Um die Ablehnung dieses Preises der Vereinigten Arabischen Emirate ist ein veritabler Streit entbrannt, der sogar mit der Cancel-Culture-Debatte in Verbindung gebracht wird.
Es wird argumentiert, die Ablehnung sei falsch, weil sie die Reformpolitik der Emirate nicht würdigt, weil sie sich frei von der Doppelmoral, die die politische Zusammenarbeit prägt, wähnt, weil Reformen selbst absolutistischer Herrscher etwas Positives bewirken können, weil Araber genauso ein Anrecht auf das Werk von Jürgen Habermas wie der Westen hätten, weil Preise immer auch Selbstpreisung des Stifters seien, weil auch andere berühmte Persönlichkeiten Preise vom Golf erhalten hätten und weil der Dialog wichtiger sei als die selbstgerechte Cancel-Culture des Westens.
Wer ehrt wen?
Das erste Argument betrifft den politischen Kontext des Zayed Award. Es wird gesagt, dass die Aussen-, Kultur- und Antiislamismuspolitik der Vereinigten Arabischen Emirate Zeichen für eine behutsame Reform und Öffnung im Lande seien. Da stellt sich die Frage, wer wen ehrt. Ehrt der Preis den Preisträger oder ehrt der Preisträger den Stifter wegen seiner Reformpolitik?
In der Realität ist das Herrschaftshandeln alles andere als Reform. Die interventionistische Aussenpolitik etwa in Libyen und Jemen ist weit mehr als nur ein militärisches Abenteuer. Sie sichert eine aussenpolitische Strategie ab, die auf die Errichtung einer neuen arabischen Sicherheitsarchitektur gegen Iran und die Türkei zielt und in der die Emirate zusammen mit Saudi-Arabien tonangebend sind.
Teil der Strategie ist die neue Allianz mit Israel. Immerhin hat sie zur Folge, dass das Übel des Antisemitismus aus der staatlich kontrollierten Medienlandschaft der Emirate und Saudi-Arabiens verschwunden ist. Das ist die gute Nachricht; doch die schlechte Nachricht ist, dass damit der Antisemitismus, der sich seit den 1960er Jahren in der Öffentlichkeit eingenistet hat, aus den Köpfen der Menschen nicht verschwunden ist. Eine kritische Partnerschaft mit Israel wäre glaubwürdiger, wenn zugleich eine Kulturpolitik bestünde, die diesen versteinerten Antisemitismus zum Thema gemacht hätte und Massnahmen zu dessen Überwindung getroffen wären.
Der Preis im Kontext einer neo-nationalistischen Kulturpolitik
Doch die Kulturpolitik der Emirate geht in eine andere Richtung. Sie kombiniert den Anspruch, die Emirate zum Repräsentationsort einer Globalen Kultur mit einem sentimental-nostalgischen Arabismus zu machen. Die Emirate sollen diesem Arabismus Gestalt und Ausdruck geben und ihn zugleich zum Schutzpatron der Globalen Kultur machen. Nicht zufällig wählt der Zayed Award daher die „kulturelle Persönlichkeit des Jahres“, diesmal in Gestalt von Jürgen Habermas, die diese Globale Kultur repräsentiere und die nun durch die Emirate geschützt und gefördert werde.
Den grossen Gegner sehen die Emirate in allen Organisationen und Gruppen, die den Islam als weltliche Ordnung adressieren, allen voran natürlich in den Muslimbrüdern. Sie werden als Relikte einer alten, längst vergangenen Zeit belächelt und zugleich wütend bekämpft. Gefördert wird dagegen weiterhin eine islamische Orthodoxie, sofern sie auf jedweden politischen Anspruch verzichtet. Sie wird zu einem Teil des neuen nostalgischen Arabismus gemacht und auf die Funktion eines kulturellen Symbolsystems der von den Fürsten repräsentierten emiratischen „Nation“ reduziert.
