ihn. Er hörte die Männer sagen: «Bringen wir ihn um und verscharren ihn gleich hier.» Bei einem Brandanschlag wurde das Haus des Gemeindesprechers Wilfredo Guerrero zerstört, ein Jahr später wurde er festgenommen. Schliesslich zwang ein unbekannter Mann die Garifuna-Sprecherin Jessica García mit Waffengewalt, ein Dokument zu unterschreiben, wonach das Gemeindeland einer Immobilienfirma gehört, die dort eine Ferienanlage errichten will, so dass amerikanische und europäische Touristen endlich auch nach Honduras kommen. (1)
Es war ein regnerischer Sonntag, als sich José Recinos, Genaro Cuestas und Joel Santamaría mit ein paar weiteren Campesinos von der Finca San Isidro bei Bajo Aguán auf den Weg ins Dorf machten, einige Einkäufe zu erledigen. Sie kamen nie an. Sie fielen in einem Hinterhalt in einem Kugelhagel, in dem Recinos, Cuestas und Santamaría starben und drei ihrer Begleiter verletzt wurden. Das Tal von Bajo Aguán ist die «Nummer eins» unter den landwirtschaftlichen Anbaugebieten Mittelamerikas, heisst es. Dort wächst alles, Bohnen, Reis, Mais. Dort gedeihen aber auch die afrikanischen Ölpalmen prächtig. Und die gehören Facussé, einem der reichsten Männer im Land. Facussé hat, wie das bei reichen Männern nun mal so ist, exzellente Verbindungen zur Regierung und zum Militär und hat für alle Fälle auch noch seine Privatarmee. Alleine in der Region von Bajo Aguán zählten Menschenrechtsorganisationen in den letzten Jahren über sechzig Personen, die eines gewaltsamen Todes gestorben waren.
Komplizen in Washington
Seit 2009, als der gewählte Präsident Manuel Zelaya mit dem wohlwollenden Einverständnis Washingtons von hundert Soldaten aus dem Bett geholt und in eine Maschine nach Costa Rica gesetzt wurde, so sehen es einheimische Menschenrechtsvertreter, «sind politisch motivierte Morde in Honduras zur Norm geworden. » Die Opfer sind Gewerkschafter, Journalisten, Lehrer, Bauern, Menschenrechtsanwälte. US-Aussenministerin Hillary Clinton weigerte sich natürlich, den Coup als Militärputsch zu bezeichnen, und gab der neuen Regierung – anders als Argentinien, Bolivien, Brasilien, Ekuador, Nicaragua, Paraguay, Uruguay und Venezuela, die sich weigerten sie anzuerkennen – ihre volle Unterstützung.
Es ist wie es immer ist in Lateinamerika. Nur der Feind hat sich geändert seit jenen blutigen achtziger Jahren, als Präsident Ronald Reagan im Kampf für Freiheit und gegen Kommunismus die Regierungen der selbstherrlichen mittelamerikanischen Landoligarchen mit ihren Todesschwadronen unterstützte, die in jedem mittellosen Peon einen «subversivo» sahen. Heute sind es die Drogenbarone, die den Vorwand für Unterdrückung, Mord und Folter liefern.
Guatemala, El Salvador und Honduras seien heute vermutlich die gefährlichsten Länder der Welt, berichtete US-Luftwaffengeneral Douglas Fraser vom U.S. Southern Command (Southcom) auf einer Pentagon-Konferenz. In jedem der drei Länder kämen auf 100’000 Einwohner mehr Opfer krimineller Gewalt als in Irak oder sogar Mexiko. Der Kampf gegen die Drogenkartelle, die weltweit im Jahr zwischen 300 und 400 Milliarden Profit machten, übersteige die Möglichkeiten der Regierungen Mittelamerikas. Die Polizeibehörden stünden in ihrem Kampf gegen die schwer bewaffneten Drogenhändler, die mittlerweile sogar über selbstgebaute Panzer und Mini-U-Boote verfügen, auf verlorenem Posten.
Gesetzwidrige Aufrüstung
«Wir müssen (dieses Problem) regional angehen, und nicht von Land zu Land». General Fraser plädierte für eine «vielseitige Anstrengung». Seither finanzieren die USA wieder mörderische Militärs und Polizisten und bauen wieder Stützpunkte in Mittelamerika. Bei Caratasca in der honduranischen Misquitia (Atlantikküste) entstand eine «forward operating location», auf der Karibikinsel Guanaja in Islas de la Bahía ein amerikanisches Anti-Drogen-Terrorismus-Operationszentrum mit Kasernen, Landebahnen und Hafenanlagen. Alleine in den ersten sechs Monaten nach dem Putsch vom Juni 2009 schloss das Pentagon Verträge über 19 Millionen Dollar für Bauvorhaben in Honduras ab. Zudem genehmigte der US-Kongress 25 Millionen Dollar für den Ausbau des US-Stützpunktes in Soto Cano, rund 75 Kilometer nördlich von Tegucigalpa, wo schon 500 GIs stationiert sind, zu einem Operationszentrum für US-Special Forces.
Doch inzwischen gerät die Regierung Barack Obamas unter Druck. Kongressmitglieder werfen Obama vor, mit der Bewaffnung und Finanzierung der honduranischen Polizei gegen US-Recht zu verstossen. Das Leahy-Gesetz, so benannt nach seinem Verfasser, Vermont-Senator Patrick Leahy, untersagt es amerikanischen Regierungen, ausländische Militärs zu unterstützen, die ungestraft grobe Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Der Direktor der honduranischen Polizei, Juan Carlos Bonilla, so fanden Reporter der Nachrichtenagentur Associated Press in hartnäckigen Recherchen heraus, arbeitet eng mit Todesschwadronen zusammen. Damit «ist klar, dass die US-Finanzierung der honduranischen Polizei illegal ist», schrieb der Londoner Guardian. «Jetzt werden wir ja sehen, was die Herrschaft des Gesetzes oder die Trennung von Legislative und Exekutive in einem Land bedeuten, das ‚weniger entwickelte Nationen‘ so gerne diese Prinzipien lehrt. »
Weitermachen!
Bisher zeigt der Unwille unter den amerikanischen Kongressabgeordneten noch keine Auswirkungen in Honduras. Im November sollen ein neuer Präsident und die 128 Abgeordneten des Nationalkongresses gewählt werden. Im letzten November kürte die sozialdemokratische Partido Libertad y Refundación (Libre) Xiomara Castro de Zeleaya, die Frau des 2009 gestürzten Präsidenten, zur Präsidentschaftskandidatin. Noch in derselben Nacht erschossen Unbekannte Edgardo Adalid Motiño, der gerade von dem Kongress nach Hause zurückgekehrt war.
«Die derzeitige Regierung gehört Washington», schrieb der Guardian. «Eine Regierung der Todesschwadronen mag nicht die erste Wahl der Obama-Administration sein. Sie zieht sie aber allemal einer linken Regierung vor, die das Resultat freier Wahlen in Honduras sein könnte. »
(1) Die Garifuna sind die Nachkommen entsprungener Sklaven von den Karibikinseln, die im 17. Und 18. Jahrhundert Schutz in den unzugänglichen Wäldern der Miskitia gesucht und sich mit den dort ansässigen Indianern, den Miskitos, vermischt haben. Heute noch sprechen sie ein veraltetes Französisch.