Ban forderte die 15 Mitglieder des höchsten Organs der UNO auf, „eine kollektive Entscheidung zu treffen, um die syrische Tragödie sofort zu stoppen“.
Das Fass zum Überlaufen bringt das jüngste Blutbad im ärmlichen Dorf Tremseh nahe von Hama, wo nach den verfügbaren Informationen am Donnerstag mindestens 70 Menschen getötet wurden. Das syrische Regime macht dafür Zusammenstösse seiner Soldaten mit „bewaffneten Gangs“ verantwortlich, während die UNO-Überwachungsmission den Einsatz schwerer Waffen und Helikopter durch die Regierungstruppen meldet.
Der Syrienbeauftragte der UNO und der Arabischen Liga, Kofi Annan, verlangt von den Mitgliedern des Weltsicherheitsrats eine „imperative Botschaft“ an alle Konfliktparteien. Darin müsse die Warnung enthalten sein, dass eine weitere Missachtung des Waffenstillstands „Konsequenzen“ nach sich ziehe. Laut Annan hat die syrische Regierung die bisherigen zwei Resolutionen des Sicherheitsrats „mit Füssen getreten“.
Unglaubwürdige Drohungen
An welche „Konsequenzen“ Annan denkt, verschweigt der frühere UNO-Generalsekretär. Ein direktes militärisches Eingreifen wird von den Grossmächten bisher nicht erwogen. Bleiben Wirtschaftssanktionen und verstärkter politischer Druck. Solche Drohungen sind aber unglaubwürdig, so lange Russland und China nicht mitspielen. Als Vetomächte können sie jede Entscheidung des Weltsicherheitsrats blockieren.
Derzeit ist der Sicherheitsrat mit zwei rivalisierenden Resolutionsentwürfen zum Syrienkonflikt befasst. Den einen haben die westlichen Ratsmitglieder eingebracht, den anderen die Russen.
Vordergründig geht es dabei um die Zukunft der UNO-Mission zur Überwachung des Waffenstillstands (UNSMIS). Das Mandat dieser 300 Mann starken Truppe unter Führung des norwegischen Generalmajors Robert Moon läuft am 20. Juli aus. Es muss also verlängert und eventuell umgestaltet werden.
Stark behinderte Blaumützen
Der westliche Entwurf sieht eine Verlängerung des Mandats um 45 Tage vor, der russische um drei Monate. In dieser Sache lässt sich leicht ein Kompromiss in der Mitte finden. Schwieriger ist es, die künftigen Aufgaben der Militärbeobachter zu definieren. Die unbewaffneten „Blaumützen“ sind durch die Ausweitung der Kämpfe bei der Erfüllung ihres Auftrags stark behindert. Ihre Nützlichkeit wird dennoch nicht angezweifelt. So konnte ein UNSMIS-Posten die Bombardierung des Dorfes Tremseh aus fünf Kilometer Entfernung verfolgen und seinen Bericht nach New York übermitteln.
Hinter dem diplomatischen Scharmützel um das Mandat der UNSMIS – mehr humanitäre und weniger militärische Aufgaben? – türmt sich die grosse Frage auf: Was geschieht, wenn das Assad-Regime und auch die Aufständischen weiterhin alle UNO-Beschlüsse missachten? Der westliche Resolutionsentwurf stellt der syrischen Regierung ein Ultimatum: Wenn Damaskus zehn Tage nach der Verabschiedung des Textes den Aufforderungen des Sicherheitsrats nicht nachkommt, treten „nichtmilitärische Sanktionen“ in Kraft. Die Resolution würde unter das Kapitel VII der UNO-Charta gestellt, das Zwangsmassnahmen erlaubt.
Die Russen fürchten, vom Westen über den Tisch gezogen zu werden
Der russische Entwurf sieht bloss vor, dass der UNO-Generalsekretär dem Sicherheitsrat „jegliche Behinderung wirksamer Operationen der UNSMIS durch eine der Konfliktparteien meldet“. Von Konsequenzen ist keine Rede. Moskau sperrt sich auch dagegen, dass die Resolution unter Kapitel VII der UNO-Charta gestellt wird. Die Russen befürchten, wie bei der von ihnen durchgewinkten Libyen-Resolution im vergangenen Jahr vom Westen über den Tisch gezogen zu werden.
Der Widerstand Russlands und Chinas gegen ein geostrategisches Vordringen der Westmächte ist zu einem gewissen Grad nachvollziehbar.
Diese Rivalitäten dürfen aber nicht auf dem Rücken der syrischen Bevölkerung ausgetragen werden. Sie stehen auch im Widerspruch zur von der UNO-Generalversammlung verbrieften Verantwortung der Weltorganisation, unschuldige Menschen zu schützen („responsibility to protect“).
Die Aussenminister Russlands und Chinas haben am 30. Juni in Genf dem Plan einer „Aktionsgruppe“ zugestimmt, der „Grundsätze und Richtlinien für einen von Syrien geleiteten Übergang“ aufstellt. Wenn sie sich jetzt gegen Massnahmen sträuben, die diesem Plan Nachdruck verleihen würden, verlieren sie an Glaubwürdigkeit. Die von der russischen Diplomatie und von Annan angeregte Beteiligung Irans an Friedensverhandlungen macht die Sache noch komplizierter als sie ohnehin schon ist. Weder die USA noch die massgeblichen arabischen Staaten sind bereit, der Regierung in Teheran eine Art Vetorecht im Syrienkonflikt einzuräumen.