Eine autonome, sich diskursiv selbst verwaltende Öffentlichkeit gibt es nicht, die Freiheit der journalistischen Arbeit ist weitgehend eingeschränkt. Der emiratische Journalist Ahmad Mansur, der 2015 den Martin-Ennals-Preis für Menschenrechtsverteidigung erhalten hatte, ist seit 2017 erneut für 10 Jahre in Haft, weil er soziale Medienplattformen zur Bedrohung der öffentlichen Ordnung und zur Veröffentlichung falscher und irreführender Informationen genutzt haben soll.
Diese Politik der Emirate schliesst eine innergesellschaftliche Öffnung und einen gesellschaftlichen Wandel weitgehend aus. 10% der Bevölkerung in den sieben Fürstentümern gelten als Staatsbürger, 90% sind Ausländer oder Staatenlose (bidūn). Nur 7% der Bevölkerung gelten als arabische Angehörige der Titularnation.
Der Preis und die schwache Legitimation der Fürsten
Der Zayed Award dient wie fast alle anderen Preise auch der Preisung des Stifters. Daran ist an sich nichts ehrenrührig. Problematisch wird es hingegen, wenn wie in Abu Dhabi die Selbstpreisung vor allem dazu dient, die Legitimität der Herrschaftsordnung durch Anerkennung von aussen zu erhöhen. Da nur eine sehr kleine Minderheit im Lande überhaupt die Funktion hat, als Untertanen die Fürsten zu legitimieren, ist ein Grossteil der Bevölkerung politisch und kulturell funktionslos. Die Legitimität der Fürsten ruht so auf sehr schwachen Schultern. Daher sind sie bestrebt, den Mangel an innergesellschaftlicher Legitimationsgrundlage durch eine verstärkte Anerkennung von aussen auszugleichen. Und wie bei den zahlreichen Fürstentümern im europäischen Absolutismus dient auch hier dazu, die Konkurrenz unter den Fürsten auf der arabischen Halbinsel, sich Legitimität von aussen durch wirkungsvolle Prestigeobjekte zu sichern. Und dazu gehört in Abu Dhabi neben dem „arabischen Louvre“ eben der Zayed Award, der das „Buch“ in den Mittelpunkt der Legitimation rückt.
So manch einer wurde schon mit diesem Preis geehrt. So hatte 2003 der 8. Präsident der FIFA, Sepp Blatter, die höchste Staatsauszeichnung der Emirate, den Zayed-Orden, erhalten. Zayed-Award-Preisträger in der Kategorie „kulturelle Persönlichkeit“ waren zum Beispiel der französisch-libanesische Schriftsteller Amin Maalouf (2016), der marokkanische Historiker Abdallah Laroui (2017), die Arabisten Jaroslav und Suzanne Stetkevych (2019) und die palästinensische Autorin Salma Khadra Al Jayyusi (2020).
Aufgeklärter Absolutismus am Golf?
Bei allen Preisträgern gab es bislang einen direkten Bezug zur arabischen Welt. Mit Jürgen Habermas wurde nun für den diesjährigen Preis eine Persönlichkeit gewählt, die eine hohe legitimatorische Funktion hat. Der Preis wurde gewissermassen hierdurch internationalisiert. Das entspricht recht genau dem Bestreben des Fürstenhauses von Abu Dhabi, eine möglichst breite internationale Anerkennung zu erhalten. Das Werk von Jürgen Habermas schien sich hierfür bestens zu eignen. Man mag sich fragen, warum eine Persönlichkeit, dessen Werk eine radikale Kritik von Machtdiskursen einschliesst, ausgerechnet von Potentaten gekürt wird, deren Herrschaftshandeln genau dem zuwiderläuft, was der Gekürte zum Gelingen einer Gesellschaft erkannt hat.
Wollen die Potentaten zeigen, dass sie zu Verfechtern eines „aufgeklärten Absolutismus“ geworden sind und den Staat als Leviathan soweit reformieren wollen, dass er zum Träger einer arabischen Aufklärung wird. Wollen sie das Projekt auf die Schultern von Riesen verlagern?
Doch ein aufgeklärter Absolutismus 2.0 braucht eine breite Legitimation, die weit über eine vom Fürstenhof kontrollierte Öffentlichkeit hinausgeht. Diese, so die Einsicht der Fürsten, könne nur international erfolgen. Und wenn die internationale Anerkennung zugleich die Stützung einer aussen- und sicherheitspolitischen Strategie darstellt, dann ist die allemal das Preisgeld wert.
