Das neue Heft von GDI Impuls begibt sich auf eine halsbrecherisch anmutende Gratwanderung. Der Titel, „Die Zukunft der Produktion“, kann logischerweise nur auf etwas Positives zielen. Und tatsächlich haben die Blattmacher im Zusammenhang mit dem 30-jährigen Bestehen ihrer Zeitschrift etwas gefunden, das in ihren Augen mindestens soviel Potential bietet wie das Aufkommen des Personal Computers in den 80er Jahren: den 3-D-Drucker.
Selbstbestimmte Produktion
Hinter dieser eher schlichten Bezeichnung verbirgt sich eine Technologie der ungeahnten Möglichkeiten. Denn mit diesem „Drucker“ ist ein Gerät gemeint, das alle nur denkbaren Teile so herstellt, wie sie gebraucht werden. Der Ausdruck dafür ist Fab-Lab. Entwickelt wurde das Ganze von Neil Gershenfeld am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Der Traum, der damit verwirklicht werden soll, war schon Thema der Science-Fiction-Serie StarTrek.
Dort gab es den „Replikator“, der problemlos alles lieferte, was seine Besitzer wünschten. Der neue 3-D-Drucker sei ein Vorläufer auf dem Weg zu diesem glücklichen Endzustand, in dem jeder Produzent und Konsument in einem ist: Prosument. Wie der PC jeden zu seinem eigenen Textgestalter, Grafiker, Tontechniker und Bildbearbeiter gemacht hat, so soll das Fab-Lab jeden zu seinem eigenen Produzenten aller Gebrauchsgüter machen.
Eine neue Ordnung?
Das Ganze klingt eigentlich zu fantastisch, um ernst genommen werden zu können, aber in den Beiträgen zu diesem Thema wird gezeigt, dass die Saat inzwischen in zahlreichen Ländern anfängt aufzugehen. Gerade in der Dritten Welt ermöglichen solche Maschinen die Produktion von Einzelteilen und ganzen Geräten aus natürlichen Rohstoffen und Abfall, die sonst unerreichbar wären. Stehen wir also am Anfang einer neuen Revolution, die mit dem Aufkommen der Personal Computer vergleichbar ist?
Die Überlegungen gehen noch weiter. Wenn es tatsächlich so ist, dass Produkte, die ursprünglich nur in Massen in dafür dimensionierten Fabriken mit enormen Rohstoffverbrauch, extrem komplexer Logistik und entsprechend aufwendigem Vertrieb jetzt in Eigenregie herstellbar sind, krempelt das die Gesellschaft um. Die Abhängigkeit der Konsumenten gehört der Vergangenheit an – ebenso wie der Staat mit seinen Instanzen. Droht am Ende eine Art Anarchie, fragt der Autor Michael Böhm.
Die Schweizer Uhren
Man muss die Beiträge im Detail mit den Quellenangaben und Verweisen lesen, um sich eine Meinung zu bilden. Es gibt aber noch eine weitere Referenz: Das ist der Aufbau des ganzen Heftes. Der ist durchdacht und spricht den Leser auf vertrauterem Gelände an. So handelt ein Beitrag von der individualisierten Medizin dank neuer Technologie: massgeschneiderte Medikamente, noch genauer fokussierte Operationen und Therapien.
In der ersten Hälfte des Heftes steht ein Beitrag, der mit den fast utopischen Ausblicken gar nichts zu tun zu haben scheint, aber faszinierend ist: über die Uhrenindustrie von Alexander Ross. Wie haben es die Produzenten mechanischer Uhrwerke geschafft, gigantische Umsätze zu erzielen, indem sie sich gegen den Trend der Digitalisierung stellten? Und warum kann diese Erfolgsstory zu einem jähen Ende kommen?
Brauchen wir noch Banken?
Dazu passt ein Beitrag von Judith Mair, Bitten Stetter und deren Team des Studienganges „Trends“ der „Zürcher Hochschule der Künste“ über das Thema Retrodesign. Zum Spiel mit Zitaten aus dem „Archiv“ der Vergangenheit, zur Kombination alter Formen mit modernster Technologie und der Verwandlung alter Muster entsprechend zeitgenössischer Sehgewohnheiten finden sich kluge Beobachtungen der jungen Autorinnen und Autoren.
Und in Bezug auf eine unserer wichtigsten Sorgen, dem Geld und die Banken, überrascht die Autorin Barbara Bohr mit Ideen, wie das ganze System umgekrempelt werden könnte. Der Clou: Wir brauchen keine Banken, um Zahlungen abzuwickeln. Schliesslich betreibt der Staat auch Verkehrssysteme oder bewirtschaftet das Gesundheitswesen. Und dann gibt es noch die Social Networks. Eigentlich sei, so die Autorin, das Bankensystem veraltet.
"Der Zauberberg" und das GDI
Am Ende des Heftes steht eine Diskussion des Chefredakteurs Detlef Gürtler und seiner Vorgänger, Max Gurtner, Karin Frick und Stefan Kaiser unter dem Titel. „Früher war mehr Zukunft?“ Dabei gelingt ein wunderbarer Bezug: „Der Zauberberg“ von Thomas Mann. Das Gottlieb Duttweiler Institut ist eben nicht der Zauberberg von Thomas Mann, sondern ein „Think Tank“, dessen Fragestellungen immer auch an die Entwicklung des Marktes geknüpft sind.
Dazu bemerkt Max Gurtner, der erste Chefredakteur: „Ich würde mir wünschen, dass das Institut wieder mehr Stellung bezieht zu einer wünschbaren Zukunft. Konsum- und Trendforschung gehören zur Kategorie der mechanistischen Auseinandersetzung mit Zukunft. Mir fehlt die Thematisierung von gesellschaftlichen Bruchstellen, die Diskussion über Werte und über die Wünschbarkeit von Zukunftsentwürfen.“
Schulden und Schuld
Das ist sehr zugespitzt und damit wohltuend. In der weiteren Diskussion wurden entsprechend zwei Themen herausgestellt, die schwere Brocken sind: die Demografie - Gurtner: „Die Generationenproblematik kann die Gesellschaft auseinanderreissen.“ - und das Thema Schulden. Dazu der ehemalige Chefredakteur Stefan Kaiser: „Natürlich nicht nur finanziell, sondern auch metaphorisch, als Schuld.“
Der jetzige Chefredakteur, Detlef Gürtler, fügte eine Beobachtung an, die das ganze Dilemma zeigt, in das wir geraten, wenn wir um der Sicherheit willen in die Zukunft blicken wollen: „Was dabei herauskommen kann, wenn man Planungsunsicherheit in grossem Stil beseitigen will, sehen wir gerade am Beispiel des Euro. Für alle Unternehmen und Menschen in der Eurozone wurde das Wechselkursrisiko abgeschafft, und eine sichere Kalkulationsgrundlage geschaffen – was am Ende dazu führen kann, dass sich die so weggestaute Unsicherheit in einem einzigen grossen Knall entlädt.“
GDI Impuls. Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, Handel, Nummer 3, 2012, an grösseren Kiosken erhältlich und beziehbar beim Gottlieb Duttweiler Institut