Die Verhandlungen der Amerikaner und fünf weiterer Staaten (G5+1, das heisst die beständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und Deutschland) mit Iran über die Fragen der Atomanreicherung Irans hätten nach den ursprünglichen Übereinkommen am 24. November 2014 entweder ihr Ziel erreichen oder scheitern sollen.
„Umrisse einer Übereinkunft“ bis Ende März
Stattdessen wurde nach Ablauf der gesetzten Jahresfrist festgelegt, dass bis Ende März 2015 die "Umrisse einer Übereinkunft" ausgehandelt werden sollen, und ein definitiver Text, einschliesslich der Behandlung der technischen Fragen, bis am 30. Juni zustande zu kommen habe. Zurzeit steht man daher vor einer der letzten Runden, innerhalb derer die "Umrisse der Übereinkunft" festgelegt werden müssten. Vorgespräche dazu soll Aussenminister Kerry in Genf, wo er seinen iranischen Kollegen traf, schon begonnen haben.
Sanktionen – wie lange?
Die strittigen Fragen lassen sich aufteilen in Forderungen in Bezug auf die Anreicherungsfrage und in Gegenforderungen über den Zeitraum in dem, falls in den Anreicherungsfragen eine Übereinkunft zustande kommt, die Sanktionen gegen Iran von Seiten der Amerikaner und Europäer abgebaut werden sollen. Um diese zweite Frage voraus zu nehmen: die Iraner fordern ein sofortiges Ende der Sanktionen direkt nach der Übereinkunft. Die Gegenseite besteht auf einem langsamen Abbau über mehrere Jahre hin an, der im Gleichschritt erfolgen soll mit den Kontrollen darüber, dass Teheran die Abmachungen im Nuklearbereich einhalte.
Was die Fragen der Anreicherung angeht, bestehen ebenfalls noch Gegensätze. Dem Vernehmen nach liegen die wichtigsten in den Mengen angereicherten Uraniums, die Iran erlaubt sein sollen, sowie beim Grad der erlaubten Anreicherung, und in den Fragen der zulässigen Industrieanlagen und Zahlen von Zentrifugen, die der geduldeten Anreicherung dienen sollen sowie in Ansichten über Stilllegung oder Umbau von Anlagen, deren Kapazität über die zugelassenen Mengen und Anreicherungsgrade hinaus geht.
Mindestfrist bis zum Bau einer Atomwaffe
Dabei scheint das Grundmass der Seite von G5+1 zu sein, dass Iran nur über so viel angereichertes Iran verfügen soll, dass es mindesten ein Jahr brauchen würde, um eine Atomwaffe zu bauen. Dies stellt eine bedeutende Konzession dar, wenn man sich erinnert, dass vor dem Beginn der Verhandlungen die G5+1 Staaten Iran jede Anreicherung verbieten wollten.
Iran ist ebenfalls Konzessionen eingegangen. Teheran erklärt sich bereit, keine Anreicherungen über 20 Prozent hinaus vorzunehmen. Doch die Gegenseite fordert eine Grenze bei 5 Prozent. 5 Prozent ist notwendig für den Betrieb von atomaren Elektrizitätswerken. Iran besitzt eines davon, hat jedoch Vereinbarungen mit Russland für den Bau von sieben weiteren getroffen. 20 Prozent Anreicherung sind für bestimmte medizinische Strahlbehandlungen notwendig. Für eine Atombombe braucht es 95 Prozent.
Die Kapazität der Anreicherungsanlagen
Was die Anreicherungsanlagen angeht, verfügt Iran über zwei: in Natanz und in Fordow bei Qum. Natanz ist die grössere Anlage; Fordow ist tief in den Berg eingegraben und daher besser geschützt gegen mögliche Luftschläge. Iran hat sich bereit erklärt, Ferdow umzubauen, so dass es den medizinischen Anwendungen alleine dient. Doch die Gegenseite fordert, dass Fordow stillgelegt und die Zahl der in Natanz arbeitenden Zentrifugen limitiert werde.
Neben diesen beiden mit Zentrifugen operierenden Anreicherungsanlagen hat Iran als neueste dritte Anlage bei Arak einen Reaktor mit schwerem Wasser errichtet, der Plutonium erzeugt. Dieses kann ebenfalls zum Bau einer Atomwaffe dienen.
