Die Klimadebatte betrifft uns alle. Wer sie für politische Spielchen missbraucht, hat nichts kapiert.
Kommende Generationen sind nicht zu beneiden
So langsam dämmert uns, dass es so nicht weitergehen kann. Je mehr wir über die Zusammenhänge und Gründe der Klimaerwärmung wissen, desto drängender mahnt es in uns: Wir brauchen eine neue Klimapolitik. „Wir“, das sind Sie und ich – niemand kann sich als nicht betroffen deklarieren. (Die Klimaleugner leben in einer anderen Welt…). Eine neue Klimapolitik allein genügt natürlich bei weitem nicht. „Wir“ – die Gesellschaft ist gefordert – müssen überlegen, was wir tun können, können, um einen kleinen Beitrag an diese Herkulesaufgabe beizusteuern. Die Liste der Massnahmen möglicher Verhaltensänderungen aus unserem Alltagsleben wird laufend länger.
Da besteht die Gefahr, dass wir resignieren. Am einfachsten haben es jene, die selbstsicher behaupten, wir in der kleinen Schweiz hätten eh keinen Einfluss auf die Klimaerwärmung und somit erübrigten sich einschränkende Massnahmen. Hier geht es jedoch darum, was nachdenkliche Menschen umtreibt: Im Alltag und in den Ferien, im Privat-, Flug- und Kreuzfahrtenverkehr, im Bauwesen, in der Landwirtschaft, bei den Verpackungen der Lebensmittel, bei den Essgewohnheiten – überall heisst es neuerdings zu überlegen, selektionieren und eventuell verzichten: ginge es nicht auch mit weniger? Meine persönliche Meinung: Lassen wir uns nicht instrumentalisieren, aber ignorieren wir die Tatsachen nicht und versuchen wir doch, mit sportlicher Verve einige unsere Gewohnheiten zu ändern.
Die kommenden Generationen werden vieles ändern müssen. Was heute als selbstverständlich gilt, wird es nicht mehr in jedem Fall sein. Und die Auswirkungen der Klimaerwärmung werden von Jahr zu Jahr spürbarer sein.
Fakten statt Polemiken
Es ist eine Tatsache, dass der Mensch durch die Emission von Treibhausgasen die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert. Der wachsende Güter- und Personenverkehr, insbesondere der Flugverkehr, sowie das Heizen der Gebäude, führen zu einem grossen Verbrauch an fossilen Energieträgern. Bei dessen Verbrennung wird CO₂ ausgestossen, was den natürlichen Treibhauseffekt verstärkt und zur Erderwärmung führt.
Auch Landnutzungsänderungen und die Landwirtschaft tragen zur Anreicherung von Treibhausgasen in der Atmosphäre bei. Weiter fallen die Treibhausemissionen im Industriesektor an sowie der Abfallwirtschaft und die Emissionen im Ausland, verursacht durch den Konsum importierter Güter (z. B. Erdbeeren im Winter!). Weniger sichtbar, aber dafür umso wirksamer, sind Finanzierungs- und Investitionsentscheide: Was heute noch in die Erdöl- und Erdgasindustrie, in den Rohstoffhandel, in die Flugzeugindustrie, als Beispiele, investiert wird, beeinflusst die zukünftige ausgestossene Treibhausgas-Menge.
Wer es genau wissen will: Von den Treibhausgasemissionen, die in der Schweiz verursacht werden, stammen
- 32% aus dem Verkehr (ohne Flugverkehr, stagnierende Tendenz)
- 26% aus Gebäuden (rückläufige Tendenz)
- 23% aus der Industrie (rückläufige Tendenz)
- 19% aus der Landwirtschaft.
Die durchschnittliche Temperatur in der Schweiz hat seit 1864 um 2 Grad zugenommen und der Anstieg ist doppelt so hoch wie der globale. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts lassen sich die steigenden Temperaturen nicht mehr mit natürlichen Faktoren erklären. Der Gletscherschwund ist drastisch und für jedermann sichtbar. Es gibt Anzeichen, dass sich extreme Ereignisse häufen werden. (Die aufgeführten Daten und Fakten stammen aus dem Bundesamt für Umwelt BAFU.)
