Das Konterfei von Dominique Strauss-Kahn, unrasiert und im Gesicht schwer gezeichnet, das stundenlang in Nahaufnahme über die Fernsehschirme flimmerte, hatte in den Augen der Franzosen etwas unzulässig Erniedrigendes. Zumal die Bilder des IWF-Chefs, der in Handschellen aus der Polizeistation geführt wurde, da noch nicht verdaut waren - derartige Aufnahmen sind in Frankreich gesetzlich verboten. Ex Justizministerin, Elizabeth Guigou:
„Ich empfand diese Bilder als unglaublich brutal und grausam. Ich sehe nicht, was die Veröffentlichung derartiger Bilder zur Wahrheitsfindung beitragen kann. Im amerikanischen Justizsystem ist das kohärent, ich bin froh, dass wir nicht dasselbe Justizsystem haben.“
Und einer der jungen Hoffnungsträger der sozialistischen Partei, der Strauss-Kahn im französischen Wahlkampf unterstützen wollte, Manuel Valls meinte:
„Ich habe so etwas noch nie empfunden. Diese Bilder sind von unerträglicher Grausamkeit, und mir standen die Tränen in den Augen. Wir sind vom Schock dieser Bilder richtiggehend erschlagen. So haben auch die Menschen in meiner Stadt, in meiner Umgebung reagiert. Die Leute glauben nicht daran.“
Wo bleibt die Unschuldsvermutung?
Noch deutlicher in der Verurteilung des Vorgehens der New Yorker Polizei wurde der Grandseigneur der französischen Politik, Ex Anwalt, Justizminister und Präsident des Verfassungsgerichts, Robert Badinter:
„Dies ist eine bewusste, organisierte mediale Hinrichtung von Dominique Strauss-Kahn. Ich klage diejenigen an, die diese Kampagne organisiert haben, die ganz klar gegen ihn gerichtet ist. Ich erinnere an die Unschuldsvermutung, Amerika sagt uns immer, wir würden sie nicht respektieren – was bleibt denn in diesem Fall davon in der Öffentlichkeit wirklich übrig?“
Aus dem Ausland meldete sich dann auch der Schriftsteller und Strauss-Kahn Freund, Bernard Henri Levy zu Wort. Zum Argument, in den USA würde vor Gericht eben jeder gleich behandelt, sagte er:
„Das ist absolut widerlich. Denn man weiss doch, dass nicht alle gleich sind. Man weiss, dass jemand wie Strauss-Kahn von der öffentlichen Meinung anders behandelt wird, dass es eine Meute von Photographen geben wird, die da sind, um ihn zu erniedrigen und das geringste Zucken in seinem Gesicht festzuhalten – das ist ein falsches Argument.“
Wie einst im Ancien Regime
Der Kommentator einer Tageszeitung schrieb über die Bilder aus dem New Yorker Gerichtssaal, in Frankreich erinnerten sie an eine Form der Marter unter dem Ancien Regime, als die Verurteilten öffentlich der Menge präsentiert wurden und für ihre Vergehen den Preis der Schande zu zahlen hatten. Schon beginnt man in Frankreich davon zu sprechen, diese Zurschaustellung von Dominique Strauss-Kahn sei die Rache der amerikanischen Justiz für den Fall Polanski. Und es entsteht der Eindruck, der Umgang der New Yorker Polizei und Justiz mit dem IWF-Chef könnte hierzulande eine antiamerikanische Stimmung neu beleben.
Präsident Sarkozy, dessen persönliches Verhältnis zu Barrack Obama notorisch angespannt ist, steckt mit Blick auf die USA in einer schwierigen Situation. Immerhin hat er aktiv daran mitgewirkt, dass Dominique Strauss-Kahn auf den Chef–Sessel des IWF gelangte. Nun fürchtet er, so ist zu hören, um das internationale Ansehen Frankreichs. Helfen kann er Strauss-Kahn nicht wirklich. Der Präsident hat von der ersten Minute an seiner gesamten Umgebung, dem Kabinett und den Parteifreunden in Sachen Strauss-Kahn striktes Redeverbot erteilt, das sogar weitgehend eingehalten wurde, gestern dann selbst, ohne den Namen des IWF-Chefs zu nennen, nur geäussert, man müsse sich zurückhaltend, mutig, geeint und würdevoll verhalten. Immerhin: sein schärfster Konkurrent im kommenden Präsidentschaftswahlkampf ist ausgeschaltet – doch das Motto im Elysee lautet: keine verfrühte Euphorie. Man hat im Präsidentenpalast nur dafür gesorgt, dass parallel zur Strauss-Kahn-Affäre die Schwangerschaft von Präsidentengattin Carla Bruni gestern quasi offiziell bestätigt wurde.