Es scheint, Iran habe angeboten, die Produktion von Plutonium auf ein Kilo pro Jahr zu beschränken und den Arak Schwerwasser-Reaktor in diesem Sinne umzubauen. Zu den angebotenen Konzessionen Irans gehört auch, dass Teheran bereit sein könnte, seine bestehenden Vorräte an Material, das zu 20 Prozent angereichert ist, an Russland zu liefern und dafür Brennstäbe für sein atomares Elektrizitätswerk in Bandar Abbas einzuhandeln.
Kontrollfragen
Gegensätze bestehen auch in den Fragen der Kontrolle der - noch zu erreichenden - Übereinkünfte. Iran hat das Zusatzprotokoll zum Nichtprolifikationsvertrag von 1968 im Jahr 2003 angenommen, doch wurde das Protokoll nicht vom Parlament ratifiziert und ist daher nicht gültig. Die G5+1 Unterhändler fordern, dass Iran dieses Zusatzprotokoll ratifiziere.
Es würde der Internationalen Atomagentur erlauben, sehr viel gründlichere Inspektionen durchzuführen, als ihr dies zurzeit möglich ist. Die strengeren Inspektionen - falls sie zustande kommen - sollen nach den Vorstellungen Irans fünf Jahre lang dauern, nach den Forderungen der G5+1 Staaten jedoch 20 Jahre.
Beiderseitig gibt es Feinde einer Übereinkunft
Bei den beiden Verhandlungspartnern dürfte der Wusch überwiegen, eine Lösung der strittigen Fragen zu erreichen. Doch in Iran und in den USA gibt es starke Kräfte, die bremsend eingreifen. In Iran sind dies die zahlreichen Kritiker des Präsidenten Ruhani und seiner Regierung. Sie sind unter den Revolutionswächtern zu finden, die von konservativen "Revolutionären" unterstützt werden. Als solche kann man jene Kräfte bezeichnen, die sich auf die anti-amerikanische Linie Khomeinys und seiner damaligen Revolution versteifen, die heute 36 Jahre alt ist.
Den Revolutionswächtern geht es darum, ihr Gewicht im iranischen Machtgefüge zu maximieren, und sie wollen zu diesem Zweck sowohl die atomaren Aktivitäten, die sie selbst führend organisieren, wie auch die Kriegsmacht Irans, die sie aufgebaut haben und weiter ausbauen möchten, beibehalten oder steigern.
Khamenei stützt beide Seiten
Über den miteinander ringenden Politikern und politischen Theologen steht der herrschende Gottesgelehrte Khamenei. Er spielt diese Kräfte gegeneinander aus in der Absicht, seine Entscheidungsmacht zu bewahren. Er hat sich daher nie ganz eindeutig für die Verhandlungen oder gegen sie ausgesprochen. Seine Formel lautet: "Verhandelt, aber gebt dem "Grossen Teufel" (Khomeinys Namen für die USA) nicht in für Iran grundlegenden Fragen nach !" Welche dies sind, hat er jedoch nie in der Öffentlichkeit dargelegt.
Auf der amerikanischen Seite gibt es die Republikaner, die den Präsidenten und all sein Tun prinzipiell kritisieren. Sie haben erklärt, sie wollten die Sanktionen gegen Iran weiter ausbauen und verschärfen. Dies würde ohne Zweifel zum Zusammenbruch der Verhandlungen führen. Obama hat seinerseits gedroht, er werde solche destruktiven Aktivitäten der Republikanischen Mehrheit durch sein Veto zurückweisen.
Netanyahu gegen Kompromisse
Die Republikanische Seite wird nun verstärkt durch Netanyahu, der auf den 3. März seinen Besuch in Washington angekündigt hat. Er soll dort auf Einladung der republikanischen Mehrheit, nicht der amerikanischen Regierung, vor dem amerikanischen Parlament, eine Rede halten, von der zu erwarten ist, dass sie eine Brandrede über die angeblichen Gefahren eines atomaren Abkommens mit Iran sein wird.
