Im Mai letzten Jahres stellte die Ahmadiyya-Gemeinde im thüringischen Erfurt Pläne für den Neubau einer Moschee auf einem Gewerbegebiet am Stadtrand des Ortsteils Marbach vor. Sofort formierte sich der inzwischen in Deutschland üblich gewordene Widerstand gegen alles Muslimische, diesmal in einem „Bürger für Erfurt e. V.“ genannten Verein.
Auf einer Informationsveranstaltung in einer Marbacher Sporthalle brachten Hunderte von Anwohnern ihr Missfallen über die Pläne zum Ausdruck und pfiffen Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) gnadenlos aus, als er den Protestierern die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit in Erinnerung rief. Zwar forderte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) Toleranz ein und warb für einen gleichberechtigten Umgang mit Bauanträgen.
Die AfD will mitmischen
Doch Mitte Juni entdeckte die Alternative für Deutschland (AfD) die Aufregung um das geplante muslimische Gotteshaus für ihren Wahlkampf und setzte sich an die Spitze der Protestbewegung und kündigte ein Bürgerbegehren an. Dafür brauche man rund 7000 Unterschriften, erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im thüringischen Landtag, Stefan Möller: „Das ist ein Klacks.“
Aber ausgerechnet beim früheren AfD-Spitzenmann Bernd Lucke kam der Vorstoss nicht gut an. „Wenn wir Deutschland als freiheitliches und tolerantes Land erhalten wollen, dürfen wir nicht zulassen, dass einzelne Religionsgemeinschaften drangsaliert oder diskriminiert werden“, schlug sich der Ökonomieprofessor auf die Seite der Ahmadiyya-Gemeinde und zitierte beinahe korrekt Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersgläubigen.“ Ende Juli lehnte der Erfurter Stadtrat das angekündigte Bürgerbegehren ab, während die Stadtverwaltung den Bauantrag auf Zulässigkeit prüfte.
„Missbrauch des Kreuzes“
Weil sich der Besitzer eines Nachbargrundstücks, der aufgrund baurechtlicher Bestimmungen sein Einverständnis zu den Bauplänen geben musste, gegen den Bau aussprach, suchte und fand man am 12. Dezember ein neues Grundstück. Die Baupläne wurden den neuen Gegebenheiten angepasst. Das Minarett, das ein reines Zierminarett ohne Muezzin sein soll, wurde von elf auf acht Meter verkleinert. Geplant waren zwei Gebetsräume (für Frauen und Männer) von jeweils 60 Quadratmetern sowie ein grösserer Multifunktionsraum.
Zwei Tage danach gingen vor dem Erfurter Rathaus die Gegner der Moschee-Pläne auf die Strasse. Am selben Tag sagte die AfD-Landtagsfraktion ein geplantes Treffen mit der Ahmadiyya-Gemeinde ab, weil es „keine Vertrauensbasis mehr für weitere Gespräche“ gebe.
Da man im Osten Deutschlands Proteste aller Art, ob gegen den „real existierenden Sozialismus“ oder gegen Andersgläubige, gerne mit frömmelndem Christentum dekoriert, errichteten die „Bürger für Erfurt“ im März auf einem Grundstück nahe der geplanten Moschee-Immobilie zunächst ein zehn Meter hohes Holzkreuz und später ein zweites, vier Meter hohes. Wie in Filmen vor Vampiren, so sollten hier Kreuze vor dem unheilvollen Einfluss Ungläubiger schützen.
Der Marbacher Pfarrer kritisierte diesen „Missbrauch des Kreuzes als christliches Symbol“, die Bürgermeisterin des Ortsteils Marbach distanzierte sich ebenfalls von den Holzkreuzen: Die „Bürger für Erfurt“ sprächen nicht für Marbach. Sie fürchte, dass die Kreuze erst der Beginn eines heftigen Widerstandes seien – und hoffe, dass er nicht in Gewalt umschlagen werde.