Sich solch einer Strategie zu verweigern ist mitnichten Ausdruck einer Cancel-Culture. Es gibt immer wieder gute Gründe, warum Geehrte Preise ablehnen. So war es 2008, als der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki die Annahme des Ehrenpreises des Deutschen Fernsehpreises verweigerte, und 2011, als der Spanier Juan Goytisolo sich weigerte, den Gaddafi-Preis für Menschenrechte entgegenzunehmen. Weniger gute Gründe schien 1964 Jean-Paul Sartre gehabt zu haben, als er den Literaturnobelpreis ablehnte. In jedem Fall sollten die Gründe, die jemanden zur Ablehnung eines Preises bewegt, gewürdigt und respektiert werden. Er schadet niemandem, es sei denn, man betrachtet einen Preisträger als Untertan des Preisstifters. Warten wir also, ob Jürgen Habermas die Gelegenheit nutzt, seine Motive zu erklären.
Keine Frage der Doppelmoral
Verstörend wirkt das Argument, dass die Kultur nicht von der Doppelmoral der Politik freigehalten werden kann, die bereit ist, Wirtschaftsinteressen gegenüber dem Einfordern von Menschenrechten zu priorisieren. In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass auch Preise wie der angesprochene Gaddafi-Preis für Menschenrechte anerkannt werden müssten. Ich denke, dass gerade die Preiskultur eine grosse Herausforderung darstellt, da sie schnell in fast erpresserischer Manier genutzt werden kann, um Legitimation und Anerkennung zu erlangen. Das zeigte sich in manchen Reaktionen auf die Absage von Jürgen Habermas. Der katholische Bischof für die Arabische Halbinsel, Paul Hinder, hat die Ablehnung der Einladung, den Preis entgegenzunehmen, als „Beleidigung“ des Preisstifters bezeichnet. Da fragt man sich, ob man als Preisträger automatisch eine Verpflichtung gegenüber dem Stifter eingeht?
Eben weil die Doppelmoral die internationalen Beziehungen so stark prägt, ist es von Nöten, kulturelle und wissenschaftliche Räume zu schaffen, in denen der Anspruch erhoben werden kann, auf Augenhöhe und in gleichberechtigter Rationalität Menschenrechtsverletzungen, Pressefreiheit und Religionsfreiheit anzusprechen. Wenn jemand wie Jürgen Habermas dies so eindringlich fordert und auf die Macht des Wortes setzt, dann darf zurecht erwartet werden, dass eine Ehrung durch einen Preis auch aus dieser Haltung heraus bewertet wird.
Keine Überheblichkeit
Es ist also keine Überheblichkeit des Westens, diesen Preis abzulehnen, allein schon deshalb nicht, weil Jürgen Habermas nicht der Westen und der Preis nicht die Arabische Welt ist. Man sollte also auf dem Teppich bleiben und nicht einem neuen Kulturkampf das Wort reden. Hier hat ein Geehrter das Recht wahrgenommen, zu fragen, wer ihn ehrt, und dann zu entscheiden, ob er diese Ehrung annehmen möchte.
Die Absage wird dem Werk von Jürgen Habermas gerecht. Die Reaktionen in den sozialen Medien, die aus arabischen Ländern kommen, weisen darauf hin, dass die Entscheidung von Habermas mehrheitlich begrüsst wird; einige zeigen sich erleichtert, weil die Absage zweierlei erreicht hat: Erstens hat das Preiskomitee die Preiswürdigkeit des Werks von Jürgen Habermas für die Arabische Welt anerkannt und sichtbar gemacht. Die arabische Auflage seiner Werke wird sicherlich steigen. Zum anderen hat Habermas selbst gezeigt, dass er trotz der Ehrung seine kritische Vernunft bewahrt und zu einer für ihn stimmigen Entscheidung kommt, und dies in einer politischen Umwelt, wo jede Ehrung dem Verdacht ausgesetzt ist, Korruption zu sein.