Ich und das System
Mein persönliches Verhalten ist das eine, das „System“ – z. B. die politischen Rahmenbedingungen – sind das andere. Was ist gemeint? Zweifellos fehlt es bei vielen Menschen nicht am guten Willen, einen positiven „Klima-Beitrag“ zu erbringen. Doch die Handlungsbedingungen im Alltag laufen dem oft zuwider. Zwar steigt das einschlägige persönliche Wissen um Zusammenhänge, die übergelagerten systemischen Kriterien, auch die gesellschaftlichen Gewohnheiten bremsen oft den Elan. „Aber wir wissen seit der Zeit der intensiven Forschung zu Umweltfragen auch, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Handeln entscheidend sind, wenn wir substanzielle Verbesserungen zugunsten der Umwelt erzielen wollen“ (NZZ).
Wenn ich vom System rede, meine ich also die Politik. Auch liberal gesinnte Menschen müssen einsehen, dass es ohne politische Interventionen nicht geht. Bevor wir von Verboten und Einschränkungen sprechen, sollte durch die richtigen Anreizsysteme und Internalisierung von Kosten – also Kostenwahrheit – das Umdenken gefördert werden. Die individuelle Freiheit in Ehren. Offensichtlich ist aber auf Basis der Freiwilligkeit keine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Solche „Rahmenbedingungen“ haben den Vorteil, dass sie für alle Gültigkeit haben. Bleibt zu hoffen, dass auf diesem demokratischen Weg die Bereitschaft eines Grossteils der Gesellschaft gefördert wird, Eigenverantwortung zu übernehmen.
Kapitalismus und Ökologie, geht das?
Wir in der Schweiz gehören zur sogenannten CO₂-Oberschicht. Jene 80 Prozent der Weltbevölkerung, die noch nie in ihrem Leben geflogen sind, gehören nicht dazu. Wir fliegen, beanspruchen laufend mehr Wohnraum, leisten uns immer noch schwerere SUVs, werfen die Kleider weg und kaufen subito neue. Bereits vor 120 Jahren hat der Ökonom Thorstein Veblen („Theorie der feinen Leute“) dieses Verhalten mit „Geltungskonsum“ bezeichnet (ZEIT). Wir können uns das alles leisten, unsere Wünsche lassen sich, dank Wohlstand, jederzeit befriedigen. Einst galt die Devise „immer mehr“ zugleich „immer besser“. Der Kapitalismus unserer Zeit macht aus Mehrkonsum Produktions- und Umsatzsteigerung, Wachstum in allen Bilanzen steht zuoberst in jeder Bilanzkonferenz oder Aktionärsversammlung. Nur: nichts deutet darauf hin, dass das zentrale Problem der Ökologie – die Endlichkeit der Ressourcen, unserer Erde – überhaupt bei alledem in den Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten eine Rolle spielt. „Der heutige Kapitalismus stösst spürbar an die planetaren Grenzen, tötet Arten und vermüllt die Meere“ (ZEIT).
Die Politikerinnen und Politiker haben es nicht leicht. Sie sollten – wenn schon die Gesellschaft es nicht schafft – fragen, wo Ökologie und Kapitalismus einander widersprechen; oder wo und wie sie sich ergänzen könnten. Anders gestellte Frage: Wie könnte es die Politik schaffen, dass neue Statussymbole der Vermögenden die alten, lächerlichen ersetzen würden? Investitionen in Aufforstungen, Renaturierung als Beispiele? Die Superreichen dieser Erde – als Pioniere einer neuartigen Ökobewegung? Der Schweizer Jörg Wyss gehört dazu: Eine Milliarde Dollar will er investieren, um 30 Prozent der Erdoberfläche als Naturreservate zu bewahren.
Die Schülerorganisation „Klimastreik“ und die Bewegung „Extinction Rebellion“ werden immer militanter. Bevor wir sie verurteilen, sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass viele ihrer Mitglieder aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus agieren. Sie alle wollen den Systemwandel (siehe weiter oben). Sie wollen weder Sozialismus und schon gar nicht Kommunismus – sondern eine klimagerechte Weltordnung. Ist das so verwerflich?