Ihre Erfahrungen und Erlebnisse fasst sie in dem hervorragenden Buch „Zwischen den Welten – von Macht und Ohnmacht im Iran“ zusammen. Fahimeh Farsai hat das Buch gelesen.
Es gibt recht viele in deutscher Sprache verfasste Bücher über den Iran, die Erfahrungen und Erlebnisse ihrer Autorinnen und Autoren in dem Land wiedergeben. Manche dieser Publikationen sind touristischer Art und das Resultat kurzer Aufenthalte und Recherchen, andere stammen von Korrespondentinnen und Korrespondenten, die für deutsche Medien aus dem Iran berichtet haben. So etwa das Buch der deutschen FAZ-Korrespondentin Christiane Hoffmann, „Hinter den Schleiern Irans – Einblicke in ein verborgenes Land“. Die 1967 in Hamburg geborene Journalistin und Ehefrau des Schweizer Botschafters in Teheran berichtete zwischen 1999 und 2004 aus dem verhüllten Land und versuchte, die Geheimnisse Irans in ihrem Buch zu lüften.
Der Titel der jüngsten Publikation über die Islamische Republik lautet: „Zwischen den Welten – von Macht und Ohnmacht im Iran“, die Autorin ist Natalie Amiri. Die 42-jährige Halbiranerin, die von 2015 bis 2020 als Leiterin des dortigen ARD-Büros aus Teheran berichtete, beschreibt auf 250 Seiten ihre persönlichen Erfahrungen im Lande ihres Vaters. Mit ihrem Buch will sie „den Menschen im Iran eine Stimme geben“.
Schon die Titel der Bücher von Amiri und Hoffmann weisen auf zwei unterschiedliche Blickwinkel hin: Hoffmanns von aussen, Amiris von innen. Amiri hatte bereits als Kind eine innige Beziehung zum Iran, obwohl sie in ihrer Geburtsstadt München lebte. Jedes Mal, wenn in der Tagesschau Bilder aus dem Iran gezeigt wurden, erzählen ihre Eltern, sei sie ihre Koffer packen gegangen. „Dass die Bilder damals Revolution und Krieg zeigten, hat mich wohl nicht sonderlich abgeschreckt“, so Amiri.
Von München nach Teheran
Abgeschreckt hat sie auch nicht die Tatsache, dass die Islamische Republik Iran auf der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ auf Platz 173 steht – von insgesamt 180 Ländern. Amiri reiste 2004 nach ihrem Iranistik-Studium in Bamberg trotzdem nach Teheran, um über die politische und kulturelle Entwicklung des Landes zu berichten. Was gab ihr die Kraft als junge, nach westlichen Werten und Codes aufgewachsene Frau, all ihre persönlichen und beruflichen Freiheiten zu riskieren und als Korrespondentin aus einem Land zu berichten, aus dem fast alle ausländischen Medien verbannt wurden und wo über den Köpfen der im Land Gebliebenen stets ein Damoklesschwert schwebt? Die kurze Antwort der Autorin: Liebe für Land und Leute.
Eine neue Objektivität
Bekanntlich macht Liebe aber blind und kann besonders auf Journalisten wie Gift wirken. Denn die Medien müssen nicht nur möglichst unvoreingenommen und neutral berichten, sondern sich auch an der Konstruktion der Wirklichkeit massgeblich beteiligen, wie die moderne Definition der Informationsvermittlung im digitalen Zeitalter lautet. Mit anderen Worten: Sie müssen nicht nur ständig die Objektivität ihrer Berichterstattung unter Beweis stellen, sondern auch vermitteln, dass ihre wahrhaftige Darstellung zwar unterschiedliche Aspekte einer Tatsache beleuchtet, aber nicht die ganze Wahrheit beinhaltet. Das ist eine Art von Transparenz, wie sie der US-amerikanische Internet-Wissenschaftler und Philosoph David Weinberger von der Havard University beschreibt: „Transparenz ist die neue Objektivität.“
Natalie Amiri zeigt sich zum Glück in ihrem Buch nicht nur als ins Land verliebte Korrespondentin, sondern macht auch ihre eigenen Standpunkte klar, legt ihre Daten, Zahlen und die Ergebnisse ihrer Recherchen und Interviews offen und sorgt so für absolute Transparenz. Sie erklärt, dass sie im Rahmen der Prioritäten des ARD-Nachrichtenmagazins als einer öffentlich-rechtlichen deutschen Rundfunkanstalt arbeitet und die Themen und Nachrichten behandelt, die in diesem Kontext wichtig erscheinen. Nicht mehr, nicht weniger.