Friedliche religiöse Gruppe – in muslimischen Ländern verfolgt
In Erfurt geriet mit der Ahmadiyya-Bewegung ausgerechnet die einzige muslimische Organisation, die keinen militanten Flügel unterhält, ins Visier ignoranter und intoleranter Opposition. 1889 gründete Mirza Ghulam Ahmad (1835–1908) im damals noch britisch besetzten Punjab die Bewegung. Er behauptete, der in den Prophezeiungen angekündigte Reformer und Erneuerer des Islam zu sein, der auf friedlichem Weg den Islam zum endgültigen Triumph führen und das letzte Gericht ankündigen werde, wie es sowohl in den islamischen Schriften als auch in den Traditionen anderer Weltreligionen vorhergesagt sei. Mit seinem Anspruch, der versprochene und von den Muslimen erwartete Messias und Mahdi, der letzte der Propheten, zu sein, zog er sich den Zorn der grossen Mehrheit der Muslime zu, die in Mohammed den letzten Propheten erkennen.
Diese friedliche religiöse Gruppe mit weltweit rund zehn Millionen Anhängern (8,2 Millionen davon leben in Südasien) wird in den meisten islamischen Ländern verfolgt, am meisten in ihrem Urspungsland Pakistan, wo der ehemalige Diktator und General Mohammed Zia ul-Haq (Präsident Pakistans 1977–1988) die Verfolgung von Ahmadiyya legalisierte. In Indonesien brannten aufgewiegelte, linientreue Muslime Moscheen und Wohnhäuser von Ahmadis ab und schlugen sie mit Baseballschlägern zu Tode. Nach heftigen ausländischen Protesten sah sich die Regierung in Jakarta schliesslich gezwungen, die Anhänger dieser Bewegung auf eine entlegene Insel zu deportieren, weil sie ihre Sicherheit nicht garantieren konnte oder wollte.
Film- und Jazzstars muslimischen Glaubens
Ul-Haq missfiel, dass diese drei Prozent der Bevölkerung seines Landes (Männer und Frauen) zu 100 Prozent des Lesens und Schreibens kundig sind. Dabei trägt das hohe Bildungsniveau der Ahmadiyya-Anhänger erheblich dazu bei, dass der Anteil jener, die lesen und schreiben können, in Pakistan wenigstens bei 58 Prozent liegt und nicht noch weiter gesunken ist. Es waren Ahmadis, die den Koran in über fünfzig Sprachen übersetzten.
Auch auf anderen Gebieten waren Ahmadis erfolgreich. Abdus Salam, der in Cambridge, Princeton und Oxford lehrte und 1979 den Nobelpreis für Physik erhielt, war ein Ahmadi wie auch der frühere Aussenminister Pakistans (1947–1954) und Vorsitzende des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, Muhammad Zafarullah Khan. Der deutsche Autor und Poet Hadayatullah Huebsch war ebenso Ahmadi, wie der legendäre Jazz-Schlagzeuger Art Blakey, der vielfach ausgezeichnete Pianist und Komponist Ahmad Jamal, der österreichische Anthropologe und Orientalist Rolf Freiherr von Ehrenfels, der Schauspieler Mahershalalhashbaz Ali (er spielte in Filmen wie Law and Order, Special Victims Unit, Tribute von Panem, Moonlight, Hidden Figures) oder die Jazzmusiker und Grammy-Gewinner Yusuf Lateef und McCoy Tyner.
Erfurter Bürger stellen sich in Fragen der Religionsfreiheit und der freien Meinungsäußerung schamlos an die Seite iranischer Ayatollahs, die gerne Fatwas gegen unliebsame Autoren (Salman Rushdie) oder Geistliche verhängen und den Mördern grosszügige Entlohnung versprechen.
Auf die Ermordung des vierten Kalifen der Ahmadiyya, Hadhrat Mirza Tahir Ahmad, waren von Rechtgläubigen 250‘000 Dollar Belohnung ausgesetzt. Der Khalifatul Masih IV. überlebte die Bedrohung und starb friedlich in London. Sein Nachfolger, Mirza Masroor Ahmad Khalifatul Masih V., steht unter dem besonderen Schutz der britischen Regierung.