Im Vorfeld liess Nataniyahou bereits verlauten, das Abkommen werde sowohl für Israel wie auch für die übrige Welt sehr gefährlich werden. Seine Rede zielt darauf ab, nicht nur die Republikanische Mehrheit sondern über sie hinaus auch eine möglichst grosse Zahl von Demokraten zu seiner Sicht der Dinge zu überreden.
Obama und die Führung der Demokraten im Kongress haben erklärt, dass sie der Rede des israelischen Ministerpräsidenten nicht beiwohnen werden. Obama hat seine Haltung damit begründet, dass es für einen Präsidenten nicht üblich sei, einen besuchenden Regierungschef kurz vor seiner Ab- oder Wiederwahl zu empfangen. In der Tat dient der Eingriff Netanyahus in die amerikanische Politik in erster Linie seiner Wahlpropaganda.
Die Zukunft des Nahen Ostens
Die ohnehin bestehenden Spannungen zwischen dem Präsidenten der USA und dem Ministerpräsidenten Israels haben durch diese öffentlich zutage tretenden Gegensätze weiter zugenommen. Es geht dabei aber um viel mehr als nur um die Frage der Verhältnisses Obamas zu Netanyahu. Wenn eine Übereinkunft zwischen Iran und den USA zustande käme und sie weiter ausgebaut werden könnte, würde dies die Gesamtlage im Nahen Osten entscheidend beeinflussen.
Dort befindet sich die amerikanische Supermacht ohne Zweifel auf dem Rückzug. In der Zukunft kann man nicht mehr damit rechnen, dass sie im Nahen Osten als Ordnungsmacht wirken werde. Im Versuch dies zu tun hat sie bisher zwei Kriege verloren, einen dritten in Syrien, einen vierten in Libyen, einen fünften in Somalien und einen sechsten im Jemen zu führen, möchte sie offensichtlich vermeiden.
Wer soll den USA als Ordnungsmacht nachfolgen? Sollen und können ihre engsten Verbündeten, Israel und Saudiarabien, die Rolle der Amerikaner übernehmen? - Wenn sich etwas derartiges entwickeln sollte, würden sich die Chancen des Kalifates von IS verhundertfachen. Der ganze Nahe Osten von der türkischen Grenze bis nach Aden und dazu die grössten Teile Nordafrikas bis tief hinüber jenseits der Sahara würden zum Schauplatz der Kämpfe zusammengebrochener Staaten. Ein Dreissigjähriger Krieg in der aufgelösten arabischen Staatenwelt wäre zu erwarten. Doch würde er mit den viel zerstörerischen Waffen des gegenwärtigen Jahrhunderts ausgefochten.
Ein Gleichgewicht der nahöstlichen Hauptkräfte?
Der Gegenentwurf müsste davon ausgehen, dass Iran die Rolle der Ordnungmacht übernähme, im Idealfall im Zusammenspiel und Einverständnis mit Saudi Arabien. Die Saudis sind zwar zurzeit bittere Feinde und Gegenspieler Irans und aller schiitischen Minderheiten im arabischen Raum. Doch ein Iran der wirtschaftlich prosperierte, was geschehen kann, wenn die Sanktionen enden, und ein Iran, der dadurch Interesse an Stabilität in seinem Umfeld gewinnt, wäre durchaus in der Lage, sich mit Saudiarabien zu verständigen zum Vorteile beider. Dies müsste nicht als ein enges Bündnis geschehen sondern eher im Sinne eines Gleichgewichtes der Hauptkräfte, innerhalb dessen die kleineren nahöstlichen Mächte fortbestehen könnten.
Saudi Arabien wird sich seinerseits in seine nahöstliche Umwelt einfügen müssen, wenn deutlich wird, dass der Schutzpakt mit den USA, der 1946 geschlossen wurde, nicht mehr der einzige Pfeiler sein kann, auf dem das Königreich ruht.
Angesichts derartiger langfristiger und grossräumiger Perspektiven müssen die gegenwärtigen Verhandlungen als die Weiche gesehen werden, deren Stellung darüber entscheidet, ob der weitere Weg ins Chaos führen wird oder zu Hoffnungen, dass allmählich ein Naher Osten entstehen könnte, der sich selbst zu regieren vermag, ohne der Fremdsteuerung durch post-koloniale Weltmächte zu bedürfen.