Vom Iran-Irak-Krieg bis zur Coronapandemie
Die heiklen Themen und Berichte Amiris, die man den insgesamt 25 Kapiteln des Buches entnehmen kann, beziehen sich vor allem auf Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Vetternwirtschaft im Iran. Aber auch Porträts mutiger Menschen aus der Zivilgesellschaft – oft Frauen – sind darunter. Amiri rollt in ihrem Buch die wichtigsten politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Ereignisse im Iran von der Revolution 1979 bis zum Dezember 2020 auf und verwebt auf beeindruckende Weise klare Bilder und Fakten mit familiären Geschichten und einer sehr persönlichen Ebene. In elf Kapiteln deutet sie die relevanten politischen Entwicklungen in den letzten vier Dekaden an, etwa den „Aufstieg der Revolutionsgarde“, „Das Abkommen der Hoffnung“, „Iran und der Westen“, „Die Beziehung zwischen Iran und Israel“ und „Studentenproteste“.
Exklusive Berichterstattung
Ihre Berichte über Demonstrationen und Protestkundgebungen entstanden unter besonders problematischen Bedingungen. Während der „grünen Bewegung“ 2009 war Amiri eine der wenigen akkreditierten Journalistinnen und Journalisten, die im Lande lebten und über die Massenproteste gegen den Wahlbetrug berichten konnten. Viele internationale Sender bezogen sich auf ihre Berichterstattung. Damals galt für Iraner und Iranerinnen ein allgemeines Verbot von Interviews mit ausländischen Medien. „Während dieser Zeit war es extrem schwer, überhaupt zu berichten“, sagt Amiri. „Heute hat sich die Situation etwas verbessert. Trotzdem kommt es immer noch oft vor, dass wir Politikexperten anrufen, die uns dann sagen, dass sie leider nicht sprechen dürfen.“
„Machterhalt um jeden Preis“
Amiri beschäftigt sich in ihrem Buch nicht nur mit historisch relevanten Themen, sondern auch mit aktuellen Problemen wie der Coronapandemie und dem Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine. Dabei entlarvt sie die Verlogenheit der islamischen Machthaber und ihre Desinformationspolitik. In Kapitel 24 zitiert sie einen BBC-Bericht von Ende Juli 2020, dem zufolge bis dahin mindestens 42’000 Menschen im Iran an den Folgen von Covid 19 gestorben seien. Nach offiziellen iranischen Angaben beläuft sich die Zahl der Verstorbenen nicht einmal auf ein Drittel davon.
Der tragische Tod von 176 Menschen beim Abschuss der ukrainischen Boeing 737-800 am 8. Januar 2020, die kurz nach ihrem Start in Teheran von zwei iranischen Flugabwehrraketen getroffen wurde, erwähnt Amiri im Kapitel „Machterhalt um jeden Preis“. Nach ihrer Einschätzung würden die Menschen im Iran ihre Wut und ihren Abscheu darüber bei den nächsten Wahlen zeigen: „Inoffizielle Umfragen ergaben, dass 75 Prozent der knapp 85 Millionen Stimmberechtigten dieses Mal nicht zur Wahl gehen wollten.“
Angst bei der Arbeit
Genau solche Themen und transparenten Kommentare sind in der Islamischen Republik unerwünscht. Es gibt unzählige Behörden, die versuchen, unabhängige Journalisten daran zu hindern, gewissenhaft ihre Arbeit zu erledigen. Amiri musste in ihrer sechsjährigen Dienstzeit mit den Behörden, den Geheimdiensten, den Milizen und der Revolutionsgarde ein ständiges Katz-und-Maus-Spiel spielen: „Es ist ein permanenter Kampf, um ans Ziel zu kommen.“ Sie wurde immer wieder ermahnt, bedroht, man versuchte sie einzuschüchtern und sogar zur „Zusammenarbeit“ mit den Geheimdiensten zu zwingen. Darüber schreibt sie im Kapitel 19 mit dem Titel „Die Passkontrolle“ ausführlich.
Paranoia der Geheimdienstler
Amiri schildert auch den Balanceakt, den sie ausführen musste. Über die Berichte anlässlich der „grünen Bewegung“ 2009 sagt sie etwa: „Da ging es uns Journalisten ganz schön an den Kragen.“
„Ich schüttelte jedes Mal innerlich den Kopf über die Vorwürfe, die mir von den Zensoren gemacht wurden. Sie waren gesteuert von der Paranoia, die der Staat im Laufe der Jahre entwickelt hatte. So musste ich mich zum Beispiel erklären, warum in meiner Arte-Dokumentation ‚Der verborgene Schatz‘ bei der Einblendung des Titels im Hintergrund Revolutionsführer Ayatollah Khamenei zu sehen war und eine Ampel davor rot blinkte.“ Amiri thematisierte während ihrer Zeit in Teheran die Einschüchterungsversuche der Mullahs nicht, weil sie „vor allem so lange wie möglich weiterarbeiten wollte“.
Die Paranoia, die die Geheimdienstler zur permanenten Überwachung und Repression gegen Amiri brachte, verwandelte sich Mitte des Jahres 2020 in politisches Kalkül: Man sollte die ARD-Korrespondentin als politische Geisel nehmen, damit die Mullahs ihre inakzeptablen Forderungen gegen den Westen durchsetzen könnten. Das Auswärtige Amt sprach im Mai 2020 Jahres eine Reisewarnung für Amiri aus.
Erfolg und Enttäuschung
Das Buch „Zwischen den Welten – von Macht und Ohnmacht im Iran“ spiegelt die Bemühungen einer mutigen Journalistin wider, die ausgehend von einem feministisch-humanen Standpunkt eine ebenso couragierte Generation in ihrem Kampf für ihre Freiheit und gegen die Diktatoren im Iran begleitet. Diese Generation sieht nach Amiris Standpunkt so aus: „Eine Generation, die keine andere Staatsform kennt als die Iranische Republik. Und für die Gesetze nur da sind, um sie zu umgehen. Für ein Leben, das irgendwie lebenswert ist“, so Amiri in einem Interview. „Doch dadurch befinden sich die Menschen permanent in einem Zustand der Illegalität, einem Zustand voller Angst. Die Einnahme von Psychopharmaka, Suizid, Alkohol- und Drogensucht haben exponentiell zugenommen.“
Für die Freiheit
Amiri sind ihre journalistischen Anstrengungen hervorragend gelungen. Die engagierten Zivilgesellschafter im Iran müssen aber immer wieder grössere und schmerzhafte Enttäuschungen erleben. Und doch vermittelt das Buch keine fatalistische Botschaft. Denn Amiri weiss: „Die iranische Zivilgesellschaft ist für jede Stimme so dankbar, die nach draussen dringt. Wie oft wurden wir angefleht, dass wir doch bitte sagen sollen, was gerade passiert, wie sehr sie in ihrer Freiheit eingeschränkt werden oder überhaupt gar keine haben.“
Fahimeh Farsaie
Natalie Amiri: „Zwischen den Welten – von Macht und Ohnmacht im Iran“. Aufbau Verlag, 254 Seiten
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal